»Nie zu Hitler!«
Von Michael PolsterUnter der Losung »Nie zu Hitler!« kamen am 26. August 1934 mehr als 60.000 Teilnehmer in Sulzbach/Saar zu einer Einheitsfrontkundgebung von KPD und SPD zusammen. Es war die größte antifaschistische Manifestation jener Zeit. Damit war eine politische Haltung angezeigt, wonach das Saargebiet nicht erneut Teil des Deutschen Reichs werden sollte. Diese Frage war im Sommer 1934 durchaus relevant, weil eine entsprechende Volksabstimmung für den Januar des folgenden Jahres angesetzt war.
Nach der Niederlage des Deutschen Kaiserreiches im Ersten Weltkrieg verständigten sich die Siegermächte im Versailler Vertrag auf eine auf 15 Jahre befristete Abtrennung des Industriereviers zur Wiedergutmachung der französischen Kriegsschäden. Solange blieb das Saargebiet unter Aufsicht des Völkerbunds. Mit Ablauf der Frist sollte der künftige Status per Plebiszit bestimmt werden. Der Versailler Vertrag sah drei Optionen für die Abstimmungsentscheidung vor: die Beibehaltung des bestehenden Zustands (Status quo), eine Vereinigung mit Frankreich oder mit Deutschland.
Die Gegner der Nazidiktatur sahen in dem Referendum die Möglichkeit, dem Regime einen Denkzettel zu verpassen. Bertolt Brecht schrieb das Lied »Haltet die Saar, Genossen!«, das Hanns Eisler vertonte. Mit diesem Lied auf den Lippen strömten die Teilnehmer zum Kundgebungsplatz am Reichsbannerheim der Bergarbeitergemeinde Sulzbach.
Für den Status quo
Die Zeitungen der Kommunistischen Partei und die der Sozialdemokraten, alle Organisationen der saarländischen Arbeiterbewegung, von der Arbeitersportbewegung bis zu den freien Gewerkschaften, hatten mit dem Aufruf »Auf nach Sulzbach!« auf zahlreichen Versammlungen und auf Kundgebungen das Treffen propagandistisch mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln vorbereitet und zur massenhaften Teilnahme aufgerufen. Die Mobilisierung zeigte schon bald Wirkung. Mit Sonderzügen der Eisenbahn, zu Fuß, oder mit dem Fahrrad reisten die Teilnehmer einzeln und in ganzen Gruppen nach Sulzbach, die Schikanen der örtlichen Verkehrsgesellschaften hielten sie nicht auf. Zutritt zum Versammlungsgelände erhielt man aber nur durch einen entsprechenden Ausweis, weil die Regierungskommission die Veranstaltung nur als »geschlossene« genehmigt hatte und nur diejenigen zugelassen waren, die mit einem festen Wohnsitz oder Aufenthaltsort im Saarland registriert waren. Das Absingen von Marschliedern und das Zeigen entrollter Spruchbänder auf dem Anmarsch zur Kundgebung waren untersagt.
Hauptredner waren Fritz Pfordt für die KPD des Saarlandes, der Vorsitzende der Saar-SPD Max Braun und der Priester Hugolinus Dörr, der die Interessen der katholischen Status-quo-Anhänger vertrat. Alle einte das eine Ziel, die Rückgliederung des Saargebiets an das faschistische Deutschland zu verhindern. Dieser Grundkonsens war nach langen Diskussionen um das gemeinsame Bündnis zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten erst Anfang Juli 1934 zustande gekommen und mündete in dem Einheitsabkommen, dessen Überschrift lautete: »An das Saarvolk. Aufruf der Kommunistischen und Sozialdemokratischen Partei des Saargebietes«. Im Juni hatte die KPD, gemäß der Linie der Kommunistischen Internationale, der Saar-SPD ein entsprechendes Angebot unterbreitet. Beide Parteien bildeten nun gemeinsam mit katholischen Gegnern des Faschismus eine Einheitsfront, um für den Status quo zu werben. Bald entstanden auf lokaler Ebene erste Bündnisse.
Die Sympathien für die Einheitsfront waren groß, zahlreiche Künstler und Intellektuelle wie Bertolt Brecht, Heinrich Mann, Thomas Mann, der Rabbiner Friedrich Schlomo Rülf, Klaus Mann, Hedda Zinner, Gustav Regler, Kurt Tucholsky, Marie Juchacz, Max Ophüls, Ilja Ehrenburg, Henri Barbusse, Alfred Kerr, Golo Mann, Erich Weinert und John Heartfield unterstützen den mutigen Kampf der saarländischen Linken mit ihren Beiträgen weltweit.
