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Aus: Ausgabe vom 07.08.2024, Seite 1 / Titel
Rechte Unruhen in Großbritannien

Rechte Menschenjagd

Großbritannien brennt weiter: Messerattacke von Southport dient als Vorwand für Angriffe gegen Muslime
Von Dieter Reinisch
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Opfer der rechten Gewalt: Ladenbesitzer in Belfast vor seinem bei den Pogromen zerstörten Geschäft (6.8.2024)

Kein Ende der rechten Gewalt. Moscheen und Geschäfte von Migranten brennen in England und Nordirland. Darlington im Nordosten, Plymouth im Südwesten Englands sowie Belfast, die Hauptstadt Nordirlands, waren Zentren der rassistischen Ausschreitungen in der Nacht zum Dienstag. Am Protest in Plymouth nahm auch der Vorsitzende der UK Independence Party (UKIP), Nick Tenconi, teil. Die Polizei nahm mehr als 400 Menschen fest. Nach den Unruhen am Montag waren 64 Randalierer angezeigt worden. Laut BBC erklärte sich die Oberstaatsanwaltschaft bereit, die Randalierer wegen Terrorismus anzuklagen.

Waren am Dienstag laut britischer Polizei im ganzen Land sechs Protestaktionen gemeldet, könnten sich die Ausschreitungen an diesem Mittwoch weiter ausdehnen. Die Polizei ging am Dienstag davon aus, etwa 30 extrem rechte Gruppen planten Proteste in England. Die Unruhen im gesamten Land würden durch gezielt in sozialen Medien verbreitete Behauptungen angeheizt. Bei dem Verdächtigen Amokläufer, dessen Tat vergangene Woche den Anlass für die Ausschreitungen bot, habe es sich demnach um einen muslimischen Asylsuchenden gehandelt. Am Dienstag teilte die britische Regierung mit, das Technologieministerium werde verstärkt mit IT-Unternehmen zusammenarbeiten, um Desinformation in sozialen Medien einzudämmen.

Mittlerweile veröffentlichte das Gericht in Liverpool die Identität des Attentäters: Axel Muganwa Rudakubana aus Banks in Lancashire wurde des dreifachen Mordes, zehnfachen versuchten Mordes und des Besitzes eines gebogenen Küchenmessers angeklagt. Der 17jährige, der als Kind ruandischer Eltern in Cardiff auf die Welt kam, lebte seit 2013 in der Gegend von Southport. Über sein Tatmotiv wie auch seine religiösen Einstellungen ist weiterhin nichts bekannt. Mehrere Länder – darunter Malaysia, Indonesien, Australien, Nigeria, die VAE und Indien – haben ihre Bürger in England aufgefordert, sich von den rechten Ausschreitungen fernzuhalten, um nicht Ziel der Angriffe zu werden. In einer am Dienstag veröffentlichten Aussendung teilte das kenianische Hochkommissariat in London mit, die Unruhen seien »vor allem von extrem rechten und einwanderungsfeindlichen Gruppen angeheizt worden«.

Der neue Regierungschef Keir Starmer teilte dem Kabinett am Mittwoch mit, im ganzen Land stehe eine »abrufbereite Armee« von Sonderbeamten bereit. In Southport nahmen derweil Hunderte Menschen eine Woche nach dem Tod von Bebe King, Elsie Dot Stancombe und Alice Dasilva Aguiar an einer Gedenkfeier teil. Die Polizei von Merseyside teilte mit, ein in den Vorfall verwickeltes Kind liege noch im Krankenhaus, die übrigen Patienten seien entlassen worden.

Bei den Unruhen in der Nacht auf Dienstag im loyalistischen Süden der Stadt Belfast wurden Polizisten in der Nähe eines Supermarkts, der bereits am Wochenende in Brand gesteckt worden war, mit Steinen und Brandsätzen beworfen. Randalierer hatten versucht, von Migranten geführte Lokale und Geschäfte in Brand zu setzen. Bei einer Pressekonferenz sagte die stellvertretende Polizeikommissarin von Nordirland, Melanie Jones, sie gehe davon aus, dass die Unruhen in der Nacht zuvor von loyalistischen Paramilitärs organisiert worden seien.

Mittlerweile hat eine Crowdfundinginitiative zum Wiederaufbau von Geschäften, die am Sonnabend in Belfast verwüstet wurden, über 50.000 Euro gesammelt. Für kommenden Sonnabend haben Rechtsextreme vor dem Rathaus einen weiteren Protest angekündigt. Linke Gruppe riefen zu einer Gegendemonstration auf: »Wir wollen zeigen, dass Rassisten in unserer Stadt nicht willkommen sind«, sagte Gerry Carroll, linker Abgeordneter im Regionalparlament Stormont, am Dienstag der BBC. Die Technikergewerkschaft CWU rief ihre Zweigstellen für diesen Mittwoch auf, Kontakt »zu örtlichen Moscheen, Flüchtlingszentren und Solidaritätsgruppen aufzunehmen«. Ihnen sei angesichts der rechten Aufmärsche »vor Ort die Solidarität und Unterstützung unserer Gewerkschaft anzubieten«.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (7. August 2024 um 06:59 Uhr)
    Die Sucht der Herrschenden, in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Großbritannien das perfekte Reich des Neoliberalismus zu errichten, hat in der Gesellschaft riesige soziale Spannungen hervorgebracht. Erinnert sei daran, dass dabei nicht allein die Tories mitwirkten, sondern auch solche »Lichtgestalten« der europäischen Sozialdemokratie wie Tony Blair. In der anglo-amerikanischen Sichtweise ist an gesellschaftlichen Missständen immer der Einzelne schuld. Auf diese perfide Weise werden die Schwachen ständig dazu erzogen, ihr Glück auf Kosten der noch Schwächeren durchsetzen zu müssen. Wenn das wegen des neoliberalen Niedergangs von Wirtschaft und Staat nicht mehr funktioniert, wird eben zugeschlagen. Schließlich hat man ständig eingebläut bekommen, dass Ellenbogen dazu da sind, sie rücksichtslos zu gebrauchen. Die eigentlichen Verursacher sind fein raus. Sie rümpfen die Nase über den tobenden Mob. Ihre Konten wachsen ständig weiter. Auch dann, wenn noch so viele ohnehin Gebeutelte den Unruhen zum Opfer fallen.

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