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Aus: Ausgabe vom 12.08.2024, Seite 8 / Ansichten

Matrjoschka-Krieg

Kämpfe in Kursk und im Donbass
Von Reinhard Lauterbach
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Kursk, 11. August: Nach dem Beschuss eines Wohnblocks durch ukrainische Streitkräfte

Mit der Entscheidung, die Kämpfe in der Grenzregion Kursk als »Antiterroroperation« einzustufen, folgt die russische Führung dem ukrainischen Beispiel. Die hatte die Versuche zur Rückeroberung des Donbass ab dem Frühjahr 2014 auch so genannt. Der praktische Unterschied zu einem Krieg war minimal, aber rhetorisch sollte dem Gegner die politische Satisfaktionsfähigkeit abgesprochen werden.

Aber damit, dass die ukrainischen Truppen als Terroristen beschimpft werden, sind sie noch nicht besiegt. Wenn sich, wie zu erwarten, die Kämpfe hinziehen, kommt die russische Führung mit ihrer Rhetorik in Schwierigkeiten: Sie müsste dann eingestehen, dass sie nicht in der Lage sei, mit einer terroristischen Bedrohung ihrer Souveränität fertigzuwerden. Sollte sich Russland zu einer neuen Welle der Mobilisierung von Reservisten gezwungen sehen, um mit dieser Gefahr umzugehen, würde das diesen Anschein der Schwäche noch verstärken. Ob das ihrem Ansehen in einer Bevölkerung nutzt, die bisher in ihrer großen Mehrheit offenbar hinter Präsident Wladimir Putin steht und den Ukraine-Krieg vielleicht bedauert, aber nicht kritisiert? Schon jetzt fordern patriotische Blogger den Kopf von Generalstabschef Waleri Gerassimow, der die im Grenzgebiet zu Kursk heranreifende Bedrohung nicht gesehen oder unterschätzt habe.

Natürlich, jeder Vergleich mit der ähnlichen Rhetorik von Söldnerführer Jewgeni Prigoschin vor einem Jahr hinkt, weil diese Blogger keine Kampftruppen an ihrer Seite haben. Aber das Problem für die Darstellung des Konflikts durch die russische Führung wird damit nicht geringer: Je länger sich die Kämpfe hinziehen, desto stärker muss der Kontrast zwischen dem Unbesiegbarkeitsimage der russischen Streitkräfte – propagandistisch aufgehängt an dem an sich zufälligen Umstand, dass die Kämpfe jetzt mehr oder minder dort stattfinden, wo im Sommer 1943 die letzte große deutsche Offensive in der Sowjetunion scheiterte – und ihren bisher begrenzten Erfolgen ins Auge stechen. Da hilft auch der Verweis darauf weniger, dass die Ukraine NATO-Waffen einsetzt und ihre Truppen von westlichen Instrukteuren ausgebildet werden. Ja und? Als Tatsache ist das seit langem bekannt; würde man dieses Argument entwickeln, müsste sich die Folgerung aufdrängen, dass die russische Armee dieser Herausforderung unter dem Strich nicht gewachsen sei.

Diesen Schluss zu ziehen ist es im Moment noch entschieden zu früh. Westliche Militärs, die in US-Leitmedien zu Wort kamen, haben dem russischen Militär bescheinigt, aus früheren Misserfolgen gelernt zu haben und jetzt eine effiziente Abnutzungsstrategie gegenüber der Ukraine zu verfolgen. Beide Seiten spielen auf Zeit: Jede will die andere zwingen, ihre Angriffsoperationen an anderer Stelle zu stoppen oder zu unterlassen. Es ist ein Stellvertreterkrieg à la Matrjoschka.

