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Aus: Ausgabe vom 24.08.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Iran

Harmonischer Start

Iran: Kabinett des neuen Präsidenten geräuschlos angenommen. Verteidigungsminister kann die meisten Stimmen auf sich vereinen
Von Knut Mellenthin
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Am Ende waren sich die Abgeordneten im Teheraner Parlament am Mittwoch mehr oder weniger einig

Iran hat seit Mittwoch eine neue Regierung. Das Parlament sprach allen von Präsident Massud Peseschkian nominierten 19 Ministern, darunter erst zum zweiten Mal seit Gründung der Islamischen Republik 1979 eine Frau, das Vertrauen aus. Dass kein einziger Minister, der auf der Kabinettsliste des Präsidenten steht, vom Parlament zurückgewiesen wird, geschieht im Iran nur selten. Auch diesmal wurde mit mehreren Ablehnungen gerechnet. Aber fürs erste hat anscheinend das Motto des neuen Präsidenten, »Einheit und Zusammenhalt«, gewonnen. Hinter diesem relativ harmonischen Start steht nicht zuletzt auch die demonstrative Unterstützung der für iranische Verhältnisse vergleichsweise heterogen zusammengesetzten Regierung durch »Revolutionsführer« Ali Khamenei. Gemäß der Verfassung ist er höchste politische und religiöse Autorität der Islamischen Republik.

Der 69jährige Peseschkian, von Beruf Arzt – mit einem ungewöhnlich breiten Spektrum an Spezialisierungen –, ist seit dem 28. Juli im Amt. Zuvor hatte er sich am 5. Juli in einer Stichwahl gegen den außenpolitisch profilierten »Konservativen« Said Dschalili in einem engen Rennen überraschend durchgesetzt. Die Neuwahl des Präsidenten war nötig geworden, weil der Amtsinhaber Ebrahim Raisi am 19. Mai bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen war. Raisi galt als ausgesprochen »konservativ«, während Peseschkian zwar als »gemäßigter Reformer« antritt, aber von der Mehrheit der »Reformisten« nicht unterstützt wird. Vielen von ihnen ist der neue Präsident als zu nahe an den etablierten Machtstrukturen und zu loyal gegenüber dem »Esta­blishment« verdächtig.

Das iranische Parlament hat bei der Ernennung von Ministern ein erhebliches Vetorecht. Jeder einzelne der Nominierten wird gründlich überprüft und muss sich einer intensiven Befragung stellen. Korruptionsverdächti­gungen beispielsweise oder ein naher Verwandter, der in den USA lebt, können ebenso eine Rolle spielen wie die politische Zuordnung in Gegenwart und Vergangenheit.

Auf der Kabinettsliste, die Peseschkian dem Parlament am 11. August zur Prüfung und Diskussion übergab, stehen nur drei Minister, die auch schon der Regierung seines Vorgängers Raisi angehörten. Von diesen drei gelten der für die Geheimdienste zuständige Minister Esmaeil Khatib und Justizminister Amin Hossein Rahimi als ausgesprochene »Hardliner«. Die größte Gruppe in Peseschkians Kabinett sind Politiker, die in engen Zusammenhängen mit der Amtszeit von Hassan Rohani (2013 bis 2021) stehen. Der hinter den Kulissen immer noch einflussreiche und umtriebige Expräsident gilt als »gemäßigter Reformer«. Seine Amtsführung wird von den »Konservativen« mehr oder weniger scharf kritisiert. Dazu gehört das Wiener Atomabkommen von 2015, das von Donald Trump als Präsident im Mai 2018 gebrochen wurde und das viele iranische »Konservative« zumindest im Rückblick für einen äußerst schweren Fehler halten.

Der damalige Außenminister Mohammed Dschawad Sarif ist einer der wichtigsten Berater Peseschkians und war während des Wahlkampfs ständig an dessen Seite zu sehen. Er war auch Mitglied der Kommission, die die Kabinettsliste zusammenstellte. Weil er sich mit seinen Vorstellungen nicht ausreichend durchsetzen konnte, trat Sarif am 11. August vom Posten eines Vizepräsidenten mit dem Aufgabenbereich »Strategische Angelegenheiten« zurück. Er vermied dabei jedes kritische Wort gegen Peseschkian und wird in dessen Politik wohl weiterhin »mitmischen«.

