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Aus: Ausgabe vom 30.07.2024, Seite 16 / Sport
Olympia

Muxangas Aufwärtshaken

Olympisches Boxturnier: Punktniederlage für Deutschen Magomed Schachidow. Dafür siegt der Superschwere Nelvie Tiafack souverän
Von Oliver Rast
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Offenes Visier: Tiago Muxanga (r.) punktet mit seinem rechten Uppercut (Paris, 28.7.2024)

Eine Szene, die Bände spricht: Er hält die Hände vors Gesicht, verzieht die Mundwinkel, kneift dabei die Augen zusammen. Er weiß, Chance verpasst – eine, die vielleicht nie wiederkommt. Der Halbmittelgewichtler des Deutschen Boxsportverbands (DBV), Magomed Schachidow, unterliegt bei seinem Erstauftritt im Sechzehntelfinale des olympischen Boxturniers in Paris. Das Votum der fünf Punktrichter: 1:4. Triumph für den Mosambikaner Tiago Muxanga, den Vize­meister Afrikas von 2023. Schachidow verlässt den Ring unter den fünf Ringen als Geschlagener.

Dabei hätte es eine schöne Erzählung werden können: Der Münchner Löwe wurde nachnominiert, rückte erst am Donnerstag in das DBV-Team. Der Grund: Bei der Europaqualifikation 2023 im polnischen Kraków zog Schachidow gegenüber Tuğrulhan Erdemir noch nach Punkten den Kürzeren. Der Türke wurde aber im nachhinein wegen eines Dopingverstoßes vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) disqualifiziert. Das freigewordene Olympiaticket konnte der 29jährige Deutsche einlösen.

Zum Fight-Report: Zwei Faustkämpfer, zwei Mentalitäten. Schon beim Einlaufen ist das spürbar. Schachidow betritt am Sonntag abend mit starrem Blick die »North Paris Arena«. Dazu mit viel Körperspannung, möglicherweise zu viel. Muxanga hingegen wirkt lockerer, tänzelt vom Kabinentrakt zum Hochring.

Ring frei, Runde eins. Schachidow agiert aus der roten Ecke, versucht von der Mitte des Seilgevierts zu dominieren. Muxanga ist auf der Hut, blockt, kontert. Schachidow weicht mittels Meidbewegungen aus. Dennoch, der Mosambikaner ist variabler, virtuoser in seinen Schlägen. Vor allem mit seiner Spezialität: dem rechten Aufwärtshaken. Der sitzt ab und an, schlägt beim gebürtigen Tschetschenen ein. Das goutieren die Punktrichter. Alle sehen den Fighter aus Maputo nach der ersten Runde vorne. Das wurmt DBV-Cheftrainer Eddie Bolger in der Ringpause. Der engagierte Ire mahnt seinen Schützling, aktiver zu werden, mehr Hände ins Ziel zu bringen.

Die zweiten drei Minuten in dem Gefecht sind ausgeglichener. Schachidow nutzt nun besser seinen Reichweitenvorteil, meidet den Clinch im Infight, geht auf Distanz, kann seinen Kontrahenten bisweilen an den Seilen stellen. Drei von den fünf Punktrichtern votieren für den Nachnominierten. Sprich: Noch ist nichts verloren, Hoffnung keimt auf. Coach Bolger beschwört seinen Schützling, alles in die Waagschale zu werfen, diese einzigartige Gelegenheit bei Olympia zu ergreifen.

Letzte Runde, die unauffällige Unparteiische gibt das Signal. Los geht’s – und wie. Muxanga stürzt vorwärts, sucht die Entscheidung. Schlagsalven, eine nach der anderen, beide kassieren. Schachidow gelingt es kaum noch, auf Abstand zu boxen. Mit offenem Visier, ohne Defensive gehen die zwei zu Werke. Und wie gehabt: Muxanga punktet mit seinem rechten Uppercut, ausschlaggebend für den Sieg. Nur der US-amerikanische Punktrichter sieht den DBV-Fighter in Front – Resultat: 27:30, 28:29, 27:30, 28:29, 29:28 für den Mosambikaner.

Zwischenbilanz des olympischen Boxturniers aus deutscher Sicht: Zwei des DBV-Trios sind raus. Bereits am Sonntag mittag musste sich die Halbfliegengewichtlerin Maxi Klötzer der indischen Doppelweltmeisterin Nikhat Zareen geschlagen geben. Die Chemnitzerin verlor einstimmig nach Punkten 0:5.

Aber, tief durchatmen: Deutschlands letzte Olympiahoffnung, der Superschwere Nelvie Tiafack brilliert am Montag mittag. Der Pfundskerl vom SC Colonia hat den doppelten WM-Dritten, den starken Aserbaidschaner Məhəmməd Abdullayev vor den Fäusten.

Beide kennen sich, standen bereits zweimal bei Wettkämpfen im Ring, eine ausgeglichene Bilanz. Indes mit dem psychologischen Vorteil für Abdullayev, der den DBV-Boxer und Europameister von 2022 beim vergangenen Aufeinandertreffen bezwingen konnte – im Halbfinale der European Games 2023 per Mehrheitsentscheidung.

Ein Vorteil, der dann doch keiner ist. Gong zur ersten Runde, ein verhaltener Beginn. Abtasten, gegenseitiges Fixieren, wenig Action. Wenn Akzente, dann kommen sie von Tiafack. Zwei-, dreimal landet seine rechte Gerade im Ziel, Kopftreffer. Erste Runde geht klar an den Deutschen. Tiafacks Heimcoach Lukas Wilaschek sagt in der Ringpause: »Er wird jetzt kommen.«

Hm, aber nur ein bisschen. Abdulla­yev switscht in Runde zwei hin und her, mal Normalauslage, mal Rechtsauslage. Tiafack bleibt cool, lässt sich von der taktischen Finesse nicht kirre machen. Bleibt nach den zweiten drei Minuten vorn. Und baut seinen Vorsprung in der letzten Runde aus, ganz souverän. Einstimmiger Punktsieg: 30:27, 29:28, 29:28, 30:27, 29:28.

Was nun? Am Freitag nachmittag geht es für Tiafack weiter. Sein Kontrahent wird dann Diego Lenzi sein. Der Italiener setzte sich nach Punkten gegen den US-Amerikaner Joshua Edwards durch.

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