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Aus: Ausgabe vom 29.08.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Libysche Wirtschaft

Erdöl als Waffe

Gegenregierung in Ostlibyen will Bohrstellen, Exporthäfen und Verarbeitungsbetriebe stillegen, um höheren Anteil an Staatseinnahmen durchzusetzen
Von Knut Mellenthin
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Die Erdölförderung wurde in Libyen bereits öfter gezielt unterbrochen, um Forderungen durchzusetzen

In Libyen wird das Erdöl wieder einmal als Waffe eingesetzt. Nicht gegen äußere Gegner und Konkurrenten, sondern im innenpolitischen Kampf zweier rivalisierender Machtzentren, der seit zehn Jahren andauert. Die international nicht anerkannte Regierung in Benghazi, die den Osten und teilweise auch den Süden des Landes kontrolliert, hat am Montag angekündigt, alle Erdölfelder, Terminals und Verarbeitungsstätten stillzulegen. Sie kann dieses Mittel gegen die international anerkannte Regierung in der Hauptstadt Tripolis wirkungsvoll einsetzen, weil die meisten Erdölfelder und auch mehrere wichtige Exporthäfen in ihrem Machtbereich liegen. Das Herunterfahren und die Einstellung der Ölförderung kann nicht schlagartig erfolgen, hatte aber am Dienstag nach Erkenntnissen internationaler Beobachter schon begonnen.

Streit um Zentralbank

Den bisher umfangreichsten und längsten »Shutdown« dieser Art begann die Gegenregierung in Benghazi im Januar 2020 und hielt ihn neun Monate durch. Während dieser Zeit fiel die libysche Produktion von Erdöl, das zu ungefähr 87 Prozent exportiert wird und mehr als 90 Prozent des Staatshaushalts tragen muss, von 1,2 Millionen Barrel pro Tag auf weniger als 100.000 Barrel pro Tag. Die finanziellen Verluste und wirtschaftlichen Schäden waren enorm. Den letzten großen Einbruch der Erdölproduktion gab es im Juni 2022, als in Ostlibyen regionale Stammesmilizen den Zugang zu einigen Erdölfeldern blockierten, um eine stärkere Beteiligung an den Einnahmen zu erzwingen.

Die gegenwärtige Zuspitzung der Machtkämpfe zwischen Tripolis und Benghazi wurde nach allgemeiner Ansicht durch einen Streit um die Politik der Zentralbank und deren Chef Sadiq Al-Kabir ausgelöst. Er leitet die wichtigste Institution Libyens seit Oktober 2011, als der langjährige Staatschef Muammar Al-Ghaddafi mit deutlicher Beteiligung der USA und ihrer Verbündeten gestürzt wurde, und hat sechs Premierminister in Tripolis überlebt. Neben der staatlichen Erdölgesellschaft National Oil Corporation (NOC) ist die Zentralbank die einzige wesentliche Struktur, die noch landesweit agiert. Sie verwaltet und verteilt unter anderem die Einnahmen aus dem Erdölgeschäft und sorgt damit dafür, dass auch die Angestellten der Gegenregierung in Benghazi ihre Gehälter bekommen.

Wechsel an der Spitze

An der Spitze der NOC steht seit Juli 2022 Farhat Bengdara, der zur Zeit Ghaddafis Präsident der Nationalbank war. Kritiker bezeichnen ihn als »Gefolgsmann« des mittlerweile 80jährigen Khalifa Haftar, der jahrelang im Dienst der CIA gestanden haben soll. Haftar unterhält eine Privatarmee, unter deren Schutz die Gegenregierung in Benghazi steht.

In letzter Zeit wurde auch Al-Kabir vorgeworfen, zu sehr die ostlibyschen Interessen zu berücksichtigen, nachdem er mit dem Chef der Regierung in Tripolis, Abd Al-Hamid Dbeiba, über die Ausgabenpolitik gestritten hatte. Am 18. August wurde er entlassen und durch Mohammed Abdul Salam Al-Schukri ersetzt. Im Verlauf der Auseinandersetzungen um die Zentralbank gab es bewaffnete Übergriffe von mehr oder weniger »regierungstreuen« Milizen, und der Leiter der IT-Abteilung der Bank wurde entführt und einige Tage gefangen gehalten. Die Zentralbank scheint indessen zu agieren, als hätte es keinen Wechsel an der Spitze gegeben. Al-Schukri wird von libyschen Medien mit der Aussage zitiert, er werde unter den gegebenen Umständen den Posten nicht antreten. Er wolle nicht, dass seinetwegen Blut zwischen Libyern vergossen wird.

Die Ölmärkte reagierten auf den angekündigten »Shutdown« in ­Libyen nur kurzzeitig mit Anstiegen um zwei bis drei US-Dollar pro Barrel. Die international wichtigste Orientierungsmarke Brent lag am Mittwoch um die Mittagszeit wieder bei 78,21 US-Dollar, nachdem sie am Montag auf über 81 US-Dollar gestiegen war. Das Land ist normalerweise an der globalen Erdölförderung mit etwa einem Prozent beteiligt. Der größte Teil des Ölexports geht nach Europa, insbesondere in die EU-Staaten Spanien, Italien und Frankreich.

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