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Aus: Ausgabe vom 07.08.2024, Seite 8 / Ansichten

Sehnsuchtsort des Tages: Garnisonkirche Potsdam

Von Arnold Schölzel
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Wieder auf neu gemacht: Der Turm der Potsdamer Garnisonkirche, Symbol des militanten Preußentums (Potsdam, 18.6.2024)

Die deutsche Einheit wird vollendet: Berlin hat die Hohenzollernschlossattrappe, in Potsdam wird am 23. August der wiedererrichtete Turm der Garnisonkirche eröffnet. Das gab die zuständige Stiftung am Dienstag bekannt: Die Rumpelkammerneueinweihung findet mit allem Pipapo statt, also Festakt am Vortag mit Bundespräsident, weil der Schirmherr ist. Vor 91 Jahren am 21. März 1933 schüttelte Steinmeiers Amtsvorgänger Paul von Hindenburg im Ornat eines Generalfeldmarschalls dem Reichskanzler Adolf Hitler – statt Braunhemd Cut – dort unter dem Jubel Zehntausender Volksgenossen die Hand. Wenn sich eine bürgerliche Republik Faschisten übergibt, dann mit Glockengeläut und Feudalkulisse. Das Steinmeier-Gewand wird unauffällig zivil sein. Kriegstüchtigkeit erfordert heute keinen Wichs, obwohl: In der heutigen Stadt von Alexander Gauland, Friede Springer, Kai Diekmann, Günther Jauch etc. paradieren längst wieder Männertrupps in maßgeschneiderten Preußenuniformen. Die bilden hoffentlich mit »Vivat!« Spalier.

Schließlich ist der Sehnsuchtsort für Soldatenschikane und beschränkten Generalsverstand wieder da. Leider kann einer der großzügigen Sponsoren des Wiederaufbaus das Politspektakel nicht mehr miterleben. Der Berliner Banker Ehrhardt Bödecker hat schon 2016 das Zeitliche gesegnet. Zuvor stiftete er kräftig was auch fürs Berliner Preußenmonstrum und gab von sich, Deutschland und Europa litten seit 1918 unter dem »talmudischen ›Niemals vergessen‹«. Eine Erinnerungstafel ist fällig. Leider verletzt aber die Stiftung Garnisonkirche die Würde des Bauwerks. Auf ihrer Website nennt sie den Turm prollig »Das Wow-Wahrzeichen«. Wer nach Steinmeier rein will, darf zwölf Euro berappen. Getragen hat die Baukosten von 42 Millionen Euro zum größten Teil der Bund. Da kann der Pilger auch was berappen.

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  • Leserbrief von Webster Steinhardt aus Hamburg (7. August 2024 um 18:45 Uhr)
    Fuck Garnisionskirche!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (7. August 2024 um 07:28 Uhr)
    Ich habe das unwürdige Schauspiel der Wiedererrichtung dieses Bauwerks und aller anderen »Preussentempel« hier vor Ort seit 1990 mitverfolgt. Diejenigen, die für die Verschwendung von Steuergeldern zur Wiederrichtung dieses historisch belasteten Bauwerks votierten, sind zu einem überwiegenden Teil Potsdamer »Neubürger«. Viele Potsdamer, die hier geboren wurden oder den größten Teil ihres Lebens hier verbrachten, waren gegen diese geschichtsverherrlichende und geschichtsverklärende Kampagne. Aber der unselige Historismus, der die Geschichte dieses Landes ausblendet und nach 1990 um sich griff, hat mithilfe der etablierten Entscheider, vor allem der SPD, obsiegt. Das Resultat, ein Disneyland aus ehemaligem Stadtschloss und einer Reihe von Gebäuden parallel zum Fluss, kann von jedem Touristen besichtigt werden. Die Garnisonkirche, Symbol des preußischen Militarismus und seit der dort 1933 stattgefundenen Übergabe der Macht an den Naziführer Hitler, auch Symbol des deutschen Faschismus, wurde durch anglo-amerikanische Bomber 1945 schwer beschädigt und daraufhin, auch aus historischen Gründen, abgerissen. Der Wiederaufbau passt in die heutige Zeit, in der geschichtsvergessene Politik vorherrscht und preußische Kriegsertüchtigung propagiert wird.
    • Leserbrief von Im Tatra durch Potsdam aus bei der Sprengung der Kirche in Potsdam (7. August 2024 um 16:25 Uhr)
      Hallo, Ihr Lieben, als jemand, der die Sprengung der alten rudimentären Kirche am Ort erlebt und gehört hatte, kann ich am rein historischen Wiederaufbau solcher Kathedralen selbst nichts besonderes empfinden. Der Ausdruck einer Symbolik, dass alleine das Vorhandensein eines Bauwerks etwas geändert hatte, ist dabei nicht ganz alleine richtig. Als Kultus zu vermitteln, nur durch etwas, was keinen praktischen oder ideellen Nutzen hätte, dabei dies als Kirche zu verstehen, kann einfach nicht wieder als blasphemisch geahndet werden.
    • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (7. August 2024 um 11:44 Uhr)
      »… das unwürdige Schauspiel der Wiedererrichtung dieses Bauwerks.« Sehr geehrter Herr Kral, Sie haben schon recht, dass vor allem die Neubürger von Potsdam oder anderen Orten der ehemaligen DDR ihre Ideologie mitbrachten und mit der Bausubstanz entsprechend verfuhren. Abreißen, was in der DDR geschaffen wurde. Die alten Fassaden wieder errichten. Auch passt dies zum wieder dominierenden militaristischen Zeitgeist. Dennoch besteht der Fehler nicht im Wiederaufbau, sondern im Abriss. Der Abriss des Berliner Stadtschlosses (es war weniger beschädigt als der Zwinger in Dresden) zugunsten eines Aufmarschplatzes für sozialistische Demonstrationen war zumindest zu kurzfristig gedacht. Man dachte (auch in der UdSSR nach 1917 beim Abriss der Kirchen und Ermordung der Priester), dass dann mit dem Verschwinden der Gebäude auch der Geist ausgerottet wird, der darin herrschte. Ein Trugschluss. Es muss nicht unbedingt nach jeder Revolution oder Konterrevolution alles abgerissen bzw. umbenannt werden. Man sollte die Gebäude lassen als Erinnerung an die eigene Geschichte und zu ihr ehrlich stehen. Das Schloss Versailles ist durch dort 1919 getroffene Entscheidungen, welche dem Faschismus in Deutschland, Ungarn, Frankreich und anderen Staaten die Tür öffneten, nicht weniger historisch belastet als die Garnisonskirche. Doch selbst nach der Französischen Revolution kam in einem Land, welches seine Architektur achtet, niemand auf die Idee, es wegen seiner Geschichte abreißen zu lassen. Historismus gab es schon immer jeweils in der Endphase einer Gesellschaftsordnung. Wir dürfen hoffen! Das war im späten deutschen Kaiserreich der Fall, aber auch in der DDR. Das Konzerthaus Berlin ist ebenso Kopie und Attrappe wie das Stadtschloss. Das Reiterstandbild von Friedrich II. wurde nicht von Kohl wieder Unter den Linden aufgestellt, sondern von Honecker. Historisierende Wohnviertel wurden nicht nur in der BRD am Ufer der Havel errichtet, sondern auch in der DDR am Ufer der Spree.

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