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Aus: Ausgabe vom 16.08.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Tod hinter Gittern

»Zellenbrände haben System«

Alltag im Knast: Misshandlungen, Isolation und organisierte Vernachlässigung können tödlich enden. Ein Gespräch mit Lotta Maier
Von Annuschka Eckhardt
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In der Justizvollzugsanstalt Heidering brennt es häufiger (Berlin, 15.3.2023)

Seit 2012 gab es 107 Zellenbrände in Berliner JVAs, insgesamt sind fünf Personen gestorben. Wie kommt diese hohe Zahl zustande?

Wir waren selbst schockiert, als wir diese Zahl in der Antwort auf unsere Anfrage gelesen haben. Auch in der JVA Heidering hat es vor kurzem gebrannt, nämlich am 12. Juli. Damals wurde zum Glück niemand ernsthaft verletzt. Wenn man darauf achtet, stößt man ständig auf solche Nachrichten. Zellenbrände haben leider System.

Die Installation von Löschvorrichtungen (Sprinkleranlage, etc.) lässt sich laut Antwort des Berliner Senats in den meisten Bestandsgebäuden des Vollzuges – vielfach historische Gebäudestrukturen – baulich-technisch nicht umsetzen. Wie kann es sein, dass Gefangene ohne Löschvorrichtungen auskommen müssen?

Es wird immer wieder kritisiert, dass einige Berliner Gefängnisse in geradezu mittelalterlichen Gebäuden untergebracht sind, das betrifft unseres Wissens vor allem Moabit und Tegel. Dass es dort nicht möglich sein soll, moderne Sprinkleranlagen einzubauen, passt also gewissermaßen ins Bild. Es wird dadurch aber nicht weniger skandalös. Nachdem Ferhat Mayouf 2020 bei einem Zellenbrand in der JVA Moabit gestorben war, haben sein Bruder und sein Anwalt Benjamin Düsberg ein unabhängiges Brandgutachten in Auftrag gegeben. Der Gutachter aus Großbritannien war sehr überrascht, dass es in den Zellen in Moabit weder Rauchmelder noch Löschvorrichtungen zu geben scheint.

Am 19. Juli ist ein 29 Jahre alter Kurde in seiner Zelle in der JVA Heidering in Großbeeren verbrannt. Nun führt die Staatsanwaltschaft Potsdam ein Todesermittlungsverfahren durch. Was ist da passiert?

Wir haben bisher keine Informationen, die über die mediale Berichterstattung hinausgehen. Demnach soll der Gefangene seine Zellentür verbarrikadiert und das Feuer selbst gelegt haben, in der Absicht, sich selbst zu töten. Aus unserer Erfahrung können wir sagen, dass die Justiz meist schnell von Suizid spricht und alle Verantwortung von sich weist, wenn Gefangene sterben. Oft wird letztlich gar nicht aufgeklärt, wie die Brände entstanden sind, oder es gibt Hinweise darauf, dass die Verstorbenen zwar das Feuer selbst gelegt haben, aber anschließend noch um Hilfe riefen, also nicht sterben wollten. Konsequenzen gibt es aber in der Regel nicht.

Auf Instragram kursierte dazu eine Nachricht, dass der Gefangene Kurde war und türkische Schließer, die den Grauen Wölfen nahestehen, dafür verantwortlich sein sollen, dass ihm nicht geholfen wurde. Für wie wahrscheinlich halten Sie das?

Wir haben diese Nachricht gelesen und sehen erstmal keinen Grund, sie anzuzweifeln. Es gab schon häufiger Berichte über rechte JVA-Bedienstete, denen vorgeworfen wurde, Insassen aus rassistischen Motiven misshandelt zu haben. Und tendenziell ziehen Berufe, in denen es darum geht, Ordnung herzustellen und Macht über andere Menschen auszuüben, also etwa bei der Polizei oder im Gefängnis, eher Personen mit rechtem Weltbild an. Ob das in der JVA Heidering tatsächlich so war, können wir aber mangels genauerer Informationen nicht beurteilen.

Nach dem Zellenbrand wird von seiten der JVA behauptet, der Gefangene hätte den Brand selbst gelegt. Wie kann das bewiesen oder widerlegt werden, wenn die Ermittlungen nicht von einer unabhängigen Stelle, sondern von der Polizei selbst geführt werden?

Das ist eine gute Frage. Bei der Polizei ist es ja schon äußerst schwierig, Morde oder anderes Fehlverhalten aufzuklären. Aber wenn deren Taten im öffentlichen Raum stattgefunden haben, gibt es teilweise immerhin unabhängige Zeugen. Im Gefängnis ist es noch schwieriger, an verlässliche Infos zu kommen – auch weil Mitgefangene, die vielleicht etwas gesehen oder gehört haben, häufig eingeschüchtert werden und nachvollziehbarerweise davor zurückschrecken, ihre Beobachtungen nach draußen zu tragen. Eines ist sicher: Ohne öffentlichen Druck ist es kaum möglich, Aufklärung zu erreichen.

Was bringt Gefangene dazu, Feuer in der eigenen Zelle zu legen?

Durch unsere Recherche kennen wir viele schreckliche Fälle, bei denen Gefangene durch Demütigungen, Misshandlungen, Isolation und organisierte Vernachlässigung in den Tod getrieben wurden. Gefängnisse sind Institutionen, die dem Menschenleben aktiv schaden. Von Suizid sprechen wir in dem Zusammenhang nicht, weil wir davon ausgehen, dass es in einer Institution wie dem Knast keinen freien Willen geben kann, das eigene Leben zu beenden.

Wenn Gefangene Feuer legen, geht es andererseits nicht immer darum, sich umzubringen. Das Ziel kann auch sein, auf sich aufmerksam zu machen und gegen unerträgliche Haftbedingungen zu protestieren. Wenn die Betreffenden dann sterben, weil ihnen nicht geholfen wurde, ist es um so zynischer, ihren Tod als Suizid zu labeln.

Lotta Maier (Name geändert) ist Teil von Death in Custody. Die Gruppe recherchiert Todesfälle in deutschem Gewahrsam.

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