Die Bischöfe von Trier und Speyer hatten ihren Priestern indes verboten, sich der Status-quo-Bewegung anzuschließen. Die Kirche besaß großen Einfluss auf die Saarbevölkerung, die zu 75 Prozent katholisch war. Letztlich entschied sich die Kirche für die Unterwerfung unter das Naziregime. Schon 1933 hatten sich die rechten Parteien gemeinsam mit dem katholischen Zentrum – der damals mit Abstand stärksten Partei im Saarland –, der NSDAP, den Unternehmerverbänden und dem größten Teil der christlichen Gewerkschaften in der »Deutschen Front« für das Saargebiet zusammengeschlossen, deren einziges Ziel der Anschluss des Saargebiets an das Deutsche Reich war. Damit waren die Erfolgsaussichten der Einheitsfront für den Status quo wenig erfolgversprechend, allerdings erwies sich das Bündnis im nachhinein als gute Vorbereitung für den gemeinsamen Widerstand in der Illegalität. An der Saar brauchten die Nazis wesentlich länger, den antifaschistischen Widerstand zu brechen. Zur Unterstützung der politischen Arbeit entsandte die KPD-Führung Herbert Wehner ins Saargebiet, der den dortigen Vorsitzenden des Kommunistischen Jugendverbandes Erich Honecker traf. Wehner selbst musste sich als Nichtsaarländer im Hintergrund halten und durfte offiziell keine politischen Funktionen ausüben.
Profaschistische Übermacht
Der Weg zur Saarabstimmung im Januar 1935 war kompliziert und brachte den Arbeiterparteien nicht den erhofften Erfolg. Zwar kämpfte die Linke im Saarland mit allen ihr zur Verfügung stehenden politischen Mitteln, kam aber gegen die übermächtige Propagandakampagne der NSDAP kaum an. Unter der Losung »Deutsch ist die Saar, immerdar« verschickten die Nazis fünf Millionen Briefsendungen, hielten 1.500 Versammlungen und Kundgebungen ab und ließen mehr als 80.000 Plakate kleben. Maßgeblicher Finanzier war der Stahlbaron und Waffenindustrielle Hermann Röchling, der nach 1945 zweifach als Kriegsverbrecher verurteilt wurde und nach dem noch 1956 ein Stadtteil im saarländischen Völklingen benannt wurde. Vom Deutschen Reich aus wurden schon Monate vor der Volksabstimmung besondere Anstrengungen unternommen, das Saargebiet per Rundfunkpropaganda zu erreichen. Volksempfänger wurden verteilt, in zahlreichen Sendungen wurde betont, das Saargebiet gehöre zu Deutschland.
Sowohl die »Deutsche Front« wie auch die »Einheitsfront« begingen ihre Abschlusskundgebung am 6. Januar 1935, eine Woche vor der Abstimmung. Im Saarbrücker Stadion am Kieselhumes fand an jenem Tag die letzte große antifaschistische Kundgebung statt, wieder waren rund 60.00 Teilnehmer gekommen. Vor den saarländischen Hitler-Gegnern trug Max Braun die Idee eines freien Saarstaates unter Kontrolle des Völkerbundes vor. Fritz Pfordt warnte die Bevölkerung vor einem Anschluss an Nazideutschland mit dem Ruf: »Nie zu Hitler!«
Am 13. Januar 1935 stimmte die Bevölkerung an der Saar unter der Aufsicht des Völkerbunds ab. 90,8 Prozent der Saarländer votierten für den Anschluss an das Deutsche Reich, 8,8 Prozent für die Selbständigkeit der Saar und 0,4 Prozent für den Anschluss an Frankreich.
Am 25. August 2024 findet in Sulzbach die Gedenkfeier 90 Jahre »Nie zu Hitler!« statt. https://www.dkp-saarland.de/event/gedenkfeier-90-jahre-nie-zu-hitler/
Aufruf der antifaschistischen Einheitsfront »An das Saarvolk« – Juli 1934
(…) Die Sozialdemokratische und Kommunistische Partei erklären, dass sie ungeachtet ihres Willens die Aktionseinheit der sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiter herzustellen, ihre prinzipielle Auffassung über das Ziel und die Taktik der sozialistischen Arbeiterbewegung und ihre organisatorische Selbständigkeit aufrechterhalten.
An das ganze Saarvolk wenden wir uns zur Aufrichtung einer wuchtigen und allumfassenden antifaschistischen Front!
Es geht um die Existenz und das Wohl unserer deutschen Saarheimat und unseres ganzen deutschen Volkes!
Deshalb vorwärts, Antifaschisten in Stadt und Land. Getragen von unserer Siegesgewissheit wollen wir Hitler schlagen!
Es lebe die kämpfende Einheitsfront der Werktätigen, es lebe die antifaschistische Front!
Für die Kommunistische Partei Saargebiet: Fritz Pfordt
Für die Sozialdemokratische Landespartei Saargebiet: Max Braun
Arbeiter-Zeitung, Nr. 147 vom 4. Juli 1934
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