Vergeltung will durchdacht sein
Von Knut MellenthinNach der Ermordung des Hamas-Führers Ismail Hanija in Teheran, die allgemein israelischen Diensten zugeschrieben wird, hatten iranische Politiker, Militärs und Kleriker eine »strenge Bestrafung« und eine »zerschmetternde Antwort« angekündigt. Einfache Journalisten und gehobenere »Analysten« machten sich in iranischen Medien jeden Tag detaillierte Gedanken, welche Ziele in Tel Aviv und Haifa angegriffen werden könnten und mit allergrößter Wahrscheinlichkeit zerstört würden.
Iran war zweifellos in einer Ehrenpflicht, »das Blut Hanijas zu rächen«, wie sich »Revolutionsführer« Ali Khamenei sofort nach dem Mordanschlag ausdrückte. Denn der Hamas-Chef war zum Zeitpunkt seines Todes am 31. Juli Gast der Islamischen Republik und hätte unter deren Schutz sicher sein müssen. Er war nach Teheran gekommen, um an den mehrtägigen Feiern anlässlich des Amtsantritts des neuen Präsidenten Massud Peseschkian teilzunehmen. Er wohnte in einem Gästehaus der Revolutionsgarden. Die iranische Führung konnte sich unmöglich damit begnügen, wie bei anderen erfolgreichen israelischen oder US-amerikanischen Schlägen nur Drohungen auszusprechen und deren Durchführung ihren libanesischen, irakischen oder jemenitischen Verbündeten zu überlassen.
Wem es reichte, dass sich in der Bevölkerung von Tel Aviv »Nervosität« zeigte, dass die großen Straßen deutlich leerer waren als normalerweise und dass israelische Medien Gerüchte über den Tag des Gegenschlags verbreiteten, die vermutlich bei professionellen Wahrsagern eingeholt worden waren, der kam auf seine Kosten.
Inzwischen liegt der Mord mehr als drei Wochen zurück, ohne dass vergeltungsmäßig etwas geschehen ist. Es wird Zeit für Erklärungen. Eine gab der Sprecher der Revolutionsgarden, General Ali Mohammed Naeini, am Dienstag auf einer Pressekonferenz ab. Das »zionistische Regime« habe mit dem Mord »keines seiner Ziele erreicht« und werde dafür ganz gewiss »eine Antwort erhalten«. Aber »das weise iranische Volk« verstehe auch, dass die militärischen Befehlshaber alle Bedingungen und Voraussetzungen in Betracht zögen, bevor sie »detaillierte und kalkulierte Entscheidungen« träfen und »effektive Maßnahmen« unternähmen. Iran habe »die Kontrolle über die Zeit«, und die Periode des Abwartens könne sich in die Länge ziehen. »Die Zionisten müssen vorerst in einem Zustand des Ungleichgewichts bleiben«, und Irans Antwort werde »vielleicht keine Wiederholung früherer Operationen sein«.
Damit spielte der General überdeutlich auf die »Operation Gehaltenes Versprechen« am 13. April an. Damals hatte Iran einen tödlichen israelischen Angriff auf mehrere Kommandeure der Revolutionsgarden in Damaskus mit dem Abschuss von über 300 Drohnen und Raketen gegen Ziele in Israel beantwortet. Die meisten wurden abgefangen oder stürzten auf freie Flächen, aber neun Geschosse trafen zwei Militärstützpunkte, wo sie nach israelischen Angaben nur geringfügige Beschädigungen verursachten.
Ob Iran zu einem wirkungsvolleren Vergeltungsschlag in der Lage wäre, ist eine offene Frage. Sicher ist andererseits, dass die israelische Reaktion sehr heftig ausfallen würde. Unter diesen Umständen ist es wohl wirklich weise, wenn die iranische Führung es darauf lieber nicht ankommen lassen will.
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