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Aus: Ausgabe vom 03.08.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
»Künstliche Intelligenz«

Seiltanz an US-Börsen

KI-Aktien bleiben der große Renner für Anleger. Warnende Stimmen vor einem Platzen der Spekulationsblase werden lauter
Von Klaus Fischer
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Ein bisschen Konkurrenz für Nvidia: KI-Chip im Angebot von Amazon

Was ist schlimmer: hohe Inflation oder das Platzen einer riesigen Spekulationsblase an der Wall Street? Die US-Notenbank (Fed) hat es derzeit schwer, das Superschlachtschiff US-Wirtschaft auf dem richtigen Kurs zu halten. Am Donnerstag beantwortet Fed-Chef Jerome Powell die Eingangsfrage zwiespältig. Ja, die Zinsen könnten im September ein wenig gesenkt werden. Aber das hänge natürlich von der Datenlage ab. Und die betrachtet nicht nur Inflationsrate, Arbeitsmarktdaten oder Wechselkurse, sondern auch das Herdenverhalten der Investoren auf Profitsuche. Dabei ist KI (sogenannte künstliche Intelligenz) weiter der große Fetisch.

Der Hype hat eine reale Basis. Seit 2022 der US-Entwickler Open-AI (inzwischen im Besitz von Microsoft) mit der KI Chat-GPT die globalen Medien der Massenkommunikation in Aufregung versetzte, gingen die Chefs der auf diesen Gebieten operierenden US-Konzerne »All-in«. Mit enormen Investitionen bauen sie ihre Plattformen um und begannen diese den semi-intelligenten Maschinen und deren Programmierern zu überantworten.

Ziel bleibt die volle Kontrolle über das (Konsum-)Verhalten. Milliarden Nutzer von Facebook, Whats-App, Google, Youtube, Amazon, Apple usw. sollen für maßgeschneiderte (Konsum-)Angebote noch umfassender durchleuchtet werden können. Um KI-Anwendungen praxistauglich zu machen, braucht es indes nicht nur die »geniale« Software. Die Verarbeitung gewaltiger Datenmengen dieser Projekte ruft nach ausgebauten Netzen und einer Menge neuer Serverfarmen. Vor allem aber wird unglaublich viel Elektroenergie nachgefragt. Und die ist nicht einfach so da.

Die KI-Nachfrage traf zunächst auf einen leergefegten Weltmarkt. Die für die Server essentiellen Mikrochips hatte nur ein Anbieter im Regal: die Nvidia Corporation aus Santa Clara in Kalifornien. Der Entwickler von Grafikkarten (knapp 30.000 Beschäftigte) kam vor fünf Jahren mit seinen Produkten auf einen weltweiten Umsatz von knapp elf Milliarden US-Dollar und verbuchte einen Gewinn von rund vier Milliarden Dollar. Eine Aktie kostete zwischen fünf und sechs Dollar.

2024 blickt die Welt auf ein Börsenmonster mit 61 Milliarden US-Dollar Umsatz und fast 30 Milliarden Dollar Gewinn. Nvidias Aktienpreis hat sich seit 2019 verzwanzigfacht und die Marktkapitalisierung übersprang im Juli die Marke von 3.000 Milliarden US-Dollar. Im Juni überholte Nvidia sogar Microsoft und wurde das nach Börsenwert teuerste Unternehmen der Welt. Momentan ist der Konzern an den Aktienmärkten hundertmal den letzten Jahresgewinn wert – eine abenteuerliche Zahl.

Seit dem rasanten Anstieg der Aktienpreise von Nvidia, Microsoft und Co. bis Mitte 2024 gibt es auch wieder Bewegungen nach unten. Und wieder aufwärts – zum Teil heftig. Allein am Mittwoch sprang Nvidias Börsenwert um etwa 330 Milliarden US-Dollar nach oben. Das Unternehmen ist nach Apple und Microsoft die dritte Kapitalgesellschaft, die an der Börse über drei Billionen (auf englisch »Trillions«) Dollar kostet.

Die Bewertung der »Magnificent Seven« Nvidia, Microsoft, Apple, Alphabet, Meta, Amazon und Tesla zeigt indes nicht das ganze Bild. Google oder Meta investieren enorme Summen in den Bau von Serverfarmen und der gesamten KI-Infrastruktur. Und dies zieht weitere Branchen mit. So gab allein Meta im letzten Quartal gut 24 Milliarden US-Dollar dafür aus und plant mit Gesamtinvestitionen zwischen 37 und 70 Milliarden für dieses Jahr. Auch Microsoft und andere nehmen Milliardensummen in die Hand. Das spricht durchaus gegen eine reine Spekulationsblasenbildung, vor der inzwischen auch Experten warnen.

