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Aus: Ausgabe vom 03.08.2024, Seite 2 / Ausland
Rechte Gewalt in England

»Sie hatten Brandsätze vorbereitet«

Vereinigtes Königreich: Rechter Mob randaliert in Southport. Angriffe auf Moschee und Polizei. Gespräch mit Sean Halsall
Interview: Dieter Reinisch
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Bei den ultrarechten Pogromen gegen Muslime wurde auch ein Polizeiwagen angezündet (Southport, 30.7.2024)

Im englischen Southport sind am Dienstag abend zahlreiche Neonazis aufmarschiert. Sie legten Brände und lieferten sich Gefechte mit der Polizei. Die Rechten attackierten auch eine Moschee. Wie kam es dazu?

Zur Vorgeschichte: Am Montag hatte es einen Messerangriff auf eine Taylor-Swift-Tanzklasse gegeben. Kleine Kinder im Alter von drei bis elf Jahren nahmen daran teil, und ein 17jähriger hat sie mit einem Messer attackiert. Es gibt keine Informationen, wieso er das getan hat. Drei Kinder sind gestorben, mehrere wurden verletzt. Schrecklich, was hier geschehen ist.

Was danach passierte, machte die Ereignisse noch zehnmal schlimmer: Inmitten der Trauer haben extrem rechte Personen versucht, aus den Ereignissen Kapital zu schlagen und Falschinformationen gesät. Sie behaupteten, der junge Mann sei ein abgelehnter, wütender Asylsuchender gewesen und dergleichen. Einen Tag später wurde dann aber klar, dass er in Cardiff geboren wurde. Dennoch verbreiteten die Rechten sehr viel Hass in den sozialen Medien. Bekannte Gesichter wie Tommy Robinson (bürgerlicher Name Stephen C. Yaxley-Lennon, jW), Nigel Farage und Laurence Fox versuchten, die Leute aufzuhetzen. Diese Situation führte zu den Ausschreitungen in der darauffolgenden Nacht.

Welche Gruppen waren daran beteiligt?

Patriotic Alternative ist die neueste Gruppe in dieser Szene. Die sind sehr aktiv in den sozialen Medien und möchten sich als respektable Gruppe darstellen. Es wird versucht, kulturelle Diskurse zu beeinflussen und weniger auf Straßenaktionen gesetzt als früher. Auch ehemalige Mitglieder der British National Party und der English Defence League waren am Tag der Ausschreitungen in der Stadt.

Gab es Anzeichen dafür, was die Faschisten planten?

Es gab eine Trauerkundgebung, an der rund 1.000 Menschen teilnahmen, ich war auch dort. Aber da waren auch Personen von außerhalb, etwa Leute mit Tattoos von Millwall. Das ist ein Fußballverein, Millwall ist 300 Kilometer weit weg. Niemand hier unterstützt den Verein, die Leute waren nicht von hier. Die Rechten hatten angekündigt, vor der Trauerkundgebung eine Demonstration abzuhalten. Dazu kam es nicht, und wir vermuten, dass sie das nur verlautbart hatten, um zu sehen, wieviel Polizei in der Stadt ist.

Meine Frau und ich sind auf dem Weg von der Kundgebung nach Hause bei der Moschee vorbeigefahren, um zu sehen, wie die Lage ist. Der Imam ist ein Freund von mir. Im gesamten Umkreis war keine Polizei zu sehen. Um die Ecke gab es aber eine Gruppe junger Männer, die Vorbereitungen für die Krawalle getroffen hat. Sie waren sehr gut organisiert und hatten Brandsätze, Wurfgeschosse und derartiges vorbereitet. Die Moschee steht an einer Kreuzung. Sie sind dann von allen vier Seiten auf sie zugegangen. Am rechten Protest haben weit weniger als 500 Leute teilgenommen.

Wie hat die lokale Bevölkerung reagiert?

Schockiert und angewidert. Ich war während der Nacht mit dem Imam in Kontakt, und er hatte sehr große Sorge um seine Gemeinde. Am nächsten Morgen fuhr ich an den Ort der Krawalle, und es waren schon Leute da und haben den ganzen Müll weggeräumt, damit es um die Moschee wieder ordentlich aussah. Das hat mich aufgebaut. In der Nacht davor hatte es noch wie ein Kriegsgebiet ausgesehen.

Was ist an den Tagen danach passiert?

Es war sehr ruhig. Die Mobilisierungen brachen rasch zusammen, weil die Randalierer nicht aus der Gegend kamen. Nur eine ganz kleine Gruppe aus der Stadt war dabei. Einige wollten ihre Aggressionen abbauen und was erleben. Aber die extreme Rechte hat in der Gegend keine Präsenz.

In den vergangenen Nächten ereignete sich ähnliches in anderen Städten des Landes. Wie entwickelt sich die extreme Rechte in England derzeit?

Das Problem ist grundlegend: Wir haben eine Labour-Regierung, die nicht willens ist, die Schwierigkeiten der arbeitenden Menschen anzupacken, vor allem nicht die Konflikte bei den öffentlichen Diensten. Das schafft dann weiterhin ein Vakuum, in das die extreme Rechte hineinstößt und rekrutiert. Von der Linken wird die Arbeiterklasse einfach im Stich gelassen.

Die Linke muss zusammenkommen, wie etwa in Frankreich, und wieder das Narrativ übernehmen. Über Parteipolitik funktioniert das in England derzeit nicht.

Sean Halsall ist seit seinem Austritt aus der Labour-Partei im Frühjahr 2024 unabhängiger, linker Gemeinderat im englischen Southport

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