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Aus: Ausgabe vom 01.08.2024, Seite 8 / Ansichten

Schlechteste Variante

Debatte um Stationierung von US-Waffen
Von Arnold Schölzel
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Muss angesichts der wachsenden Spannungen einen kühlen Kopf bewahren: Chinas Außenamtschef Wang Yi (Vientiane, 28.7.2024)

Die Mitteilung aus Washington vom 10. Juli über die Stationierung neuer weitreichender US-Waffen in der Bundesrepublik war ebenso kurz wie ungeheuerlich, ihre Wirkung entfaltet sie nur langsam. In vier Sätzen kündigten beide Regierungen an, dass sie das militärische Gleichgewicht mit Russland in Europa zugunsten der NATO verschieben wollen. Die Behauptung, es gehe darum, der russischen Aufrüstung etwas entgegenzusetzen, ist eine Lüge. Am Mittwoch wies jedenfalls der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner in einem WDR-Interview darauf hin, dass die NATO bei see- und luftgestützten Mittelstreckenraketen, mit denen weit entferntes russisches Territorium erreicht werden kann, Russland »deutlich überlegen« sei. Sie seien nur nicht so schnell und so beweglich wie die nun angekündigten landgestützten Geschosse. Mit deren Stationierung wächst die Gefahr eines unbeabsichtigt ausgelösten Krieges.

Mag sein, dass dies der Grund war, warum die Mitteilung vom 10. Juli nur bilateral verfasst wurde, obwohl alle 32 NATO-Mitgliedstaaten in Washington zum Gipfel versammelt waren. Zu heiß? Als Helmut Schmidt vor 45 Jahren den NATO-Doppelbeschluss herbeiführte, bemühte er sich darum, dass die US-Marschflugkörper und Raketen in mehreren Ländern Westeuropas stationiert wurden. Davon ist bei einem Kanzler Olaf Scholz keine Rede mehr. Wie auch nicht davon, dass in Polen und Rumänien zwei US-Basen existieren, die angeblich zur Raketenabwehr dienen sollen, in Wirklichkeit aber schnell auf Angriff umgerüstet werden können. Die landgestützten Raketen sind da.

Aber damit nicht genug. Am Sonntag einigten sich Japan und die USA auf ein gemeinsames militärisches Hauptquartier und auf »erweiterte Abschreckung«. Das »erweitert« bedeutet: Atomwaffen inbegriffen. Das geschah wenige Tage vor den Jahrestagen der US-Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Am Freitag hatte der chinesische Außenminister Wang Yi beim ASEAN-Treffen in Vientiane die Philippinen davor gewarnt, US-Mittelstreckenraketen zu stationieren. Seit April befindet sich dort nämlich das »Typhon« genannte neue US-Startsystem für SM-6-Raketen und »Tomahawk«-Marschflugkörper. Das soll 2026 auch in die Bundesrepublik kommen. Angeblich zeitweilig, wie auf den Philippinen. Provisorien können lange halten.

So wird ein Kreis, ein Einkreisungsring geschlossen: Die atomare Aufrüstung gegen China und die Drohung mit Mittelstreckenraketen zielt nicht nur auf die Volksrepublik. Zusammen mit der Stationierung in der Bundesrepublik wird die Situation wiederhergestellt, die während des Kalten Krieges existierte.

Stegner meinte, Aufrüstung sei gegenwärtig die »schlechteste Variante«. Er irrt sich. Die schlechteste Variante ist Krieg an mehreren Fronten. Den bereiten die USA und ihre willigen Helfer in West und Ost systematisch vor.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (1. August 2024 um 07:55 Uhr)
    Die Kriegsertüchtigung dieses Landes ist in vollem Gange. Wer glaubt, dass die Stationierung von weiteren atomwaffenfähigen Raketen in der BRD ohne Antwort vom erklärten Feind bleiben wird, der ist naiv. Die Rüstungsspirale dreht sich wieder, und wenn Herr Scholz behauptet, dies sei eine Antwort auf die Kündigung von Abrüstungsverträgen durch Russland, dann rechnet er damit, dass seine Bürger ein kurzes Gedächtnis haben.

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