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Aus: Ausgabe vom 03.08.2024, Seite 6 (Beilage) / Wochenendbeilage

Unter der Voraussetzung der Feindschaft

Krieg als Form der Vergesellschaftung? Anschließende Gedanken zu einem Essay von Gunnar Hindrichs
Von Kai Köhler
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Die Einteilung in Gut und Böse sabotiert Kompromisse (nordkoreanisches Propagandaplakat)

Der in Basel lehrende Philosoph Gunnar Hindrichs hat kürzlich unter dem Titel »Abseits des Krieges« ein schmales, aber gewichtiges Buch veröffentlicht, das eine Debatte lohnt. Gedankenreichtum geht mit einer zugleich präzisen und nachvollziehbaren Sprache einher. Theoretische Bezüge werden nicht hergezeigt, um Belesenheit zu demonstrieren; sondern sie gehen in den Gang der Argumentation ein, indem Erkenntnisse wie auch Begrenztheiten der zitierten Autoren den Fortschritt der Überlegungen befördern. Man muss das leider eigens loben, es ist ein sehr seltener Fall.

In der junge Welt vom 18. Juni hat Marc Püschel den Band rezensiert. Sein Artikel leistet, was eine Buchkritik überhaupt leisten kann. Püschel gibt den Hauptgang der Argumentation wieder und benennt die Stärken der Darlegungen von Hindrichs. Er hat recht auch darin, dass der Ausweg aus den Aporien des Kriegs, die Hindrichs her­ausstellt, im Ungefähren bleibt. Hindrichs kennt die marxistische Theorie, bis hin zu Rosa Luxemburgs »Akkumulation des Kapitals«, die heutzutage in philosophischen Seminaren nur selten gelesen werden dürfte. Dementsprechend weiß er auch, dass der Krieg keineswegs das Andere einer bürgerlichen Gesellschaft ist, die wertegeleitet und regelbasiert ihren friedlichen ­Geschäften nachgehe.

Ist aber der Krieg notwendiger Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft, so muss letztere fallen, um den Krieg vielleicht loszuwerden. Püschels Feststellung, dass Hindrichs an diesem Punkt ungenau wird, ist politisch richtig. Das zu Benennende benannt, stellt sich indessen die weitere Frage, die kein Rezensent beantworten muss und die auch in diesen, ausführlicheren Überlegungen nicht abschließend erledigt wird: die nach der theoretischen und praktischen Position einer Philosophie des Krieges im Heute.

Widersprüche

»Philosophie des Krieges«? Gunnar ­Hindrichs ist bescheidener. »Ein philosophischer Essay«, so lautet der Untertitel seines Buches. Dass es sich nur um einen Versuch handeln soll, beugt zwar allzu ­hohen Erwartungen vor. Es handelt sich aber nicht nur um Gedanken über den Krieg, die einzelne seiner Aspekte klären. Auch geht es um mehr als eine Kriegstheorie, die Einzelnes verallgemeinert und dann umgekehrt die Anwendung des Allgemeinen auf je besondere Fälle erlaubt – sei es in der Praxis für einzelne Kriegführende oder für diejenigen, die das Töten beenden wollen. Philosophie, auch wenn sie sich essay­istisch vortastet, zielt auf einen Begriff.

Das gilt auch hier. Zu fragen ist also erstens, welchen Begriff des Krieges Hindrichs entwickelt. Er legt seine Gedanken in zehn konzentriert gefassten Abschnitten dar, die ebenso knappe Überschriften tragen wie »Weltgeschichte«, »Recht«, »Macht« etc. Fast jeder dieser Abschnitte nimmt sich eine Begründung des Krieges vor und zeigt, in welche Widersprüche sie führt. Einige Beispiele seien angeführt. In »Weltgeschichte« geht es um den Ansatz, das unbestrittene Leid des Krieges dadurch zu rechtfertigen, dass der Konflikt die Menschheit auf eine je höhere Stufe führe – doch verlangt dies einen Standpunkt, der das Ganze der Geschichte überblickt, die Zukunft eingeschlossen, also einen Standpunkt, der nicht zu haben ist. Können hingegen Kriege für das »Recht« geführt werden? Um die Rechtsfrage zu entscheiden, bräuchte es eine übergeordnete Instanz, die es nicht gibt und die unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht absehbar ist. Schlimmer noch: Geht es nicht um Interessen, zwischen denen zu vermitteln wäre, sondern um Gut oder Böse, wird jeder Kompromiss mit dem Feind moralisch zweifelhaft.

