Bälle um die Ohren
Von René HamannTimo Boll griff erst am Montag dieser Woche (nach jW-Redaktionsschluss) beim Teamwettbewerb ins Geschehen ein. In den Einzelwettbewerben im olympischen Tischtennis traten nur Dang Qiu und Dimitrij Ovtcharov für Deutschland an, beide nicht gerade erfolgreich. Während es Ovtcharov bis ins Achtelfinale schaffte, wo er es mit dem französischen Wunderkind Félix Lebrun zu tun bekam, schied Europameister Dang Qiu recht sang- und klanglos bereits in der zweiten Runde gegen den Kasachen Kirill Gerassimenko aus.
Steigende Sterne
Félix Lebrun, gerade einmal 17, war der Star des Turniers, die Zuschauer in der Pariser Arena Sud standen kopf bei seinen Spielen. Gegen Ovtcharov setzte er sich vorigen Mittwoch nach harter Gegenwehr – Ovtcharov hatte bereits 3:0 in Sätzen zurückgelegen und den Heimmatadoren in den entscheidenden siebten Satz gezwungen – mit 4:3 durch; gegen Weltmeister Fan Zhedong zog er schließlich deutlich mit 0:4 den kürzeren. Am Ende reichte es für den Youngster zur verdienten Bronzemedaille, die er im »kleinen Finale« am Sonntag gegen den wie immer etwas unglücklichen Brasilianer Hugo Calderano holte. Das Finale gewann gleichentags Fan dann gegen den Überraschungsfinalisten Truls Möregårdh aus Schweden, der zuvor den Weltranglistenersten Wang Chuqin aus dem Turnier geworfen hatte, mit 4:1.
Es war ein herausragendes Turnier, nicht allein, weil Lebrun so gut spielte, oder wegen Möregårdh, dem es gelang, in die chinesische Phalanx einzubrechen. Während der deutsche Stern sinkt, steigen die schwedischen und französischen Sterne steil, derweil China nicht mehr unangefochten ist. Noch wehrte vor allem Fan alle Angriffe auf die Spitze entschieden ab – gerade in großen Spielen und bei großen Punkten ist der Chinese ein kaum zu bezwingender Gigant. Aber Lebrun, Möregårdh und der Japaner Tomokazu Harimoto waren dicht dran. Der jetzt laufende Teamwettbewerb wird zeigen, wie verwundbar die chinesischen Topathleten inzwischen tatsächlich sind.
So reichte es für Fan noch zum erstmaligen Gewinn der olympischen Goldmedaille. Ma Long, sein Vorgänger als großer Vorsitzender der Tischtenniswelt, sah sich den Einzelwettbewerb von draußen an. Wang Chuqin wiederum musste mit ansehen, wie ein Journalist unbeabsichtigt seinen Schläger demolierte und schied mit Ersatzschläger gegen Möregårdh aus.
Die Deutschen dagegen enttäuschten, in Europa werden sie ihren Spitzenplatz bald räumen müssen. Der Generationsumbruch hat hierzulande noch nicht stattgefunden, junge Talente wie Lebrun sucht man vergeblich. Bei den Damen sah es nicht viel anders aus – Nina Mittelham brach wieder einmal in Tränen aus, als sie recht früh ausschied (im Achtelfinale gegen Pyon Song Gyong aus Nordkorea). Im Damenwettbewerb tat sich insgesamt nicht viel. Sofia Polcanova aus Österreich schaffte es als einzige Europäerin ins Viertelfinale. Es gab ein rein chinesisches Finale, das Chen Meng gegen Sun Yingsha 4:2 gewann – einzig die ehemalige chinesische Spitzenkraft Ni Xialian sorgte für Aufsehen, weil sie es schaffte, die älteste Spielerin zu werden, die jemals bei Olympia ein Spiel gewann. Die 61jährige, die inzwischen für Luxemburg startet, »glich mangelnde Dynamik und Spritzigkeit mit ungewöhnlicher Spielweise und seltenen Belägen aus«, wie es nicht nur im ZDF etwas despektierlich hieß. Ni spielte mit Noppe hinten und vorne und eher defensiv. Im heutigen Hochgeschwindigkeitstischtennis ist das außergewöhnlich.
Die Zukunft ist schnell
Tatsächlich sind die Schlagfolgen besonders bei den Männern für das menschliche Auge kaum noch zu erkennen. Fan, Lebrun und die anderen hauen sich die Bälle so schnell um die Ohren, dass man über taktische Fragen nur noch schmunzeln kann. In früheren Zeiten hätte man jetzt nach weitgreifenden Veränderungen gerufen – größere Bälle, größere Tische. Hoffen wir, dass sich das Tischtennis weiter entwickeln darf, ohne Eingriff von außen. Die sogenannte Zukunft hat man gut sehen können – die Elite ist näher zusammengerückt, und die Jungen stören die Vorherrschaft der Mittelalten auf. Für Ovtcharov, Patrick Franziska und Timo Boll ist die Zeit gekommen, sich gebührend zu verabschieden, während sich Dang Qiu stark verbessern muss. Doch wer rückt nach?
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