Zur Angriffsplattform ausbauen
Von Jörg KronauerDie letzte Station, die Verteidigungsminister Boris Pistorius auf seinem Asien-Pazifik-Trip ansteuern wird, könnte sich als die folgenreichste erweisen: Er fliegt am Samstag aus Südkorea gleich weiter auf die Philippinen. Die USA hatten den Inselstaat unmittelbar nach Russlands Angriff auf die Ukraine erheblich unter Druck gesetzt, das Streben nach einem auf Ausgleich bedachten Kurs zwischen Washington und Beijing aufzugeben und sich auf seiten der Vereinigten Staaten zu positionieren. Die Regierung in Manila kommt dem seither umstandslos nach. Sie hat den US-Streitkräften die Nutzung neuer Stützpunkte eingeräumt – drei nahe Taiwan, einer am Südchinesischen Meer –, lässt gemeinsame Kriegsübungen mit den US-Streitkräften durchführen – zuletzt auch auf den Batanes, den im Norden vorgelagerten, nicht weit von Taiwan entfernten philippinischen Inseln –, und bindet ihr Land in das US-Bündnissystem in Ostasien ein: Im Juli hat sie ein Abkommen mit Japan geschlossen, das eine wechselseitige Stationierung von Truppen im jeweils anderen Land erlaubt. Nicht ausgeschlossen ist sogar ein noch weiterreichender Militärpakt mit Tokio.
China hat auf das Bestreben, die Philippinen faktisch zur Angriffsplattform für US-Truppen auszubauen, reagiert: Es hat am Second Thomas Shoal, einem Riff im Südchinesischen Meer, die Folgen einer Konflikteskalation deutlich gemacht. Das Riff wird von beiden Ländern beansprucht; die Philippinen hatten allerdings bereits 1999 ein altes, rostiges Kriegsschiff, die Sierra Madre, dort auf Grund laufen lassen und einige Soldaten stationiert, aus ihrer Sicht rechtmäßig, illegal aus Sicht Beijings. China verleiht seit Februar 2023 seiner Sicht der Dinge immer mehr Nachdruck, geht gegen philippinische Schiffe vor, die den Militärs auf der Sierra Madre Versorgungsgüter liefern. Die chinesische Marine attackierte Manilas Versorgungsschiffe mit Wasserkanonen, zuletzt enterten chinesische Soldaten sogar eines von ihnen. Vor zehn Tagen einigten sich beide Seiten auf die Modalitäten der künftigen Versorgung der Sierra Madre, doch sie sind sich nicht einmal über die Interpretation ihres Abkommens einig. Eine Eskalation bis zu offenen Kämpfen ist womöglich nur eine Frage der Zeit.
Und dann? Erst am Dienstag trafen US-Außenminister Antony Blinken sowie US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Manila ein, um mit ihren beiden Amtskollegen im Rahmen eines sogenannten Zwei-plus-zwei-Treffens das künftige gemeinsame Vorgehen zu besprechen. Unter anderem sagten sie Manila Militärhilfe im Wert von einer halben Milliarde US-Dollar zu. Seit 1951 besteht bereits ein Verteidigungsabkommen, in dem sich beide Staaten – zumindest theoretisch – verpflichten, dem anderen Staat, wenn er attackiert wird, zu Hilfe zu kommen. Der Konflikt um das Second Thomas Shoal und um die Sierra Madre ist ein potentieller Auslöser für einen Krieg zwischen China und den USA.
Zugleich gießt Washington immer mehr Öl ins Feuer. Kürzlich haben die US-Streitkräfte im Rahmen einer gemeinsamen Kriegsübung Mittelstreckenwaffen auf die Philippinen gebracht und dort damit hantiert. Offiziell sollen sie wieder abgezogen werden; doch wer weiß schon, ob das wirklich geschieht. Ganz davon abgesehen: Die USA haben mit der Verlegung gezeigt, dass sie die Maßnahme zu jeder Zeit ohne weiteres wiederholen können. Welche Konsequenzen die Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Schussweite eines Feindes der Vereinigten Staaten haben kann, ist in Deutschland hinlänglich bekannt.
Und Pistorius? Er wird wohl ebenfalls Brandbeschleuniger mitbringen. Bereits im Januar hatte Außenministerin Annalena Baerbock Manila die Lieferung von Drohnen zugesagt. Im März sprachen Kanzler Olaf Scholz und der Präsident der Philippinen, Ferdinand Marcos, unter anderem über etwaige Waffenlieferungen. Laut Berichten sollen die beiden deutschen Kriegsschiffe, die aktuell bei Hawaii an der Seite der USA den Seekrieg proben, auf den Philippinen Station machen. Pistorius macht die Bundesrepublik nicht nur in Europa, sondern auch im Pazifik »kriegstüchtig«.
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