Wie aber ist es mit der »Selbsterhaltung«? Diese erfordert, die Umgebung zu kontrollieren, also Gefahren zu erkennen, mit ihnen umzugehen und sie gegebenenfalls auszuschalten. Das Streben nach Selbsterhaltung kann also in einen Konflikt führen, der individuell und gesellschaftlich zur Selbstzerstörung führt. Aber hat nicht wenigstens der Krieg, wie manche Intellektuelle 1914 meinten, den Vorteil, erstarrte Strukturen aufzusprengen, einen neuen Raum von Erfahrungen und Möglichkeiten zu schaffen? Im Abschnitt »Institutionen« zeigt Hindrichs, dass von einem »Ausbruch aus einem leeren, durchrationalisierten Leben als Fachmensch« (S. 69) keine Rede sein konnte und kann, da auch Armee und Kriegswirtschaft so durchrationalisiert sind wie auf dem jeweiligen Stand der Entwicklung nur eben möglich.

Die Argumentation ist in dieser Wiedergabe holzschnittartig aufs Politische verknappt, das Nachlesen lohnt. Andererseits sind nicht alle Teile überzeugend. Hindrichs hat in seinem Kapitel zur »Befreiung« zwar nicht nur damit recht, dass antikoloniale Befreiungskriege vielerorts zu unerfreulichen Staaten geführt haben. Auch stimmt seine Kritik an ehemaligen Linken, wenn er schreibt: »Und wenn sie« – die »kollektive Selbstsorge« solcher Leute – »in der Ukraine einen Krieg, der von den Fraktionen globaler Herrschaft geführt wird, zum gegenmächtigen Befreiungskrieg verklärt, dann gerät sie unmittelbar in den Dienst solcher Herrschaft.« (S. 42) Was aber kann daraus praktisch folgen? Dass tatsächlich Kolonisierte auf Befreiungskämpfe verzichten sollen? Ihnen hilft keine Philosophie, sondern Schlussfolgerungen aus einer Analyse globaler Bedingungen, wie sie etwa in Vietnam oder Kuba geleistet wurde.

Entscheidungen unter widersprüchlichen Bedingungen sind freilich etwas anderes als die Arbeit am Begriff. Hier zeigt Hindrichs die Widersprüchlichkeit aller Begründungen des Krieges. Als Ausweg nennt er den Frieden, als »Zustand [der] Überwindung« (S. 111) des Militarismus. Die Formulierung deutet an, dass der Frieden seinerseits ­widersprüchlich ist; etwas zu überwinden, ist ja ein Vorgang. Freilich schreibt Hindrichs in diesem Zusammenhang, und zugleich im letzten Satz seines Essays, von einer »Weltgeschichte der Antizipation«, also der Vorwegnahme eines Künftigen. Als vorweggenommener ist der Zustand des Friedens schon in der Bewegung enthalten, die auf ihn hinführt. Die »Idee des Friedens« skizziert Hindrichs als »den Gelingensbereich freien Miteinanderhandelns«, den sie umrisse. (S. 112)

Dass er hier den Konjunktiv zwei wählt, deutet an, wie weit dies vom Heute entfernt ist. Doch mag ja, was noch nicht ist, einmal wirklich werden. Gemessen an dem Gerede von Zeitenwende und Kriegstüchtigkeit wäre dies allemal die bessere Alternative. Doch stellt sich hier ein theoretisches Problem, das mit einem praktischen verknüpft ist.

Friedensformeln

Über den Krieg zu denken, stellt – wie gezeigt – seine Widersprüche heraus. Der Frieden, als Zustand und Bewegung zugleich, ist gleichfalls widersprüchlich. Und beschäftigte man sich mit seinem Begriff so gründlich, wie Hindrichs es für den Krieg leistet, käme man in ähnlich schwerwiegende Aporien. Voraussetzung freien Miteinanderhandelns ist die Abwesenheit physischer Gewalt und auch der Drohung mit ihr. Davon kann man unter den gegenwärtigen und den absehbaren Verhältnissen sowohl der Staatenwelt als auch innerstaatlicher Verhältnisse nicht ausgehen. Zugleich gibt kaum jemand zu, den Krieg zu ­wollen. Gängig ist vielmehr die Behauptung, die eigenen Handlungen dienten dem Frieden. Groteskes Beispiel dafür ist die »Friedensformel« des ukrainischen Präsidenten Wolodimir ­Selenskij, die den Rückzug Russlands hinter die Grenzen von 2014, Reparationen und einen Haufen anderer Bedingungen als Voraussetzungen auch nur für Gespräche nennt. Für die russische Seite hingegen gibt es kein »freies Miteinanderhandeln«, solange der Westen seine Einkreisungsstrategie nicht aufgibt. Diese Hinweise bedeuten hier keine Äquidistanz. Es geht, auf dieser Ebene, nicht um politische Parteinahme, sondern um das strukturelle Problem, dass Frieden – als Prozess gedacht – aus Sicht der Akteure nicht das Gegenteil des Militarismus ist. Vielmehr dient der Krieg, ob nun herbeigelogen oder überzeugend begründet, dazu, Verhältnisse zu schaffen, unter denen Frieden erst möglich ist.

