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Aus: Ausgabe vom 12.08.2024, Seite 4 / Inland
Massenüberwachung in der BRD

Faeser plant Angriff auf Anonymität

Ministerin will Einsatz von automatischer Gesichtserkennung erlauben. Kritik von Grünen und FDP
Von Marc Bebenroth
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Die Betroffenen oder ihre Rechte interessieren die Hightech-Kriminologen eher wenig. Präsentation des bayerischen Landeskriminalamts (München, 7.2.2020)

Das Naserümpfen der Koalitionspartner dürfte die Bundesinnenministerin nicht davon abhalten, die Massenüberwachung in der BRD auszuweiten. Am Wochenende hat der Fraktionsvize von Bündnis 90/Die Grünen, Konstantin von Notz, Zweifel am Vorhaben geäußert, dem Bundeskriminalamt und der Bundespolizei den Einsatz von Software zur Gesichtserkennung zu erlauben. Ein entsprechender Gesetzentwurf aus dem Hause von Nancy Faeser (SPD) sieht vor, dass die Ermittler beispielsweise im Internet veröffentlichte Videos mit Fotos auf Onlineplattformen abgleichen dürfen.

Von Notz, der auch dem Geheimdienstgremium des Bundestags vorsitzt, wies am Sonnabend gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) darauf hin, dass der Koalitionsvertrag der Ampelparteien SPD, FDP und Grüne »aus gutem Grund eine klare Absage an die biometrische Erfassung zu Überwachungszwecken im öffentlichen Raum enthält«. »Das Recht auf Anonymität sowohl im öffentlichen Raum als auch im Internet ist zu gewährleisten«, heißt es dazu in dem Papier vom März 2021. Doch die staatliche »Terrorbekämpfung« macht dieses Versprechen zur Makulatur.

»Auch wer freiwillig die Öffentlichkeit eines sozialen Netzwerks sucht, gibt dadurch nicht seine verfassungsrechtlich garantierten Rechte auf«, erinnerte der Jurist von Notz gegenüber dem RND. Der Grünen-Obmann im Innenausschuss des Bundestags, Marcel Emmerich, versprach verhindern zu wollen, »dass hochsensible Daten unschuldiger Personen durch KI-Systeme massenhaft – oft durch intransparente Algorithmen – flächendeckend erfasst und ausgewertet werden«. Das Ministerium versuchte Kritiker damit zu beruhigen, dass die anstehende Gesetzesänderung Gesichtserkennung in Echtzeit ausdrücklich nicht beinhalte.

Der digitalpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Maximilian Funke-Kaiser, verriet der Nachrichtenagentur AFP am Sonntag, dass Faesers Gesetzentwurf innerhalb der Bundesregierung nicht abgestimmt sei. Es bleibe unklar, wie diese Pläne »mit den klaren Vorgaben des Koalitionsvertrags« vereinbar seien. Markus Beckedahl, Gründer des Fachportals netzpolitik.org, ging gegenüber dem RND davon aus, dass »das Vorhaben nicht verfassungskonform ist«.

Die Behörden würden »zeitgemäße Befugnisse« benötigen, um Tatverdächtige und sogenannte Gefährder – also Unschuldige, denen der Staat schwere Straftaten zutraut – »insbesondere im Bereich von Terrorismus und schwerer und organisierter Kriminalität schnell und effektiv identifizieren und lokalisieren zu können«, zitierte die Nachrichtenagentur AFP am Freitag eine Sprecherin des Innenministeriums. Als Beispiel für den geplanten »biometrischen Internetabgleich von Bilddaten zu einer automatisierten Datenanalyse polizeilicher Daten« nannte die Sprecherin Material etwa aus »Hinrichtungs- oder Foltervideos«. Hier könne auch Gesichtserkennungssoftware »dazu beitragen, eine Person zu identifizieren und zu lokalisieren«.

Über die angekündigten neuen Befugnisse, mit denen die Erwartung an mehr Finanzmittel, Personal und technische Ausstattung verbunden sein dürfte, zeigte sich der Berufsverband Bund Deutscher Kriminalbeamter erfreut. »Wir stehen voll hinter dem Vorschlag«, sagte der Vorsitzende Dirk Peglow dem RND (Sonntagsausgaben). Peglow gab sich zugleich demonstrativ neidisch gegenüber »investigativen Recherchenetzwerken«. Damit spielte der Polizeilobbyist darauf an, dass lange vor der Festnahme der angeblichen »RAF-Terroristin« Daniela Klette in diesem Jahr ein kanadischer Journalist mit Software zur Gesichtserkennung im Internet ältere mutmaßliche Fotos von Klette und ihren Tanzgruppen in Berlin gefunden haben will.

Welche Software die Behörden gegebenenfalls einsetzen wollen, bleibt abzuwarten. In der Regel können sich beispielsweise geheimdienstnahe US-Firmen auf entsprechende Staatsaufträge freuen.

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