75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Sa. / So., 14. / 15. September 2024, Nr. 215
Die junge Welt wird von 2939 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 12.08.2024, Seite 6 / Ausland
Lateinamerika

Kakophonie der Fake News

Venezuela: Psychokrieg um Wahlausgang geht weiter. Westmedien verbreiten kritiklos ultrarechte Propaganda
Von Volker Hermsdorf
6.jpg
Elon Musks Kurznachrichtendienst X ist eine der wichtigsten Plattformen für Propaganda gegen die Linke in Venezuela (Caracas, 9.8.2024)

Zwei Wochen nach der Präsidentschaftswahl in Venezuela beherrscht der Streit über deren Ergebnis noch immer die Schlagzeilen der Medien. Neben überprüfbaren Nachrichten wimmelt es dabei auch von sogenannten Fake News und zweckgerichteter Propaganda. Darüber hinaus klagt die Regierung über Cyberangriffe, die seit Beginn der Wahlen fast alle wichtigen Behördenportale lahmlegen.

»Das Ausmaß der Aggression, die zum einen darauf abzielt, eine Informationsblockade zu erzeugen, und zum anderen, einen Cyberstaatsstreich gegen die verfassungsmäßigen Institutionen des Landes zu organisieren«, übertreffe alle bisherigen derartigen Angriffe, erklärte Venezuelas UN-Botschafter Joaquín Pérez, nachdem die Vereinten Nationen am Donnerstag einstimmig ein Gesetz gegen Cyberkriminalität auf den Weg gebracht hatten. Er begrüßte die Aufnahme einer Formulierung zur Kriminalisierung von Angriffen auf die lebenswichtige Infrastruktur von Staaten in das Übereinkommen, da Venezuela – neben Attacken auf sein Wahlsystem – auch Cyberangriffen auf das Elektrizitätssystem und andere strategische Sektoren, darunter die Öl- und Gasindustrie, ausgesetzt sei. Laut Pérez wurden in seinem Land seit der Wahl mehr als 30 Millionen Cyberangriffe als Teil von »Desinformationskampagnen« im Rahmen einer »Destabilisierungsoperation« festgestellt.

Wie zur Bestätigung derartiger Vorwürfe sperrte das US-Video-Portal Youtube den Kanal des Fernsehprogramms »Con el mazo dando« von Diosdado Cabello, dem Vizepräsidenten der Regierungspartei PSUV. Während der regierungsnahe Youtube-Kanal ohne jede Erklärung zensiert wurde, begründete Präsident Nicolás Maduro eine zehntägige Sperrung der Plattform X immerhin damit, dass dort verbreitete Falschmeldungen zu Gewalt und Hass aufrufen würden. Bereits im Wahlkampf hatte Maduro dem US-Multimilliardär Elon Musk vorgeworfen, mit X eine »Farbenrevolution« organisieren zu wollen. Der für den Spruch »Wir putschen weg, wen immer wir wollen und wann immer wir wollen« bekannte Tesla-Chef hatte unter anderem ein Foto verbreitet, das den Raub von Wahlurnen durch »Maduros kommunistische Gangs« beweisen sollte, tatsächlich aber Monteure zeigte, die Kartons mit Klimaanlagen aus einem Lager trugen. In offenbar ähnlicher Absicht hatte sich Francisco Santos, der ehemalige Stellvertreter des ultrarechten kolumbianischen Expräsidenten Álvaro Uribe (2002–2010), aus Kolumbien mit dem Vorwurf gemeldet, Kuba habe Informatiker und IT-Fachleute nach Venezuela geschickt, um das Wahlergebnis zu manipulieren. Havanna wies die Behauptung des für Falschmeldungen bekannten Rechtspolitikers umgehend als »politisch motivierte Konstruktion einer Lügenmatrix« zurück.

Auch deutsche Medien verbreiten unbewiesene Behauptungen als Tatsachen. Während der Oberste Gerichtshof in Venezuela noch die Wahlunterlagen prüft, schrieb das ZDF am Sonnabend auf seiner Homepage: »Nach der offenkundig von Nicolás Maduro gefälschten Präsidentschaftswahl« blieben ihm »nur Gewalt und Propaganda«. Im Deutschlandfunk wurde am selben Tag unter dem Titel »Bedroht, verfolgt, verschwunden« – ohne Prüfung von Fakten – über angebliche »Folterzentren« und die »größte Repression in Lateinamerika seit dem Putsch in Chile durch Pinochet im Jahr 1973« berichtet. Einziger Zeuge dafür ist der militante Oppositionsaktivist Marino Alvarado von der sogenannten NGO »Provea«. Auch tagesschau.de bemüht Anhänger der rechten Opposition als »Quellen« und übernimmt ungeprüft deren Behauptungen von der Internetseite »Monitor de Víctimas« oder dem von Alfredo Romero geleiteten »Foro Penal Venezolano«. Die ARD-Nachrichtenseite verschweigt, dass Romero seit Jahren aktiver Mitstreiter der ultrarechten Oppositionsführerin María Corina Machado ist.

Bei soviel Desinformation dürfte es dem Obersten Gerichtshof Venezuelas schwerfallen, mit dem Ergebnis der Überprüfung von Wahlunterlagen Gehör zu finden. Oppositionskandidat Edmundo González war als einziger der zehn Bewerber um das Amt des Präsidenten nicht vor dem Gericht erschienen und weigert sich, Unterlagen, die seinen angeblichen Sieg beweisen sollen, überprüfen zu lassen.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (11. August 2024 um 21:00 Uhr)
    Per Wahl die bestehende kapitalistische Gesellschaft zu verbessern, geschweige denn zu ersetzen, scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Bis jetzt hat noch nirgendwo in der Welt dauerhaft eine Staatsführung via Stimmzettel das bestehende Herrschaftssystem außer Kraft gesetzt. Daher ist jede Wahl einer antikapitalistischen Regierung eine wahre Zitterpartie. Sie sitzt quasi auf einer Art Katapult in Permanenz, so dass sie sich allermeist nicht dauerhaft halten kann.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (12. August 2024 um 16:25 Uhr)
      Meine Empfehlung zum Thema Venezuela: Chavez: Venezuela and the New Latin America: Venezuela and the New Latin America - Hugo Chavez Interviewed by Aleida Guevara - Chavez, Hugo. Dieses Buch habe ich vor fünfzehn Jahren aus Cuba mitgebracht. Mit etwas Sucherei wird man fündig und bekommt es antiquarisch zu einem vertretbaren Preis. Man muss natürlich berücksichtigen, was sich seit dieser Zeit alles getan hat.

Ähnliche:

  • Badet trotz Anschlagsdrohungen in der Menge: Venezuelas Präsiden...
    08.07.2024

    Umsturzangebot abgelehnt

    Venezuela: Kolumbianische Milizionäre sagen Auftrag zum Kampf gegen Maduro-Regierung ab
  • Seinem Amtskollegen aus Kolumbien die Hände gereicht: Venezuelas...
    10.04.2024

    Annäherung unter Nachbarn

    Kolumbien und Venezuela legen Streit um Wahlen bei und betonen Ausbau bilateraler Beziehungen

Mehr aus: Ausland