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Aus: Ausgabe vom 20.08.2024, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
Archäologie

Stein der Reisen

Geologische Studie belegt ferne Herkunft des zentralen Megaliths von Stonehenge: Der Stein ist Schotte
Von Felix Bartels
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Neudruiden versammeln sich zur Andacht

Erratisch, wuchtig, rätselhaft stehen die Megalithen im flachen Grün des südlichen England. Herkunft, Genese und Bedeutung von Stonehenge in der Nähe der Stadt Amesbury am Fluss Avon beschäftigen die prähistorische Forschung schon lange. Nun scheint man der Entschlüsselung des Altarsteinkomplexes etwas näher. Der zentrale Megalith ist offenbar nicht auto­chthon, er hat vor Tausenden Jahren eine weite Reise aus dem Norden Schottlands zurückgelegt.

Unzweifelhaft gehört Stonehenge zu den berühmtesten prähistorischen Bauwerken, bekannt nicht zuletzt durch die kulturelle Aneignung seitens neuzeitlicher Druiden und allerlei Esoterikern. Mehrere Umbauphasen hat man nachgewiesen, historisch besitzt der Komplex keine Integrität, Herkunft und Zeitpunkt der Plazierung liegen bei einzelnen Steinen weit auseinander. Die ältesten von ihnen sind seit etwa 5.000 Jahren vor Ort. Die großen Sandsteine etwa, die die torähnlichen Trilithen komplettieren, scheinen lokalen Ursprungs, die ca. 80 Blausteine hingegen wurden aus rund 250 Kilometern entfernten Regionen in Wales herangeschafft. Über die kulturellen Hintergründe dieser disparaten Bauweise weiß man kaum etwas.

Besondere Aufmerksamkeit hat nun der große Altarstein von Stonehenge erhalten. Der fünf Meter lange und ein Meter breite Block aus Sandstein steht im Zentrum der Anlage, oder liegt dort vielmehr, denn irgendwann scheint er umgekippt zu sein. Oder vielleicht doch nicht? Denn ob er jemals stand, auch darüber gibt es in der Forschung keinen Konsens. »Wann der Altarstein in Stonehenge ankam, ist unbekannt«, erklärt der Geologe Anthony Clarke von der Curtin University in Australien, der in Zusammenarbeit mit Kollegen anderer Universitäten die neueren Erkenntnisse in der naturwissenschaftlichen Fachzeitschrift Nature vorgestellt hat. Man vermutet, dass der Altarstein zur selben Zeit wie die Trilithen aufgestellt wurde, während der zweiten Bauphase vor 4.620 bis 4.480 Jahren. Allerdings galt bislang die Annahme, dass auch er seinen Ursprung in Wales habe und von dort herangeschafft worden sei.

Die Forscher um Clarke untersuchten den Megalith mittels Methoden der Isotopengeologie. Spuren von Mineralien wie Rutil und Zirkon gaben dabei Aufschluss zu Alter und isotopischer Zusammensetzung, woraus die Herkunft des Steins lokal und zeitlich abgeleitet werden konnte. »Unsere Untersuchung kam zum Ergebnis, dass einige der Mineralien ein Alter von ein bis zwei Milliarden Jahre haben«, berichtet Clarke. So ließ sich die Herkunft des Steins in die Zeit vor dem Kambrium datieren und in das Gebiet des Urkontinents Laurentia, dessen Rudiment neben Nordamerika und Grönland das heutige Schottland ist, während das heutige England vom Urkontinent Avalonia kommt, dem auch Teile des heutigen Kontinentaleuropa entstammen. Das Zusammentreffen von Partikeln aus dem Präkambrium mit Mineralien deutlich jüngeren Alters aus dem Ordovizium ist untypisch für die natürliche Landschaft um Stonehenge, auch zum Profil der Gesteine aus ­Wales passt sie nicht. Für den Nordosten der Britischen Insel hingegen scheint sie typisch. Clarke schreibt von einem »chemischen Fingerabdruck«, der eine genauere Verortung zwischen schottischem Festland und den Orkney-Inseln ermögliche. Demnach hat der Stein – also die Menschen, die ihn nach Südengland transportiert haben – eine Reise von 750 Kilometern zurückgelegt, was die längste nachgewiesene Reise eines Bauelements für die Entstehungszeit von Stonehenge sei, wie Mitautor Nick Pearce von der Aberystwyth University betont. Ein Transport über den Landweg dürfte derweil kaum wahrscheinlich sein. Plausibler scheint die Überlegung, dass der Stein über das Meer und teilweile über Flüsse nach Südengland gebracht wurde.

In der Entdeckung ruhen auch über die Bedeutung der Altarstätte hinaus kulturell relevante Implikationen. Nicht zwingend, aber doch denkbar, könnte hier ein Hinweis darauf liegen, dass es bereits vor 5.000 Jahren einen entwickelten Fernhandel gegeben hat, wofür die Forschung sonst allerdings wenige Daten vorweisen kann. Vielleicht ist diese von Mitautor Christopher Kirkland geäußerte Fernhandelsthese auch bloß ein Beispiel für die Eigenheit mancher Wissenschaftler, sich von der Freude einer Entdeckung mitreißen zu lassen und, in diesem Fall buchstäblich, vom Körnchen auf den Stein zu kommen.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (20. August 2024 um 12:15 Uhr)
    Der Artikel beleuchtet die neuesten bahnbrechenden Erkenntnisse zur Herkunft des zentralen Altarsteins von Stonehenge und hebt hervor, dass dieser Koloss höchstwahrscheinlich aus dem Norden Schottlands stammt, was auf eine bemerkenswerte Reise von rund 750 Kilometern hinweist. Diese Entdeckung könnte unser Verständnis prähistorischer Kulturen revolutionieren, vor allem in Bezug auf ihre erstaunliche Fähigkeit, solch gigantische Transportprojekte zu organisieren und durchzuführen. Denn wer hätte gedacht, dass man schon vor 5.000 Jahren die Lust verspürte, einen Stein quer durch das Land zu schleppen? Gehen wir also davon aus, dass dieser Stein wirklich eine derartige Reise hinter sich hat – da drängt sich doch die Frage auf: Warum, um alles in der Welt, hat man das getan? War der Altarstein vielleicht wegen seiner speziellen geologischen Eigenschaften so symbolträchtig? Oder lag es daran, dass er einfach schöner war als alle anderen Steine in der Gegend? Und dann wäre da noch die faszinierende, aber doch recht spekulative Idee eines florierenden Fernhandelsnetzes vor 5.000 Jahren. Man stelle sich vor: Es gab bereits einen regen Handel, doch statt Gewürzen oder Stoffen transportierte man gigantische Felsen! Die Beweise für solch einen organisierten Handel sind zwar rar, aber wer braucht schon Beweise, wenn man eine gute Geschichte hat? Alles in allem könnte diese Entdeckung unser Verständnis von Stonehenge wirklich bereichern und uns völlig neue Forschungsfelder eröffnen – sowohl geologisch als auch archäologisch. Es bleibt also spannend, welche weiteren »Erkenntnisse« zukünftige Studien ans Licht bringen werden. Oder handelt es sich doch nur um eine humorvolle, britisch anmutende »touristische Reklame«? Schließlich ist das Ungeheuer von Loch Ness, auch liebevoll Nessie genannt, bis heute ein Touristenmagnet. Warum also nicht auch ein wandernder Megalith aus Schottland?

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