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Aus: Ausgabe vom 01.08.2024, Seite 10 / Feuilleton
Festivalsommer

Mit einem Spritzer Schlamm

Glücklich sein auf dem Herzberg-Festival
Von Thomas Behlert, Herzberg
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Nur nicht nackig machen: Ekstase auf dem Burg-Herzberg-Festival (Breitenbach am Herzberg, 26.7.2024)

Warum ist der Arsch im Himmel, der für das Wetter verantwortlich ist, so schlecht auf das Hippiefestival bei Breitenbach am Herzberg zu sprechen? Immer wieder lässt er es auf Freak-City und Festivalgelände abregnen. Der Traum, mit der Liebsten auf einer Decke an der großen Bühne zu lümmeln, Bier zu trinken, nicht mehr genehmigungspflichtige Kräutermischungen zu verbrennen, die besondere Magie der verschiedenen Musikrhythmen einzusaugen und gegen Morgen des anderen Tages vornüber zu kippen, verpufft in den dunklen Wolken. Donnerstag war noch alles gut, als bei Orange, die altgediente Herzberger gerne als Hausband vom »Berch« bezeichnen, Klänge aus den Bereichen Goa, Trance und Kraut tief in die Eingeweide drangen. Da war tanzend ausflippen oder musikalisch bekifft in den dunklen Himmel starren angesagt.

Noch bevor unsere kleine Reisegesellschaft am Hof Huhnstadt einfährt, kommt uns ein älteres Pärchen entgegen, das frisch, frei und vollkommen nackt auf Fahrrädern über die Hauptstraße rumpelt. Wir jubeln, werfen verzückt unsere Handys in den Kofferraum, da es sowieso keine Verbindung geben wird, trinken die ersten Biere und lassen uns anschließend von den freundlichen Ordnern zum nächstbesten Standplatz geleiten. Kurz aufgebaut und schon hasten wir zu den ersten Konzerten.

Alles kam am Wochenende von den Bühnen: von Folk, Bluesrock bis zu Reggae, Jazzrock und lupenreinem Krautrock. Dazu gab es Workshops, Kinderbelustigung, Lesungen und immer wieder großartige psychedelische Musik. Am ersten Abend erobern Agitation Free die Herzen der gutgelaunten und friedlichen Zuschauer. Sie interpretieren ihr neues Album »Momentum«, ein Experiment aus 70er-Jahre-Rock, Elektronik, Jazz und Trance. Irgendwann am Morgen vergesse ich die Nummer unseres Park­weges und stolpere trotzdem trunken vor Glück über den Acker, auf dem ansonsten Getreide sprießt oder Pferde grasen. Freunde finden mich schlummernd zwischen großen Zeltgebilden.

Die auf dem Hippiefest gereichten alkoholischen Getränke sind einheimisch und wohlschmeckend. Nieder mit den Kapitalisten. Statt temporären Supermarkt- und Drogeriefilialen gibt es eine Hippiemarktstrecke, selbstgeformte Seifen, Speisen aus allen Weltregionen, Kräuterausgabestellen, Zelte mit Yoga- und Massageangeboten und fair gehandelte Textilien, an denen kein Blut von Kinderhänden klebt. Überall befolgten die Herzberg-Jünger das Festivalmotto: »Hippeace United«.

Zurück zur Musik: Immer mal wieder muss man von der großen Mainstage zu den kleineren Bühnen hasten. Dort spielte das achtköpfige Hippiekollektiv The Magic Mumble Jumble, die ihr neues Album »Live at Burg Herzberg« im Gepäck haben, Jazz, Pop und Indie mit einigen Spritzern Folk. Bei Calexico gibt es Mariachi-Trompeten, Vibraphon und Pedal-Steel-Gitarren für den ­Groove. El Perro bieten Funk, Latin Rock und Soul, während Loki in die Folktronica einführt, eine zarte Verbindung von Folk mit elektronischen Einsprengseln, wobei ihre Stimme rau und heiß klingt – zum Verlieben. Herrlich auch die liebevollen Midtempo Beats der Bachratten. Britpop kommt von Kula Shaker, Wolfmother zeigen, wo der Bluesrockhammer hängt.

Ein psychedelischer Melodie­bogen zog sich durch die drei Tage und schlang sich beruhigend um die Krautrocker von Kraan, bei denen die Urmitglieder Hellmut Hattler (Bass), Peter Wolbrandt (Gitarre und Gesang) und Jan Fride Wolbrandt (Schlagzeug) einen leidenschaftlichen Jazzrock spielten, dass die Zuschauer vor Begeisterung nicht mehr stillstehen konnten. Leider verpasste ich den Höllenschuppen, der jedes Jahr mit psychedelischen und progressiven Space­klängen aufwartet und oft unbekannte Musiker auf die Bühne stellt, von denen man nach dem Konzert nicht mehr lassen kann. Fazit: Das Herzberg-Festival endete am Sonntag abend in Wohlgefallen mit einem Spritzer Schlamm.

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