Auch der Frieden ist also kein einfach Ding; und würde man seine Ebenen ebenso gründlich aufdröseln, wie Hindrichs es mit dem Krieg tut, so würde es nur noch komplizierter. Bedeutet Frieden nur die Abwesenheit physischer Gewalt? Oder ist, darüber hinaus, seine Bedingung, dass alle Akteure gleiche Möglichkeiten an der Aushandlung des Gesellschaftlichen haben? Genügen gleiche rechtliche Chancen, wie der Liberalismus es propagiert? Oder muss die Verfügungsmacht über gesellschaftlichen Einfluss tatsächlich gleich sein, im Kampf gegen ökonomische Gewalt? Aber wie kämpft man diesen Kampf, an welchem Punkt wird Gewalt zur Voraussetzung des Friedens, gehört sie zum »Zustand der Überwindung« hin zum Frieden?

Wer an der Dialektik von Hegel und Marx geschult ist, weiß, dass es nicht darum geht, derlei Fragen mittels formaler Logik scheinzulösen, sondern die Widersprüche solche der Sachen selbst sind. Und mehr noch: Sie beschädigen die Sache nicht, sondern halten sie in Bewegung, zum Guten oder Schlechten. Dies aber bedeutet auch, dass die Widersprüche, die Hindrichs am Krieg herausarbeitet, den Krieg nicht widerlegen, sondern im Gegenteil seine Wirkmächtigkeit und wohl auch seine Aussichten zumindest für die nähere Zukunft begründen.

Standpunkte

Davon profitieren die Akteure heute. Natürlich lesen sie keine philosophischen Essays, oder nur die wenigsten von ihnen. Falls doch, können sie nicht davon ausgehen, dass ihre Gegner auf den Frieden hinarbeiten. Sie sind vergleichbar mit Dramenfiguren, wie sie Hegel in seiner Tragödientheorie in ihrem Gegeneinander darstellt: notwendig einseitig und damit zur Kollision bestimmt.

Im Ganzen der Tragödie freilich wird das falsch Vereinzelte in der Gesamtheit des Werks aufgehoben. Zurück von der Kunst in die Welt, lässt sich zunächst feststellen, dass die Zuversicht dieser ­Tragödientheorie in die Irre führt. Den Ausgang der Geschichte kennen wir nicht, und zumindest für unsere Zeit spricht viel für die Annahme, dass die Widersprüche nicht auf einer höheren Ebene aufgehoben werden, sondern zum nahen Ende der Gattung Mensch führen. Weiter stellt sich die Frage, wie in dieser Lage der Philosoph (oder allgemeiner der Intellektuelle) seinen Platz bestimmt. Hindrichs beantwortet sie gleich im Vorwort. Allerdings handelt es sich um eine doppelte Bestimmung. Die eine Position lautet so: »Solche Erwägungen erteilen keine Anweisung, was zu tun sei. Vielmehr suchen sie zu begreifen, was ist. Entsprechend geht es in den folgenden Reflexionen statt ums Sollen um Einsicht: um Einsicht in die Fluchtlinien, in denen der Krieg unserer Gegenwart – der Krieg der ›Zeitenwende‹ – steht.« (S. 7)

Im Spannungsverhältnis dazu steht die zweite Antwort: »Zwar wissen sich die hier dargebotenen Reflexionen nicht als Kriegspartei. Aber sie wissen sich als Partei. Deren Name lautet Antimilitarismus. Das ergibt sich bereits aus dem Gesagten. Denn wenn das Abseits des Krieges den Ort seiner philosophischen Reflexion bildet, und wenn zugleich deren zivilgesellschaftlicher Raum vom Krieg besetzt worden ist, dann besitzt diese Reflexion keine andere operative Bestimmtheit, als sich dem Zugriff des Krieges entgegenzustellen.« (S. 9)

