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Aus: Ausgabe vom 17.08.2024, Seite 15 / Geschichte
DDR-Kirchenpolitik

Der Thüringer Weg

Vor 60 Jahren: Gespräch des DDR-Staatschefs Walter Ulbricht mit Thüringens Bischof Moritz Mitzenheim
Von Christian Stappenbeck
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Bischof Moritz Mitzenheim (r.) bei der Rückkehr von einer Reise in die Sowjetunion (27.10.1962)

Mit ihrer Obrigkeit hatten es die acht Landeskirchen, die sich nach 1945 im Osten Deutschlands formten, nicht leicht. Mehrere ihrer Privilegien schwanden dahin. Der Staat wollte ihre Kirchensteuer nicht mehr einziehen und den Religionsunterricht aus der Schule drängen. Umgekehrt hatten Politbüro und Regierung der jungen DDR auch allerhand Probleme mit den gesamtdeutsch agierenden Kirchenführern. Denn deren Dachverband namens Evangelische Kirche in Deutschland (EKiD) war strikt westorientiert. Das zeigte sich schon bei der doppelten Staatsgründung 1949, als der EKiD-Ratsvorsitzende die Einladung zum festlichen Staatsbankett Ost ausschlug, hingegen zur Bundestags-Eröffnung in Bonn die Festpredigt hielt. Die nächsten 15 Jahre blieben konfrontativ.

Im siebenten Jahr der DDR hatte die EKiD eine »rote Linie« überschritten, als sie mit der Bundesregierung den Vertrag über die Militärseelsorge schloss. Dieser Staatsvertrag legitimierte die westdeutsche Aufrüstung und enthielt keine Kündigungsklausel. Die DDR-Regierung unter Otto Grotewohl kappte daraufhin sämtliche Beziehungen zur »Militärkirche«. Vom Sommer 1957 an herrschte Eiszeit in den Beziehungen.

Schadensbegrenzung

Als ersten Versuch zur Schadensbegrenzung und Normalisierung muss man das staatlich-kirchliche »Kommuniqué« vom 21. Juli 1958 nennen, das zwischen Grotewohl und DDR-Kirchenführern (der kirchlichen Ostkonferenz) ohne EKiD-Beteiligung ausgehandelt wurde. In dieser sogenannten Loyalitätserklärung hatten Bischof Mitzenheim und Kollegen ihre »Respektierung der Entwicklung zum Sozialismus« ausgedrückt und erklärt, dass der Militärseelsorgepakt für sie im Osten keine Geltung habe. Wobei das Wort »respektieren« verschieden interpretierbar schillerte: Mitzenheim verstand darunter (ebenso wie Grotewohl) achten und würdigen, während die übrige Kirchenhierarchie eher an »beachten« und »berücksichtigen« dachte.

Als zweites hatte eine Gruppe staatsbejahender Christen, die mit der DDR ganz zufrieden waren, unter Leitung des altehrwürdigen religiösen Sozialisten Professor Emil Fuchs (Vater des Atomspions Klaus Fuchs) das Gespräch mit Walter Ulbricht gesucht. Das geschah – arrangiert und begleitet von der Blockpartei CDU (Ost) – im Jahr 1961. Die Resonanz blieb schwach.

Der dritte Anlauf drei Jahre später geschah wieder auf Kirchenleitungsebene. Die DDR war gefestigt, die SED-Führung erkannte ihren Irrtum, die Kirchen würden in überschaubarer Zeit verschwinden. Ulbricht als dem Kopf der Partei gelang es, einen Keil in die bisherige Phalanx der evangelischen Kirchenleitungen zu treiben. Man hat dies »Differenzierungsstrategie« genannt. Für die gesprächsbereite Kirchenlinie bürgerte sich der Begriff »Thüringer Weg« ein. Am 18. August 1964 war es soweit.

