Maulkorb fürs Parlament
Von Philip TassevDie geplante Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik und die Ankündigung derselben lösen bis hinein ins Regierungslager scharfe Kritik aus. Politiker besonders vom »linken« Flügel der SPD stören sich an der Tatsache, dass die Heranschaffung der Todbringer ohne Zustimmung des Bundestages geschehen soll. Selbst aus der CDU kommen Stimmen, die verlangen, das Thema gehöre ins Parlament.
Dabei ist dessen Zustimmung überhaupt nicht nötig, meinen die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages. Eine aktuelle Kurzinformation, die sich mit der Frage auseinandersetzt, »auf welche Rechtsgrundlage sich die Vereinigten Staaten und die Bundesrepublik Deutschland berufen können, um US-amerikanische Raketen in der Bundesrepublik zu stationieren und ob der Bundestag in diese Entscheidung hätte eingebunden werden müssen«, verneint eine Zustimmungspflicht der Mehrheit der Abgeordneten.
Die Juristen beziehen sich auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) von 1984, das damals feststellte, die Rechte des Bundestages seien durch die Aufstellung von US-Atomwaffen in der BRD auf Grundlage des NATO-Doppelbeschlusses nicht verletzt worden. Ausreichend sei die Zustimmung der Bundesregierung »im Rahmen des Verteidigungssystems der NATO«, geregelt im »Nordatlantikvertrag« von 1949 und dem »Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte« von 1954. Karlsruhe urteilte damals: »Die Zustimmung zur Aufstellung von Mittelstreckenwaffen der Vereinigten Staaten von Amerika in der Bundesrepublik Deutschland bedurfte (…) nicht der vorherigen Ermächtigung des Bundestages in der Form des Gesetzes.« Da die für 2026 geplante Stationierung »ebenfalls im Rahmen des NATO-Bündnissystems« ablaufen werde, gelte die Entscheidung von 1984 auch in diesem Fall.
Die US-Raketen sollen laut Bundeswehr eine angebliche »Fähigkeitslücke« schließen. Dass diese »Lücke« so nicht existiert, erklärte am Freitag der Nuklearwaffenexperte Hans Kristensen gegenüber Journalisten. So seien Marschflugkörper vom Typ »Tomahawk« (Reichweite: 1.600 Kilometer) längst Bestandteil des Arsenals der britischen Royal Navy, während die Luftwaffen Finnlands, Polens und der Niederlande über Cruise-Missiles vom Typ JASSM-ER (Reichweite: 1.000 Kilometer) verfügen. Die französische Marine wiederum kann mit dem »Missile de Croisière Naval« (MdCN) ebenfalls auf einen Marschflugkörper zurückgreifen, der mit einer Reichweite von bis zu 1.400 Kilometern in den Bereich fällt, der im 2019 außer Kraft gesetzten INF-Vertrag geregelt war.
Kristensen wies darauf hin, dass es bei der Stationierung nicht um Nuklearwaffen gehe. Die SM-6-Raketen dienten in erster Linie der Bekämpfung von Luftzielen, während es sich bei den »Tomahawks« um konventionelle Waffen handle. Es habe zwar früher auch eine atomwaffenfähige Variante gegeben, die sei aber inzwischen verschrottet worden. Dennoch bestehe weiterhin die Gefahr einer nuklearen Eskalation, wie Juliane Hauschulz von der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) erläuterte. Das gilt insbesondere für die geplante Indienststellung von US-Hyperschallraketen. Mit ihrer enormen Geschwindigkeit von bis zu Mach 17 verringern sie die Vorwarnzeit auf wenige Minuten und erhöhen so die Wahrscheinlichkeit von »Unfällen« oder »Missverständnissen« – mit möglicherweise fatalen Konsequenzen. Moskau behält sich im Falle eines Angriffs auf strategische Einrichtungen wie etwa sein Atomwaffenarsenal, auch mit konventionellen Waffen, eine nukleare Antwort vor.
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»Klar sagen, wer Aggressor ist«
nach Artikel 80a Absatz 3 Grundgesetz der Krieg ("Spannungsfall") auch
"auf der Grundlage und nach Maßgabe eines Beschlusses zulässig, der von
einem internationalen Organ im Rahmen eines Bündnisvertrages mit
Zustimmung der Bundesregierung gefaßt wird."
Der Krieg an Seite der NATO kann also auch ohne die 2/3-Mehrheit des
Bundestages und nur mit Zustimmung der Bundesregierung beginnen, wenn
die Waffen dann erst einmal in Deutschland stehen.