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Aus: Ausgabe vom 27.07.2024, Seite 10 / Feuilleton
Metal

Unter der Stehlampe

»Make Metal Small Again« – Jochen Neuffer und Jörg Scheller erinnern sich an 20 Jahre Malmzeit
Von Frank Schäfer
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Lassen es ruhig angehen: Malmzeit

Malmzeit sind eine Metal-Band. Aber was für eine. Sie tragen Businessanzüge, spielen im Sitzen und gern in der guten Stube, trinken dabei Tee mit abgespreiztem Finger und die Beats kommen vom Band bzw. mittlerweile vom Tablet. Sie singen ausschließlich über das Wetter und dessen kulturelle Weiterungen wie die Regengötter oder Claudia Kleinert. Und nutzen ihre Ansagen für weitschweifige Erläuterungen, die sich ausschließlich um das Duo Malmzeit drehen und die Vorteile, die man hat in der Bonsai-Metal-Abteilung ohne Marshall-Schrankwand im Rücken. Zum Beispiel einen unschlagbar niedrigen CO2-Fußabdruck.

Malmzeit müssen somit gar keine Exegetenstaffel einfliegen lassen, um dem Publikum ihre Kunst – und um nichts anderes geht es hier! – zu erklären, das machen sie schon lieber selbst. Nicht zuletzt in ihrem Manifest »Make Metal Small Again – 20 Jahre Malmzeit«, das sich als herkömmliche Bandbio tarnt. »Uns stand der Sinn nach einem Projekt, das die Brutalität des Todesbleis mit der Heimeligkeit der Kammermusik verquickte«, heißt es da. »Schubert meets Slayer, wenn man so will. Oder kürzer: Kammermetal.« Stimmt genau.

Malmzeit lassen die dem Metal innewohnende Rebellenattitüde mit der Betulichkeit des Bürgerlichen kollidieren und schlagen daraus an zwei Fronten parodistisches Kapital. Zum einen machen sie sich über die Normierungsekstase der harten Jungs und Mädchen lustig, die immer schon ganz genau wussten, wie oder was der echte Metal zu sein habe. Zum anderen belächeln sie die immer noch vorhandenen Idiosynkrasien und Vorurteile des Bürgertums gegenüber einem Genre, das längst in seiner Mitte angekommen ist. Genau das führen Sängerbassist Jörg Scheller alias Earl Grey und Gitarrist Jochen Neuffer aka Sumatra Bop ja bei ihren Auftritten vor, wenn sie sich als »Heavy-Metal-Lieferservice« in die heimischen Wohnzimmer ihrer Kunden einladen lassen und dort ihre dadaistische Rumpelnummer aufführen. In Zimmerlautstärke, versteht sich.

Ihr parodistisches Double-Bind-Konzept verfängt offenbar am ehesten in intellektuellen und kunstaffinen Kontexten, etwa als Begleitprogramm bei Comicausstellungen, in hippen Galerien, Museen oder besetzten Häusern, also in den bürgerlichen Randlagen, wo man sich immer schon über bourgeoise Verhaltensweisen mokieren konnte – und über die der Head­banger sowieso –, weil man damit schließlich nichts zu tun hatte.

Die wahren Metal-Gläubigen indes wenden sich bei Konzerten demonstrativ von ihnen ab, wie die beiden einräumen müssen, oder buchen sie erst gar nicht. Kein Wunder, bei Malmzeit wird Trueness ganz kleingeschrieben. Immerhin, die komplett Durchgeknallten lieben sie – wie der »amerikanische GI und Irakkriegsveteran Marky«. »Er sollte in den kommenden Jahren noch das eine oder andere Malmzeit-Konzert in Hessen besuchen und stets aus der Menge heraus mit gereckter Faust ›Death Rock! Death Rock!‹ brüllen. Nach dem Konzert pflegte sich der Mann mit dem stählernen Bürstenhaarschnitt im zwanglosen Gespräch mit der Band zu ergehen, wobei er wiederholt die Prognose ›you’ll make millions!‹ vorbrachte. Sie sollte sich nicht bewahrheiten …«

Ihre elegant und mit lakonischem Witz formulierte Bandhistorie dreht die Parodieschraube noch eine Umdrehung weiter hinein in den Holzkopf. Man kennt die superlativistischen Starporträts mit ihren Storys über Tourneen durch die ausverkauften Mammuthallen und Stadien dieser Erde, über die man eigentlich nichts erzählen kann, weil gut geölter Erfolg schlicht langweilig ist. Das ist bei Malmzeit tatsächlich anders. Bei ihren Auftritten in den deutschen Provinzen, in der Baden-Württembergischen Landesvertretung in Berlin, in Rumänien, der Republik Moldau oder gar im »Hochsteuerkanton Bern« warten nicht immer die gleichen jubelnden Massen. Hier ist stets Platz für das Unerwartete und für Begegnungen mit echten Menschen. Etwa der »Schweizer Rock’n’Roll-Legende Reverend Beat-Man aka Beat Zeller«. »Als Solo-Künstler ist er gar noch mini­malistischer unterwegs als wir. Bei Würstchen, Tee und Bier plauderten wir mit ihm über seine jüngste Vietnam-Tour und er beantwortete unsere Fan-Fragen mit der Bern-typischen Bedächtigkeit. Diese äußert sich unter anderem darin, dass Berner mitunter kurz innehalten, in sich hineinhören, reglos dastehen und nachdenken, bevor sie antworten – in vielen Regionen Deutschlands undenkbar.«

Ihre nebenbei mitgeteilten Kommentare, Aperçus und Kalauer zur Lage der Nation, zum Metal im allgemeinen, zu Malmzeits »Trash Metal« (sic!) im besonderen haben ziemlichen Unterhaltungswert, auch wenn man dem Genre gar nicht so viel abgewinnen kann.

Die Puristen werden dagegen mal wieder einiges zu beanstanden haben. Die Nachbereitung eines Malmzeit-Konzerts in Moldau etwa. Hier kommen Neuffer und Scheller mit einem französischen Diplomaten ins Gespräch, der sich prompt als Metal-Fan herausstellt, »aber trotz gemeinsamen Brainstormens fiel uns keine französische Metal-Band von internationaler Bedeutung ein. Wir einigten uns auf Voivod. Immerhin Frankokanadier. Gojira kam uns damals nicht in den Sinn. Bildungslücke – aber mittlerweile behoben.« Gojira, schön und gut, aber da muss einem natürlich Trust einfallen. Und zwar wie aus der Pistole geschossen. Na, Prost Malmzeit!

Jochen Neuffer/Jörg Scheller: Make Metal Small Again. 20 Jahre Malmzeit. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2023, 193 Seiten, 20 Euro

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