Ebenfalls eng mit dem gescheiterten Atomabkommen von 2015 verbunden ist der neue Außenminister Abbas Araghchi. Sofern Sarif nicht ausnahmsweise persönlich anwesend war, fungierte Araghchi als Leiter der iranischen Delegation bei den Wiener Verhandlungen. Mit seiner Ernennung verbinden sich auf manchen Seiten Erwartungen und Hoffnungen, dass Iran sich stärker und »flexibler« als in den vergangenen Jahren um eine Verbesserung der Beziehungen zu den USA und der westlichen Welt bemühen werde.

Interessant ist die Zahl der Stimmen, mit denen den einzelnen Ministern das Vertrauen ausgesprochen wurde. In Anwesenheit von 285 der insgesamt 290 Abgeordneten bekamen einige Nominierte, die von den »Konservativen« als »zu reformistisch« beurteilt werden und wohl auch künftig misstrauisch beobachtet werden, deutlich weniger als 200 Stimmen. An letzter Stelle liegt mit 163 Stimmen Gesundheitsminister Mohamed Reza Safarghandi als einziger »progressiver Reformist« im Kabinett. Er fällt immer wieder durch offene Kritik an der herrschenden Politik in seinem Fachgebiet auf. Aber auch Wirtschafts- und Finanzminister Abdolnaser Hemmati, der immerhin 192 Stimmen bekam, wird es künftig schwer haben. Als ehemaliger Direktor der Zentralbank (2018–2021) und Mitglied einer »reformistischen« Partei kritisiert er oft die staatliche Wirtschaftspolitik.

Die meisten Stimmen, 281, bekam der neue Verteidigungsminister Asis Nasirsadeh, Vizechef des Generalstabs der regulären Streitkräfte. Für ihn haben offensichtlich auch fast alle »Reformisten« gestimmt. Im Gegensatz dazu landete Außenminister Araghchi mit 247 Stimmen nur im Mittelfeld. Manche »Konservative« misstrauen ihm ebenso wie manche »Reformisten«.

Im Parlament rechnen sich 186 Abgeordnete den vielfältigen Parteien der »Prinziplisten« zu, die hierzulande undifferenziert als »Konservative« bezeichnet werden, 45 gehören zum ebenfalls vielfältigen Spektrum der »Reformisten«, und 41 bezeichnen sich als »unabhängig«. Fünf Abgeordnete, die »Minderheiten«, beispielsweise die jüdische Bevölkerung, vertreten, haben einen sicheren Platz im Parlament.

Hintergrund: Hypothetische Bombe

Dass Iran genug angereichertes Uran habe, um daraus in zehn Tagen oder in zwei Wochen ausreichend Material für ein oder zwei Atombomben herzustellen, ist eine weitverbreitete These. Sie beruht ausschließlich auf hypothetischen Rechenspielen. Gegenwärtig betreibt Iran nur einen kleinen Teil seiner Anreicherung bis zu einem Reinheitsgrad von 60 Prozent. Waffenfähiges Uran hat aber einen Reinheitsgrad von ungefähr 90 Prozent.

Um das zu erreichen, müssten die Iraner ihre Anlagen und Arbeitsprozesse umstellen. Vorher wären sie nach dem Zusatzabkommen zum Atomwaffensperrvertrag verpflichtet, diese Absicht und Details ihrer Pläne der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) mitzuteilen. Anderenfalls würden deren Inspekteure die Umstellungen feststellen, oder Iran müsste sie aussperren. Unbemerkt kann das nicht bleiben, sofern Teheran keine unerkannten Geheimanlagen betreibt. Dafür gibt es aber keine Anzeichen.

Generell kann man aufgrund zahlreicher Vorfälle davon ausgehen, dass im Iran kaum etwas Bedeutendes geschehen kann, was der israelischen, US-amerikanischen und europäischen »Aufklärung« entgeht. Zuletzt hat die Ermordung des Hamas-Chefs Ismail Hanija in Teheran am 31. Juli gezeigt, dass die iranischen Sicherheitsmaßnahmen gegen feindliche Ausspähung, Sabotage und Angriffe außergewöhnlich schlecht sind.

Waffenfähiges Uran, selbst wenn es produziert würde, brächte das iranische Militär nicht weiter ohne Beherrschung der Technik, es in Raketensprengköpfe einzubauen, um es über große Entfernungen transportieren zu können. Die Zeit, die die Iraner bräuchten, um das zu schaffen, wird auf mindestens ein Jahr geschätzt. Das ist jedoch eine willkürliche und rein hypothetische Annahme, da die politische und militärische Führung Irans nach allen bekannten Erkenntnissen westlicher Nachrichtendienste nicht einmal die Absicht dazu hat. (km)

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