Begnadigung in Minsk
Von Reinhard LauterbachDer belarussische Präsident Alexander Lukaschenko hat den 30jährigen Deutschen Rico K. begnadigt, der Ende Juni von einem Gericht in Minsk zum Tode verurteilt worden war. Das meldete die belarussische Nachrichtenagentur Belta Anfang der Woche unter Berufung auf das Präsidialamt in Minsk. Auch das Auswärtige Amt in Berlin bestätigte die Begnadigung und äußerte »Erleichterung« über den glimpflichen Ausgang der Angelegenheit.
K. war im November 2023 festgenommen worden, nachdem er im Auftrag des ukrainischen Geheimdienstes SBU militärische Einrichtungen fotografiert und einen Rucksack mit Sprengstoff auf einem Bahnhof abgestellt hatte. Der explodierte, bevor ein Zug kam und jemand zu Schaden kommen konnte. K. hatte sich 2022 dem aus belarussischen Regierungsgegnern bestehenden »Kastus-Kalinouski-Regiment« angeschlossen, das an der Seite der ukrainischen Armee gegen Russland kämpft. Einem Video im russischen Dienst des deutschen Staatssenders Deutsche Welle zufolge zählt die Einheit einige hundert Kämpfer und bereitet sich auf einen bewaffneten Staatsstreich in Belarus vor. Einige der am Rande ihrer Ausbildung interviewten Rekruten äußerten anarchistische Auffassungen, andere faschistische.
Der verurteilte Deutsche hatte ein Gnadengesuch an den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko gerichtet, im belarussischen Fernsehen seine Schuld bekannt und seine Aktivitäten gegen das Land »zutiefst bedauert«. Nach seiner Begnadigung wird spekuliert, ob ein größerer Gefangenenaustausch zwischen Russland und vor allem den USA bevorsteht. Die USA wollen den in Russland kürzlich wegen angeblicher Spionage zu 16 Jahren Haft verurteilten Reporter des Wall Street Journals, Evan Gershkovich, freibekommen. Russland ist vor allem an der Freilassung des in Deutschland eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßenden »Tiergartenmörders« Wadim Krassikow interessiert. Dass Russland und die USA in dieser Sache miteinander verhandelt haben, kann als gesichert gelten. In diesem Kontext könnte es so gewesen sein, dass Rico K. gezielt als Austauschkandidat festgenommen und verurteilt wurde, um die Bundesregierung mit in die Austauschverhandlungen zu holen. Denn die deutsche Justiz müsste einer Freilassung von Krassikow zustimmen.
Diese Hypothese wird gestützt durch die unklaren Angaben, wo genau der Deutsche festgenommen wurde. Ursprünglich hieß es, dies sei im russisch-belarussischen Grenzgebiet geschehen, und zwar durch russische Soldaten. Dann hätte Russland ihn im Prinzip auch selbst aburteilen können. Warum er dann nach Belarus abgeschoben wurde, das als einziges europäisches Land noch die Todesstrafe verhängt, ist schwer nachvollziehbar, außer in einem Szenario, wo maximaler politischer Druck auf die Bundesregierung aufgebaut werden soll, einer Freilassung von Krassikow zuzustimmen.
Möglicherweise hängen auch Meldungen aus Russland, dass zuletzt mehrere prominente Putin-Gegner aus ihren bisherigen Hafteinrichtungen in unbekannte Richtung verlegt worden sind, mit dieser Entwicklung zusammen.
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