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Aus: Ausgabe vom 03.08.2024, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Beseeltes Ungeheuer

Karl Marx im »Kapital«: Der Kapitalist verwandelt Geld in Waren und damit Wert, vergegenständlichte, tote Arbeit in Kapital, in sich selbst verwertenden Wert
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Kinder in einer Baumwollspinnerei in New­berry im US-Bundesstaat South Carolina

Der Arbeiter findet in der Werkstätte die nötigen Produktionsmittel nicht nur für einen sechsstündigen, sondern für einen zwölfstündigen Arbeitsprozess. Saugten zehn Pfund Baumwolle sechs Arbeitsstunden ein und verwandelten sich in zehn Pfund Garn, so werden 20 Pfund Baumwolle zwölf Arbeitsstunden einsaugen und in 20 Pfund Garn verwandelt. Betrachten wir das Produkt des verlängerten Arbeitsprozesses. In den 20 Pfund Garn sind jetzt fünf Arbeitstage vergegenständlicht, vier in der verzehrten Baumwoll- und Spindelmasse, einer von der Baumwolle eingesaugt während des Spinnprozesses. Der Goldausdruck von fünf Arbeitstagen ist aber 30 Schilling oder ein Pfund Sterling zehn Schilling. Dies also der Preis der 20 Pfund Garn. Das Pfund Garn kostet nach wie vor einen Schilling sechs Pence. Aber die Wertsumme der in den Prozess geworfenen Waren betrug 27 Schilling. Der Wert des Garns beträgt 30 Schilling. Der Wert des Produkts ist um ein Neuntel gewachsen über den zu seiner Produktion vorgeschossnen Wert. So haben sich 27 Schilling in 30 Schilling verwandelt. Sie haben einen Mehrwert von drei Schilling gesetzt. Das Kunststück ist endlich gelungen. Geld ist in Kapital verwandelt.

Alle Bedingungen des Problems sind gelöst und die Gesetze des Warenaustausches in keiner Weise verletzt. Äquivalent wurde gegen Äquivalent ausgetauscht. Der Kapitalist zahlte als Käufer jede Ware zu ihrem Wert, Baumwolle, Spindelmasse, Arbeitskraft. Er tat dann, was jeder andre Käufer von Waren tut. Er konsumierte ihren Gebrauchswert. Der Konsumtionsprozess der Arbeitskraft, der zugleich Produktionsprozess der Ware, ergab ein Produkt von 20 Pfund Garn mit einem Wert von 30 Schilling. Der Kapitalist kehrt nun zum Markt zurück und verkauft Ware, nachdem er Ware gekauft hat. Er verkauft das Pfund Garn zu einem Schilling sechs Pence, keinen Deut über oder unter seinem Wert. Und doch zieht er drei Schilling mehr aus der Zirkulation heraus, als er ursprünglich in sie hineinwarf. Dieser ganze Verlauf, die Verwandlung seines Geldes in Kapital, geht in der Zirkulationssphäre vor und geht nicht in ihr vor. Durch die Vermittlung der Zirkulation, weil bedingt durch den Kauf der Arbeitskraft auf dem Warenmarkt. Nicht in der Zirkulation, denn sie leitet nur den Verwertungsprozess ein, der sich in der Produktionssphäre zuträgt. Und so ist »tout pour le mieux dans le meilleur des mondes possibles« (»Alles ist auf Beste bestellt in der besten der möglichen Welten«).

Indem der Kapitalist Geld in Waren verwandelt, die als Stoffbildner eines neuen Produkts oder als Faktoren des Arbeitsprozesses dienen, indem er ihrer toten Gegenständlichkeit lebendige Arbeitskraft einverleibt, verwandelt er Wert, vergangne, vergegenständlichte, tote Arbeit in Kapital, sich selbst verwertenden Wert, ein beseeltes Ungeheuer, das zu »arbeiten« beginnt, als hätt’ es Lieb’ im Leibe. (…)

Vergleichen wir den Wertbildungsprozeß mit dem Arbeitsprozess, so besteht der letztre in der nützlichen Arbeit, die Gebrauchswerte produziert. Die Bewegung wird hier qualitativ betrachtet, in ihrer besondren Art und Weise, nach Zweck und Inhalt. Derselbe Arbeitsprozess stellt sich im Wertbildungsprozess nur von seiner quantitativen Seite dar. Es handelt sich nur noch um die Zeit, welche die Arbeit zu ihrer Operation braucht, oder um die Dauer, während deren die Arbeitskraft nützlich verausgabt wird. (…)

Sie zählt jedoch nur, soweit die zur Produktion des Gebrauchswerts verbrauchte Zeit gesellschaftlich notwendig ist. Es umfasst dies Verschiednes. Die Arbeitskraft muss unter normalen Bedingungen funktionieren. Ist die Spinnmaschine das gesellschaftlich herrschende Arbeitsmittel für die Spinnerei, so darf dem Arbeiter nicht ein Spinnrad in die Hand gegeben werden. Statt Baumwolle von normaler Güte muss er nicht Schund erhalten, der jeden Augenblick reißt. In beiden Fällen würde er mehr als die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zur Produktion eines Pfundes Garn verbrauchen, diese überschüssige Zeit aber nicht Wert oder Geld bilden. Der normale Charakter der gegenständlichen Arbeitsfaktoren hängt jedoch nicht vom Arbeiter, sondern vom Kapitalisten ab. Fernere Bedingung ist der normale Charakter der Arbeitskraft selbst. In dem Fach, worin sie verwandt wird, muss sie das herrschende Durchschnittsmaß von Geschick, Fertigkeit und Raschheit besitzen. Aber unser Kapitalist kaufte auf dem Arbeitsmarkt Arbeitskraft von normaler Güte. Diese Kraft muss in dem gewöhnlichen Durchschnittsmaß der Anstrengung, mit dem gesellschaftlich üblichen Grad von Intensität verausgabt werden. Darüber wacht der Kapitalist ebenso ängstlich, als dass keine Zeit ohne Arbeit vergeudet wird. Er hat die Arbeitskraft für bestimmte Zeitfrist gekauft. Er hält darauf, das Seine zu haben. Er will nicht bestohlen sein.

Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band. Vierte, von Friedrich Engels durchgesehene und herausgegebene Auflage, Hamburg 1890. Hier zitiert nach: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke (MEW), Band 23., Dietz-Verlag, Berlin 1969, Seiten 208–210

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