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Aus: Ausgabe vom 07.08.2024, Seite 10 / Feuilleton
Country

Eine Selbstverständlichkeit

Hinterwäldler hergehört: Swamp Dogg singt Countrysongs
Von Andreas Schäfler
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»If you want to live the high life / Become a ugly man’s wife« – Swamp Dogg

Appetit auf zeitgenössischen US-amerikanischen Rock und Pop will in diesem Sommer nicht so recht aufkommen. Zunehmend genervt vom degenerierten Politikbetrieb unter dem Sternenbanner lässt man auch auf musikalischem Gebiet instinktiv Vorsicht walten, zumal einen via Berichterstattung über Trumps Krönungsmessen schon die eine und andere Breitseite Rechtsrock aus der reaktionären Countryecke erwischt hat. Auch das meiste, was die Superstars von drüben so abliefern, wirkt immer hochgradiger kontaminiert und reicht von den unerträglichen Geltungsdrangkapriolen eines Kanye West bis zum kühl kalkulierten Weltherrschaftsmarketing à la Taylor Swift. Die Spotify-Playlist von Kamala Harris ist da eine sympathische Fußnote, aber keineswegs ein Rettungsanker. Lange her, dass ein alter Kämpe wie Ry Cooder sein eminent kämpferisches Album »Pull Up Some Dust and Sit Down« gegen den ganzen Pop- und Politikirrsinn in Stellung gebracht hat.

Für Abhilfe sorgt jetzt ausgerechnet das Enfant terrible Swamp Dogg, bürgerlich Jerry Williams Jr. Mit seinem neuen Album »Blackgrass« geht der schwarze Soulsänger und -produzent beherzt dahin, wo’s richtig wehtut: in die Appalachen nämlich, also exakt ins Hinterland der »Hillbilly Elegy« von J. D. Vance, wo einst auch die Blue­grass Music zu Hause war. Aber »Blackgrass«? Was uns aus der Ferne wie ein Reenactment vorkommen mag, ist für Swamp Dogg eine Selbstverständlichkeit. Der 82jährige klingt auf dieser Platte tatsächlich so, als hätte er sein Leben lang nichts anderes als Countrysongs geschmettert. Mit Banjo, Fiedel, Mandoline und Waschbrett zu hantieren, sei von alters her Sache der Afroamerikaner gewesen. »Wir spielten diese Musik schon, bevor sie überhaupt einen Namen hatte.«

Sie ist auch uns schon verschiedentlich zu Ohren gekommen. Man brauchte mitnichten Bluegrass-geschult zu sein, um dem von T-Bone Burnett produzierten »O Brother, Where Art Thou?«-Soundtrack zu verfallen. Und hatte nicht weit früher bereits Jerry Garcia von Grateful Dead tüchtig aus diesem Reservoir geschöpft?

Jerry Williams Jr. begann in den 60er Jahren als waschechter R-’n’-B-Sänger, arbeitete dann erfolgreich als Produzent für Soul- und Funkgrößen wie Patti LaBelle, die Commodores und die Drifters, bis er unter den Hitfabrikzwängen von Atlantic Records zu ächzen begann. Er war es leid, Konfektion zu liefern, und legte sich für die eigene Gesangskarriere das Alias vom Hund aus den Sümpfen zu. So konnte er in andere Rollen schlüpfen und auch mal nonkonforme Geschichten erzählen. »Ich wollte in der Lage sein, über Sex, Religion und Politik, ja über alles singen zu können.« Das tat er dann auch sehr konsequent, kultivierte sein Exzentrikerimage, pinkelte dabei so manchem Herrchen ans Bein und schonte sich bisweilen sogar selbst nicht.

Sein Countryausflug hat einiges mit John Prine, einem erst spät gefeierten und leider früh verstorbenen Großmeister des Genres, zu tun. Ihm hat Swamp Dogg das Album gewidmet, und erschienen ist es auf dem Label Oh Boy Records, das einst Prine ins Leben rief. Natürlich kommt auf »Blackgrass«, sobald der Sumpfhund den Mund aufmacht, Soul heraus: aufgekratzt und hitzig in den schnellen Nummern (»If you want to live the high life / Become a ugly man’s wife«), warm und würdevoll in der Befreiungshymne »Songs to Sing«. Die Band jedoch, angeführt von der Dobro-Autorität Jerry Douglas, interpretiert die Songs in lupenreiner Bluegrass-Manier, wie sie wohl nur in den Studios von Nashville überlebt hat.

Swamp Dogg beschließt den überwiegend munteren Reigen durch sein Best-of-Repertoire mit der todtraurigen »Murder Ballad«: »I murdered a man / It was easier than I thought«, gesteht der Erzähler im dahingestammelten Selbstgespräch. Keinen Gedanken an die Todeszelle oder an die Hölle habe er dabei verschwendet, ja noch nicht einmal mit der Möglichkeit gerechnet, erwischt zu werden. Die unterschwelligen Geräusche hinter dem stoischen Stehbass und dem beiläufigen Banjogeklimper aber können nur von einem elektrischen Stuhl stammen.

Swamp Dogg, »Blackgrass. From West Virginia to 125th St« (Oh Boy Records/Membran)

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