Pistorius an Bord
Von Jörg KronauerEins muss man Verteidigungsminister Boris Pistorius lassen: Sinn für Propaganda hat er. Seine Forderung, die alte Germanenrepublik müsse wieder »kriegstüchtig« werden, hat sich in den Köpfen festgesetzt. 2029? Wer ein wenig aufgepasst hat, weiß: Das ist das Jahr, in dem Deutschland und seine Streitmacht kriegsbereit sein sollen. Also drängt die Zeit. Und nun platzt mitten in die Sommerpause die Nachricht, der Minister halte sich zu einem »Truppenbesuch« auf Hawaii auf. Auch wer sonst überhaupt nichts mitbekommt, weiß jetzt: Deutschland ist eine Militärmacht, und zwar nicht irgendeine – sein Operationsgebiet schließt nicht nur Ost- und Nordsee und das Mittelmeer ein, sondern auch den Pazifik, faktisch also die ganze Welt.
Erdoberfläche im Blick
»Melde mich an Bord!« Mit diesen Worten traf Pistorius am Mittwoch auf der Fregatte »Baden-Württemberg« ein, die gemeinsam mit dem Einsatzgruppenversorger »Frankfurt am Main« und mit mehreren Kampfjets der deutschen Luftwaffe schon seit Wochen an RIMPAC 2024 teilnimmt, dem größten Marinemanöver der Welt. 25.000 Soldaten aus 29 Staaten sind mit rund 40 Schiffen, drei U-Booten und mehr als 150 Flugzeugen und Hubschraubern zugegen – und der deutsche Verteidigungsminister war jetzt mittendrin. Zuvor hatte er einen Kranz am USS Arizona Memorial niedergelegt, das an die 1.177 Besatzungsmitglieder des gleichnamigen US-Kriegsschiffs erinnert, die während des japanischen Angriffs auf Pearl Harbour am 7. Dezember 1941 zu Tode kamen. Danach war Pistorius mit Admiral Samuel Paparo zusammengetroffen, dem Kommandeur des U.S. Indo-Pacific Command mit Sitz auf Hawaii; Paparo leitet RIMPAC 2024, er wäre im Kriegsfall für sämtliche US-Operationen in der Asien-Pazifik-Region verantwortlich. Das Indo-Pacific Command habe »mehr als 50 Prozent der Erdoberfläche im Blick« und führe rund 300.000 Soldaten, twitterte beeindruckt das deutsche Verteidigungsministerium: Auch so lassen sich Weltherrschaftsansprüche formulieren.
Pistorius wird am heutigen Freitag, so kündigt es jedenfalls die Bundesregierung an, von Hawaii nach Südkorea aufbrechen und von dort aus am Sonntag auf die Philippinen fliegen. Details zu Pistorius’ Gesprächen in Seoul wurden bis Redaktionsschluss nicht bekannt; das Verteidigungsministerium teilte lediglich mit, man betrachte den Besuch als »Zeichen enger Verbundenheit«. In Südkorea werden auch die »Baden-Württemberg« und die »Frankfurt am Main« erwartet. Sie sollen dort – wie bereits 2021 die Fregatte »Bayern« – an der Überwachung der UN-Sanktionen gegen Nordkorea teilnehmen. Die wird – anders, als es die Aufgabenbezeichnung suggeriert – nicht von den Vereinten Nationen durchgeführt, sondern in Eigenregie von den Vereinigten Staaten, die dazu im Jahr 2018 eine »Koalition der Willigen« installiert haben. Den inneren Kern bilden die Five Eyes, ein Spionagepakt, der seine Ursprünge im Zweiten Weltkrieg hat und dem neben den USA Kanada, Großbritannien, Australien und Neuseeland angehören. Ein Mandat des Bundestags liegt – auch das wie schon 2021 – für die Beteiligung an der Sanktionsüberwachung nicht vor.