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  • Leserbrief von Andreas Bankonier aus Rostock (12. August 2024 um 16:59 Uhr)
    Der Einstufung der militärischen Operation der Ukraine im Großraum Kursk als »Terrorismus« könnte aber auch ein anderer Gedanke zu Grunde liegen: Im Falle der Einstufung als »kriegerischer Angriff einer feindlichen Armee/feindlichen Staates« könnten geschlossene Beistandsverträge aktiviert werden. Ähnlich des sogen. »Bündnisfalles« der NATO. Mit unabsehbaren Folgen für Europa durch diese weitere Eskalation. Die Zeit für den Beginn von Friedensgesprächen ist überreif!
  • Leserbrief von Lis Kerner aus Berlin (12. August 2024 um 12:07 Uhr)
    Die UdSSR (Russland) war nur bis 1953 unbesiegbar! Dann kam der »Schlächter von Kiew«, Chrustschow, an die Macht und der Untergang begann … Etwas gebremst wurde er von Breshnew, der aber dann den Kardinalfehler beging mit dem Krieg in Afgahnistan … Dann der Verräter von militärischen Staatsgeheimnissen an die USA, der vom Westen so geliebte »Gorbi« und letztendlich der Alki Jelzin … Solange in Moskau Farbblinde und Liberale an der Macht sind, Putin weiterhin das Zentrum der 5. Kolonne – das Jelzin-Zentrum agieren lässt und die Armeeführung ein Haufen Diebe ist … wird Russland nicht siegen. Das ist sehr schmerzlich, wenn man bedenkt, unter welchen Opfern die UdSSR 1945 siegte!
    • Leserbrief von Reinhard Sandrock aus Dresden (12. August 2024 um 12:42 Uhr)
      Na ja, so einfach ist das nun wieder nicht. Mit den Stalinschen Säuberungen ab 1936 wurde die Rote Armee enthauptet, siehe Tuchtschewski und andere. Wurde schmerzhaft sichtbar im sowjetisch-finnischen Winterkrieg oder besonders in den ersten 18 Monaten nach dem deutschen Überfall bis zur Stalingrader Schlacht. Der militärische und (!) ökonomische Abstieg der SU begann in den 70ern und besonders ab Anfang der 80er. Das Gerangel um die Nachfolge Breshnjews dürfte wohl noch bekannt sein, als »Gorbi« das Zepter übernahm, war nichts mehr zu retten. Die ökonomischen und nationalen Probleme konnten nicht mehr gelöst werden. Unter Jelzin und Putin erst recht nicht. Die russische Armee zeigt sich heute desaströs und marode. Die früheren Strategen wie Shukow, Konjew oder Tuchatschewski würden sich im Grabe umdrehen.
      • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (14. August 2024 um 14:28 Uhr)
        »Das Gerangel um die Nachfolge Breshnjews dürfte wohl noch bekannt sein, als ›Gorbi‹ das Zepter übernahm, war nichts mehr zu retten.« Schöne Legende, er wollte nichts retten. Aber lassen wir den Totengräber der Sowjetunion selber sprechen: Gorbatschow auf einem Vortrag in Ankara im Oktober 1999: »Mein Lebensziel war die Zerschlagung des Kommunismus«.
    • Leserbrief von Peter Balluff aus Vöhl (12. August 2024 um 12:21 Uhr)
      … wie viele Flaschen Moskovskaya muss man sich denn reinschütten, um so einen Leserbrief zu schreiben …?
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (12. August 2024 um 08:25 Uhr)
    Selenskyjs Regime, vollständig auf die Gnade Washingtons und Brüssels angewiesen, ist verzweifelt und dabei, den Krieg im Donbass zu verlieren. Die Aktion im russischen Gebiet Kursk, mit einer überschaubaren Anzahl von Soldaten und Technik, ist wegen der ausschließlichen Aktionen gegen Zivilisten und zivilen Objekten ein Terrorakt. Daran kann die westliche Propaganda des Reinwaschens nichts ändern. Dieser Umstand wird im Artikel von Herrn Lauterbach keinerlei Beachtung geschenkt, gehört aber m. E. zu Bewertung der Lage. Dennoch ist die Kritik in Russland berechtigt. Es wäre Aufgabe der Geheimdienste und der militärischen Aufklärung gewesen, die Ansammlung von ukrainischem Militär an der Grenze zum Gebiet Kursk aufzudecken und rechtzeitige Gegenmaßnahmen zu veranlassen. Das verbrecherische und geschichtsvergessene Agieren des Westens und seines Vasallen in Kiew in einem historisch belasteten Territorium wird eine heftige Reaktion von Seiten Russlands auslösen.
  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (11. August 2024 um 20:40 Uhr)
    Es wird sich zeigen, wie lange sich die Kämpfe bei Kursk hinziehen. Dauern sie lange, dann muss man die russischen Truppen als bloße »Schlappekicker« einstufen. Entsprechende Anzeichen hierfür scheint es zu geben, denn in einer Art Nachtwächter-Manier haben sich die russischen Truppen überraschen lassen.
    • Leserbrief von Joachim Seider aus Berlin (12. August 2024 um 14:45 Uhr)
      Ich habe schon damals bei Corona gestaunt, wieviele allwissende Virologen es plötzlich gab. Bei den Militärstrategen scheint es ähnlich zu werden. Zumindest was das Verwechseln von taktischen Erfolgen mit strategischen Entwicklungen angeht, ist das Niveau schon deutlich ähnlich.

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