Die doppelte Antwort hat ihre Stärke. Hindrichs wendet sich gegen die »Selbsteinberufung der Zivilgesellschaft« (S. 8), wie sie hierzulande verstärkt seit 2022 festzustellen ist. Resultat ist, wie Hindrichs mit einem bewusst paradoxen Begriff markiert, eine »Kriegszivilgesellschaft« (S. 8), die Bekenntnisse abverlangt. Wer – wäre der Gedanke zu ergänzen – nicht das Bekenntnis gegen Putin zur Grundlage des Denkens nimmt, steht außerhalb des gesellschaftlich Anerkannten. Tatsächlich ist es nicht Aufgabe der Philosophie, ukrainische (oder russische, palästinensische, israelische …) Positionen im Krieg zu begründen. Natürlich können und sollen einige von ihnen begründet werden, aber dafür gibt es andere Zugänge zur Welt. Philosophie im unmittelbaren Kriegsdienst wäre als Philosophie verkürzt, also überflüssig. Also braucht sie – darin ist Hindrichs weiter zuzustimmen – einen Raum jenseits des Krieges, um ihre besondere Aufgabe zu erfüllen.

Die doppelte Antwort auf die Frage nach dem Standpunkt beinhaltet indessen ein zunächst praktisches Problem. Der Standpunkt des Antimilitarismus bedeutet – je nachdem, wo man ihn einnimmt – unweigerlich eine Parteinahme im Krieg. Wer sich hierzulande dem Druck widersetzt, jegliche Waffenlieferung an die Ukraine als nötig für die Verteidigung der NATO-Freiheit zu feiern, schwächt die Ukraine, zumindest deren Regierung und Militär. Wer in Moskau gegen die »Militärische Spezialoperation« demonstriert, hilft dem Regime in Kiew. Im Bereich der Politik gibt es angesichts eines harten Konflikts kein unschuldiges Drittes.

Ein praktisches Problem verweist in aller Regel auf eine theoretische Frage. Hier lautet sie allgemein: Wie kann Philosophie die Autonomie verteidigen, die sie für ihr Denken benötigt? Nur dann wäre sie als Philosophie – und nicht als Verlängerung von Politikwissenschaft oder gar Propaganda – für die Praxis nutzbar, wenn sie sich der Nutzbarkeit, die auch in einem abstrakten Pazifismus liegt, zu entziehen vermag. Die allgemeine Frage lässt sich hier genauer fassen als die nach dem Standpunkt, von dem aus der Krieg philosophisch gefasst werden kann.

Hindrichs formuliert Erkenntnisse, von denen aus dieser Standpunkt gewonnen werden kann: »Vielmehr gilt es, den Krieg als einen notwendigen Schatten der bürgerlichen Gesellschaft zu verstehen« (S. 100). Auch werde der Krieg als »eine Form der Vergesellschaftung verständlich«: »Er integriert die Menschen in eine bürgerliche Gesellschaft, die zur Aufrechterhaltung ihrer wirtschaftlichen Grundlage Krieg führen muss.« (S. 105) Gegenüber dem realistischen Blick auf das, was ist, wirkt der kantianisch inspirierte Wunsch, »Gemeinsinn« als »Grundlage reflektierender Urteilskraft« möge handlungsleitend werden, als Schritt zurück. Zutreffend benennt Hindrichs als Voraussetzung, dass zum »Miteinanderhandeln aus Gemeinsinn« zwar der Streit gehöre. Der »Streit um eine Situationsbewältigung« aber habe zur Voraussetzung, dass »man prinzipiell die Zustimmung der anderen voraussetzt«. (S. 107) Die Diskussion über den besten Weg ist nur sinnvoll, wenn man über das Ziel einig ist.

Friedenskampf

Nichts davon ist in der Welt heute auch nur in geringsten Ansätzen gegeben. Vielmehr haben wir es mit Umständen zu tun, unter denen die Feindschaft der anderen Handelnden vorauszusetzen ist. Unter diesen Voraussetzungen ist Krieg erfolgreiche Vergesellschaftung nicht aus mangelnder Einsicht in seine Widersprüche, sondern weil er den heute und absehbar global herrschenden Verhältnissen angemessen ist. Und Frieden ist sinnvoll denkbar nur als Friedenskampf gegen jene Verhältnisse. Frieden also nicht als wünschenswerter Zustand gedacht, sondern als der Prozess, gegen erwartbare Widerstände beiseite zu schaffen, was diesem Zustand entgegensteht.