Vergangene Woche erschien im Economist eine Analyse darüber, was der Geldstrom von den Börsen über die Konzerne in die weitere Wirtschaft bewirkt. Zwar ist die Chipbranche klar die Nummer eins in diesem Ranking. Doch die KI-Lieferkette sei viel weiter aufgesplittet als allgemein bekannt, hieß es. »Sie umfasst Hunderte von Firmen, von taiwanesischen Serverherstellern und Schweizer Technologieprovidern bis zu amerikanischen Kraftwerkausstattern.« Die Hälfte gehe an die Chiphersteller mit Nvidia als Hauptnutznießer, der Rest an Ausrüster für die notwendige Infrastruktur.

Probleme gibt es viele. Woher soll der ganze Strom kommen? Lassen die Konsumenten und Aufsichtsbehörden das exzessive Daten-Mining tatsächlich auf Dauer zu? Auch bleiben die Nutzer skeptisch, vor allem, weil es zahlreiche Beispiele für die eher peinliche Performance der Maschinenintelligenz gibt. So erklärte etwa Meta die Panne bei seinem Chatbot, der behauptet hatte, das Attentat auf Donald Trump habe gar nicht stattgefunden, mit »Halluzinationen« der KI. Dies sei ein branchenweites Problem derartiger Chatbots.

Nicht nur in dieser Hinsicht spiegelt die zunehmende Volatilität an den Börsen die unterschiedlichen Wahrnehmungen der materiellen Realität wider. »Die Magnificent Seven haben seit Anfang des Jahres den Markt getragen und eine deutliche Outperformance geliefert. Doch seit der Korrektur der vergangenen drei Wochen bei den Big-Tech-Werten hat sich das Blatt hier deutlich gewendet«, schrieb Börse Online am Mittwoch. Auch vom Finanzgiganten Goldman Sachs gab es eine Warnung vor einem möglichen Platzen der Finanzblase. Es bleibt spannend.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (3. August 2024 um 00:01 Uhr)
    Frage an eine (möglicherweise) existierende natürliche Intelligenz: Wann ist ein Attentat ein Attentat? Wenn es erfolgreich war, also ein geplantes Ergebnis erreicht wurde? Wer weiß, was der erschossene Schütze geplant hatte? Der Schluss der KI, dass es kein Attentat auf Trump gegeben habe, ist insofern gerechtfertigt, als der noch lebt und nur die Vermutung existiert, er hätte umgebracht werden sollen. Soviel auch zum Rasiermesser vom Ockham, cui bono bleibt natürlich. Weitere Frage an die natürliche Intelligenz: Ist der Wert der »Magnificent Seven« ihren Preis wert? Genauer: Wie verwerten die sich / ihre »Ware«? Die im Artikel zitierte KI-Lieferkette »liefert« was, nämlich Ausrüstung (= Produktionsmittel). Wie die mittels dieser Produktionsmittel hergestellte Ware / Dienstleistung wieder in Geld / Kapital verwandelt werden soll, wird nicht verraten (kein Vorwurf an den Verfasser, Goldman Sachs weiß es ja auch nicht). Zu fiktivem Kapital und Krisentheorie sage ich lieber nix, da gibt es Kompetentere. Aber zum Gebrauchswert künstlicher Intelligenz fällt mir was ein: Der Google. Dem Google ihm seine Suchmaschine ist auf der Suche nach KI. Soweit ich mich erinnere, konnte man in frühen Suchmaschinen-Versionen in den Ergebnissen suchen. Seit längerer Zeit geht das nicht mehr. Dann kam die Zeit der riesigen Ergebnismengen, deren man mit variierten Suchbegriffen Herr werden konnte. Mit etwas Hirn und Zeit konnte man die gesuchte Information finden (das Problem einkreisen). Seit Google KI nutzt, wird das immer schwieriger, er denkt mit. Allerdings was anderes als ich. Mir wäre mit einer simplen lexikalischen Suche, von mir aus auch mit einer Suche mit regulären Ausdrücken, (für gewöhnlich) mehr geholfen.

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