Durch die Taiwanstraße
Noch unklar ist, ob die beiden deutschen Kriegsschiffe im weiteren Verlauf ihres Manövertrips außer dem Südchinesischen Meer allgemein auch die Taiwanstraße im besonderen durchfahren werden. Pistorius hatte das im Mai – wie zuvor schon Außenministerin Annalena Baerbock – ausdrücklich offengehalten: »Angesichts der Tatsache, dass es einige Verbände von Verbündeten und Alliierten gibt, die dort durchfahren«, erklärte er, »ist das natürlich eine Option«. Die Volksrepublik hatte davor immer wieder gewarnt; auch jetzt wurde der Sprecher des chinesischen Außenministeriums Lin Jian mit der Äußerung zitiert, China habe das Recht auf freie Schiffahrt stets respektiert, spreche sich aber entschlossen gegen Provokationen gegen seine Souveränität und seine Sicherheit aus. Man hoffe, es trügen jetzt keine äußeren Mächte Unfrieden in die Region hinein.
Genau das ist freilich schon längst der Fall – und Hardliner trommeln ganz offen dafür, dass die Spannungen weiter zunehmen. Das Handelsblatt druckte jüngst einen Gastkommentar des in Taiwan ansässigen Korrespondenten Klaus Bardenhagen ab, der von Berlin im Umgang mit Beijing mehr »Mut« forderte – eine Chiffre für eine aggressivere Politik. Als Vorbild nannte Bardenhagen den tschechischen Senatspräsidenten Miloš Vystrčil, der am 1. September 2020 in einer Rede vor dem taiwanischen Parlament mit der Kennedy-Phrase protzte: »Ich bin ein Taiwaner.« Mit Blick auf die gegenwärtigen Asien-Pazifik-Manöver der Bundeswehr urteilte das Handelsblatt immerhin schon zufrieden: »Deutschland demonstriert Stärke gegenüber China.« Mit Kriegsschiffen in Ostasien »Stärke demonstrieren«, das kennt man aus dem Deutschen Kaiserreich. Wo – für alle Beteiligten – das Machtgehabe endete, ist bekannt.
HintergrundRüstungs- und Militärpartner Südkorea
Die Beziehungen der Bundeswehr zu Südkorea sind bislang nicht besonders eng. Sie werden zur Zeit aber intensiviert und sollen noch weiter ausgebaut werden. Dass die deutschen Streitkräfte bei ihren Asien-Pazifik-Manöverfahrten mit südkoreanischen Truppen gemeinsam üben – so etwa bei RIMPAC 2024 oder beim Luftwaffenmanöver Pitch Black in Australien –, trägt ebenso dazu bei wie Besuche deutscher Kriegsschiffe. Berlin wünscht allerdings mehr. Im vergangenen Jahr hielt sich der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, zu ausführlichen Gesprächen mit Südkoreas Generalstabschef Kim Seung-kyum in Seoul auf. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius könnte weitere Schritte einleiten.
Schon heute recht stark sind allerdings die Rüstungsbeziehungen; und sie sind noch deutlich stärker, bezieht man auch die EU mit ein. Der Wert der deutschen Rüstungsexporte nach Südkorea lag seit 2006 nie unter 150 Millionen und nur selten unter 200 Millionen Euro pro Jahr; damit gehörte Südkorea fast durchweg zu den größten Käufern deutschen Kriegsgeräts. Die Rüstungsexporte des Landes insgesamt bewegten sich noch Ende der 2010er Jahre bei kaum zwei bis drei Milliarden US-Dollar im Jahr; 2023 lagen sie bereits bei 14 Milliarden US-Dollar, in diesem Jahr könnten sie 20 Milliarden US-Dollar erreichen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass EU-Staaten begonnen haben, sich bei südkoreanischen Waffenschmieden mit Kriegsgerät einzudecken. Polen etwa bestellte vor zwei Jahren rund 1.000 Kampfpanzer des Typs K2 »Black Panther«, rund 700 Panzerhaubitzen K9 und 48 leichte Kampfflugzeuge des Typs FA-50 für rund 14,3 Milliarden Euro – alles aus südkoreanischer Produktion. Unlängst hat Rumänien 54 Panzerhaubitzen K9 und weitere Waffen für 1,3 Milliarden US-Dollar in Südkorea bestellt, und es zieht den Kauf von bis zu 500 Kampfpanzern K2 »Black Panther« in Betracht. (jk)
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