75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Dienstag, 17. September 2024, Nr. 217
Die junge Welt wird von 2939 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 03.08.2024, Seite 5 / Inland
Stadtentwicklungspolitik

»Shoppingmalls zu Sorgezentren«

Berlin: Leerstand bei Einkaufszentren. Senat planlos. Linke für soziales Umbauprogramm
Von Oliver Rast
imago0109753739h.jpg
Park Center Treptow in der Hauptstadt: Wird kaum als Konsumtempel genutzt, braucht dringend ein neues Konzept

Für einige sind es Wohlfühlinseln mit allerlei Extraschnickschnack, für andere eine Freizeitbeschäftigung im sonst so tristen Alltag und für weitere wiederum nur Orte konsumtiver Rundumversorgung. Richtig, die Rede ist von Shoppingcentern; altmodisch formuliert: Einkaufszentren.

Was indes auffällt: Einige der mehrstöckigen Konsumboulevards aus Glas und Beton in Berlin werden kaum frequentiert. Zeitweise zumindest. Wenig Publikum, wenig Kunden, wenig Kauflustige – oder: viel pulsiert hier nicht. Das weiß auch Katalin Gennburg (Die Linke). Deshalb hat die Sprecherin für Stadtentwicklung und Bauen ihrer Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus unlängst eine schriftliche Anfrage an die zuständige Senatsverwaltung von Ressortchef Christian Gaebler (SPD) gestellt, die jW vorliegt. Gleichfalls die Antworten auf die Frage: »Verkennt der Senat das Potential des zunehmenden Leerstands von Shoppingcentern?«

Tja, einfache Frage, schwierige Antwort. Denn dem Senat liegen nicht alle Informationen »in der gewünschten Aufschlüsselung vor bzw. unterliegen datenschutzrechtlichen Beschränkungen«, heißt es. Soviel ist aber sicher: Etwa ein Drittel der Center weist erhöhte Leerstände auf. Eigentümer hätten auf die Situation reagiert, Umbauten vorgenommen, stärker auf eine Nutzungsmischung beispielsweise mit Büros und Dienstleistungen gesetzt.

Aber wie hoch ist der Leerstand prozentual? Gennburg nennt eine Studie des globalen Wirtschaftsprüfungsnetzwerkes Pricewaterhouse Coopers International (PwC). Demnach seien bei Einkaufszentren bundesweit elf Prozent der Verkaufs- oder Nutzungsfläche frei. Und jedes dritte Center sei »mit dem bestehenden Konzept nicht zukunftsfähig«. Und in Berlin? Der Senat führt eine Schätzung des Handelsverbands Berlin-Brandenburg an. Der Leerstand liege in der Hauptstadt im Durchschnitt bei unter zehn Prozent, ergo unter dem Bundesschnitt. Ziffern, die relativiert werden müssen: In sogenannten guten Lagen sind gewissermaßen verwaiste Räume, Flächen und Stockwerke selten oder sehr selten. Bei einzelnen Objekten in Außenbezirken ist der Leerstand deutlich höher als im Schnitt.

Die Gründe, welche gibt es? Der Senat beobachte »überörtlich wirksame Einflüsse«. Beispielsweise »veränderte Nachfragemuster, Wettbewerbseffekte, Onlinehandel und in den letzten Monaten eine nochmals verstärkte Kaufzurückhaltung vor dem Hintergrund allgemeiner Preissteigerungen«. Und sowieso spielten lokale Aspekte eine Rolle, Wohnquartiere mit überproportional vielen Geringverdienern, Rentnern, Pflegebedürftigen. Armen halt.

Ein Befund, der Folgen haben muss, betonte Gennburg am Freitag im jW-Gespräch. »Ich streite seit Jahren für ein Shoppingcenterumbauprogramm, denn wir können jetzt ein neues Kapitel in der Stadtplanung aufschlagen.« Welches? »Das für eine Stadt, die den Alltag der Menschen bereichert, auch ohne stumpfen Konsumismus.« Genauer, bitte. »Wir müssen Berlin neu programmieren und solidarische Orte der Begegnung und der Fürsorge schaffen.« Also im Gesundheits-, Pflege-, Bildungs- und sozialen Bereich. Dafür wären neugestaltete Center ein Anfang.

Und: Sieht der Senat Potential für Umnutzungen? Die Antwort klingt ausweichend. Zahlreiche Faktoren müssten bedacht werden. Bestandsstruktur, Anpassungsfähigkeit und sonstige Anforderungen zukünftiger Nutzung. »Folglich kann das Potential nur projektbezogen eingeschätzt werden«, verlautbarten Gaeblers Mitarbeiter. Ferner müssten Zwischenergebnisse des »Zentrengipfels« und der »Taskforce Zentren« mit den zwölf Berliner Bezirken abgewartet werden. Das dürfte dauern.

Zeit, die Gennburg nicht einfach so verstreichen lassen will. Auch die Aktivistinnen und Aktivisten von »Initiative Sorge« nicht, die für den Umbau des großteils leerstehenden Park Centers im Ortsteil Treptow streiten. Das soll laut positivem Baubescheid in weiten Teilen abgerissen werden. Das will die Initiative verhindern. Gennburg: »Wir organisieren uns für eine lebenswerte Nachbarschaft und deklinieren die Vergesellschaftung von Sorgearbeit durch die Schaffung eines Sorgecenters einfach mal durch.« Kurz: »Shoppingmalls zu Sorgezentren«.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Regio: