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Aus: Ausgabe vom 24.08.2024, Seite 4 / Inland
Repression gegen Palästina-Bewegung

Berliner Kulturkampf

Fall »Oyoun«: Nach Entzug von Fördermitteln und Räumungsdrohung verheerende Folgen für Beschäftigte. Zukunft weiter ungewiss
Von Annuschka Eckhardt
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Die Betreiber des »Oyoun« lassen sich nicht einschüchtern durch die staatliche Repression

Die absurden Entscheidungen der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt in ihrem Kampf gegen Palästina-Solidarität ziehen einen Rattenschwanz an Verfahren und üblen Folgen für die Beschäftigten nach sich.

Nun steht das Kulturzentrum »Oyoun« in Neukölln erneut im Zentrum eines eskalierenden Streits um seinen Verbleib in den landeseigenen Räumlichkeiten. Schon vor der Gerichtsverhandlung am Freitag vormittag im Berliner Landgericht II berichteten Medien, dass das Kulturzentrum endgültig geschlossen und die Vergabe neu ausgeschrieben werden soll – obwohl die Frage der Kündigungswirksamkeit weiterhin ungeklärt ist. Die Berliner Kulturverwaltung plant die Neuausschreibung des »Oyoun«, ohne die noch laufenden Gerichtsverfahren abzuwarten. Erneut vermeidet der Senat einen direkten Dialog mit dem Zentrum, das sich seit Jahren für queer-feministische, migrantische und marginalisierte Perspektiven einsetzt. Die Räumung des Gebäudes droht zum 31. Dezember 2024.

Kultursenator Joe Chialo (CDU) hatte eine Trauerfeier des Vereins »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost« für die Opfer des aktuellen Kriegs in Gaza kritisiert, die am 4. November vergangenes Jahr in den Räumlichkeiten stattfand. Neben dem Entzug der Finanzierung von über einer Million Euro jährlich wurde auch eine Kündigung der Räumlichkeiten ausgesprochen.

Eine Entscheidung gab es im kerkerartigen Gerichtssaal am Freitag nicht, ein Urteil soll am kommenden Freitag gesprochen werden. »Das Besondere bei dem Mietvertrag ist, dass drei Beteiligte daran mitgewirkt haben, nämlich die Senatsverwaltung, der Träger des Oyoun, die Kultur Neu Denken gUG und die Berliner Immobilienmanagement GmbH, BIM, als Vermieter«, erklärte Rechtsanwalt Michael Plöse den Streitfall am Freitag gegenüber junge Welt. In dem Vertrag seien zwar nur die BIM als Vermieter und die Kultur Neu Denken gUG, als Mieterin ausgewiesen, aber die Senatsverwaltung übernehme typische mietrechtliche Pflichten, wie die Übernahme der Mietkosten, was die Hauptpflicht des Mieters ist. »Damit könnte man sagen, dass die ordentliche Kündigung auch der Senatsverwaltung gegenüber hätte erklärt werden müssen. Das würde also die Wirksamkeit der Kündigung zum Zeitpunkt des vergangenen Jahres infrage stellen«, so Rechtsanwalt Plöse.

»Der Haushaltsgesetzgeber (das Abgeordnetenhaus) hat die Mittel für 2024 gesperrt, eine Freigabe der Mittel ist an eine Neuausschreibung gekoppelt. An der Erfüllung dieses Auftrages arbeiten wir. Im Übrigen ist es dem Träger des Oyoun der Kultur Neu Denken gUG, selbstverständlich möglich, sich zu bewerben«, antwortete Daniel Bartsch, Sprecher der Senatsverwaltung, am Freitag auf jW-Anfrage. Da es sich bei dem Fall um ein Politikum handelt, eine Farce, denn die Chancen, die Ausschreibungen zu gewinnen, gehen wohl gegen null.

Neben aufwendigen Verfahren, auch vor dem Verwaltungsgericht, sind die Auswirkungen für die Beschäftigten verheerend: »Wir sind jetzt im neunten Monat angekommen, in dem wir unsere Gehälter stunden, und es gibt Leute aus dem Team, die das nicht mehr tragen konnten«, sagte Louna Sbou nach der Verhandlung im junge Welt-Gespräch. Einige Beschäftigte hätten Berlin verlassen müssen, weil sie die Miete nicht mehr zahlen könnten. Es gebe einfach keine Einnahmequelle und einige hätten keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder ähnliches.

Doch die Beschäftigten geben nicht auf: Bis es eine endgültige Entscheidung bezüglich der Zuwendung geben wird, suchen sie alternative Wege der Finanzierung. »Wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass uns die Mittel vom Kultursenat zustehen und dass die Förderzusage ein Vertrauenstatbestand begründet hat, der weiterhin fortwirkt«, so Sbou.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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