Hier gewinnt die Clausewitz-Formel an Bedeutung, die Hindrichs zu Beginn seines Kapitels gegen Militarismus als negatives Beispiel zitiert, nämlich dass der Krieg nichts anderes sei als »die Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchführen desselben mit anderen Mitteln«. Tatsächlich hat diese Formel mit Militarismus nichts zu tun. Zum einen begrenzt sie den Krieg: Militärisch nicht nützliche Grausamkeiten sollten nicht stattfinden, und der Feind ist immer noch jemand, mit dem man in politischem Austausch steht. Gefährlich noch über das heute unvermeidbare Maß hinaus sind also Staaten, die mit moralisierender Propaganda jede Verständigung sabotieren, also im Augenblick der Wertewesten, der in bigotter Unterscheidung zwischen Gut und Böse Kompromisse sogar dort sabotiert, wo sie allein von den Interessen her noch denkbar wären.

Zum anderen erlaubt es die Formel von Clausewitz, verschiedene Formen der Kriegführung mit konkreten politischen Interessen in Beziehung zu setzen, also zunächst einmal die Lage zu verstehen. Diese Verbindung von Krieg und Politik ist darüber hinaus Grundlage fortschrittlicher Kräfte, in den heute unvermeidbaren Kämpfen eine Position zu finden und handlungsmächtig zu werden.

Das ist Praxis auf Grundlage einer Theorie des Krieges. Um weitergehend eine Philosophie des Krieges zu gewinnen, verbunden mit der Arbeit am Begriff, ist Hindrichs’ Band ein wichtiger Ansatz. Nur muss man akzeptieren, dass all die Widersprüche, die er aufweist, nicht die Schwäche des Krieges belegen. Vielmehr zeigen sie die Stärke der bürgerlich-kapitalistischen globalen Vergesellschaftung, im Geltungsbereich von deren Regeln sich auf absehbare Zeit auch ihre Gegner noch werden bewegen müssen.

Gunnar Hindrichs: Abseits des Krieges. Ein philosophischer Essay. München 2024, 126 Seiten, 16 Euro

Kai Köhler, geboren 1964, lebt als Autor in Berlin. Er schrieb zuletzt an dieser Stelle in der Ausgabe vom 11./12.11.2023 über Aijaz Ahmad und »Literaturtheorie als politische Strategie«

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (6. August 2024 um 09:11 Uhr)
    »Die Einteilung in Gut und Böse sabotiert Kompromisse (nordkoreanisches Propagandaplakat)« Völlig missglückte Bildauswahl zum Thema. Wer anders als Nordkorea wäre dazu berufen, das Böse zu benennen? »In der Kriegsgeschichte der Welt sind zwar unzählige Kriege aufgezeichnet, aber kein Krieg zu finden, der wie Koreakrieg in den 1950er Jahren mit Zerstörung und Gemetzel besudelt war. Die USA hielten die Demokratischen Volksrepublik Korea (DVRK), die den Weg der Souveränität und Unabhängigkeit beschritt, für einen Dorn im Auge und beschleunigten die Kriegsvorbereitungen. Sie besetzten Südkorea militärisch und entfesselten am 25. Juni 1950 frühmorgens überraschend den Aggressionskrieg gegen den nördlichen Landesteil, um ganz Korea zu kolonialisieren. Sie setzten für die Koreafront ihre großen aggressiven Truppenkontingente und die Truppen ihrer 15 Satellitenstaaten ein und verübten in den drei Kriegsjahren die barbarischen Gräueltaten, welche in der Kriegsgeschichte der Menschheit beispiellos waren. Die US-Armee warf auf jeden Quadratkilometer des nördlichen Landesteils 18 Bomben und allein auf die Stadt Pjöngjang mit einer Fläche von 52 km² etwa 428 000 Bomben ab, die mehr als deren damalige Einwohnerzahl (370 000) waren. Schließlich wurden die Städte, Dörfer, Betriebe, Eisenbahnen, Schulen und Krankenhäuser sowie Kultureinrichtungen im nördlichen Landesteil völlig zerstört, sodass das ganze Land in Trümmerfelder verwandelt wurde. Die US-Truppen ermordeten im nördlichen Landesteil mit grausamsten und barbarischsten Methoden mehr als 1 231 500 unschuldige Menschen, darunter auch Frauen, Kinder und alte Menschen. Das koreanische Volk verurteilt und prangert am 25. Juni jedes Jahres, Jahrestag des Ausbruchs des Vaterländischen Befreiungskrieges, die barbarischen Gräueltaten und Machenschaften der US-Imperialisten zur Entfesselung eines neuen Krieges an und schwört tausendfache Rache« http://www.nordkorea-info.de/der-mit-zerstoerung-und-massaker-besudelte-koreakrieg.html.

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