Die Wartburg, hoch über der einstigen Residenzstadt Eisenach malerisch gelegen, in Stiftungsbesitz befindlich, war als Gesprächsort bewusst gewählt worden. Für die lutherische Landeskirche Thüringens hatte sie reformationshistorische Bedeutung. Hier hatte Martin Luther seine Bibelübersetzung und drei wichtige Schriften begonnen. Für die SED und ihre Geschichtspolitik spielte der sprachgewaltige Luther, dem unter Erich Honecker hohe staatliche Ehrung zuteil werden sollte, eine erhebliche Rolle im Zuge nationaler Traditionspflege. Dass hier ein Spitzengespräch zwischen Staatschef und Landesbischof stattfand, wird in Geschichtsbüchern selten erwähnt, hatte aber seinerzeit spürbare Wirkungen.

Um des Volkes willen

Ein Leitmotiv des Gespräches war die gemeinsame Verantwortung für das Bürgerwohl. Ulbricht hatte 1960 bei seiner Amtsübernahme als Staatsoberhaupt der DDR formuliert, dass »das Christentum und die humanistischen Ziele des Sozialismus keine Gegensätze« seien. Mitzenheim, der konservative Seelsorger volkskirchlicher Prägung, hatte sich schon 1956 gegen Atomwaffen auf deutschem Boden positioniert und außerdem gezeigt, dass ihm an Konfrontation mit dem Staat nichts lag. Die DDR-Führung hatte ihn mit der Verleihung des Vaterländischen Verdienstordens im August 1961 sichtbar von seinen Amtskollegen abgehoben.

Nach einleitendem Smalltalk lobte Ulbricht die jüngste Kanzelabkündigung des Bischofs und dessen Mahnung, »mehr zu tun, dass Kriege verhindert werden«, und warb für eine allgemeine und vollständige Abrüstung in Deutschland. Das folgende, über zweistündige Gespräch war großenteils ein Monolog Ulbrichts mit gelegentlichen zustimmenden Einlassungen des Bischofs. Der unterstrich: Wie die Kirche, so sei auch der Staat »nicht Selbstzweck, sondern um des Volkes willen da«.

Zwei, drei Folgeereignisse waren offenbar im Vorfeld verhandelt und abgesprochen worden. Am 7. September 1964 erschien im Gesetzblatt der DDR die Anordnung über den »Dienst in den Baueinheiten«: Für solche, die »aus religiösen oder ähnlichen Gründen« den Dienst mit der Waffe ablehnen, wurde ein halbziviler Einsatz ohne Fahneneid geschaffen. Diese Einrichtung einer Wehrersatzmöglichkeit für Waffendienstverweigerer war ein Unikum im Bereich des Warschauer Bündnisses. Solches Entgegenkommen, ebenso wie auch die erleichterten Rentnerreisen nach Westdeutschland schrieb sich Mitzenheim als Erfolg zu.

Damit war signalisiert: Im Dialog ist für die Menschen entschieden mehr zu erreichen als beim Verharren in den Schützengräben des kalten Kirchenkriegs. Mehrere leitende Geistliche gaben zu verstehen, sie würden ebenfalls das Gespräch mit Ulbricht suchen.

Der »Thüringer Weg« erlebte in der Amtszeit Mitzenheims (sie endete 1970) seine Glanzzeit. Ob die Konzeption wirklich nachhaltig auf die gemeindliche Basis und auf die Funktionäre vor Ort einwirkte, ist bezweifelt worden. In der überwiegenden Erinnerung der Mitchristen blieb Mitzenheim einerseits der lutherisch-treue Kirchenmann und andererseits der »rote Moritz«, der sich demonstrativ mit Ulbricht traf.

Für jene ostdeutschen Kirchenführer, die Mitzenheims Alleingängen misstrauisch bis ablehnend zusahen, blieb ein gewisser Trost: Das Wartburg-Gespräch war nämlich anders als das von 1961 ohne Mitwirkung der Ost-CDU zustande gekommen. Dies deutete man höchst zufrieden als Ende der Rolle der CDU als einer befugten Sprecherin für die Christen in der DDR.

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