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Aus: Ausgabe vom 30.08.2024, Seite 6 / Ausland
Bulgarien

Sofia im Bann der Krise

Bulgarien: Präsident Radew ernennt Übergangsregierung und kündigt die nächsten Neuwahlen an
Von Walter Mandić
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Wachablösung in Sofia: Der neue Interimspremier Glawtschew verlässt den Präsidentenpalast (22.8.2024)

Die Regierungskrise in Bulgarien ist anscheinend weit davon entfernt, eine Lösung oder ein Ende zu finden. Am Montag bestätigte Präsident Rumen Radew zunächst ein Übergangskabinett und kündigte zugleich Neuwahlen des Parlaments für den 27. Oktober an. Das wäre bereits der siebte Urnengang seit den Antikorruptionsprotesten 2020 und 2021, die sich gegen die damalige Regierung unter Premierminister Bojko Borissow von der konservativen GERB-Partei gerichtet hatten, der sich allerdings weigerte zurückzutreten und sich bis zum Ende der Legislatur im Amt hielt.

Seitdem dauert die Krise fort. Im Frühjahr scheiterte eine Rotation der Regierung, wie sie nach Wahlen im vergangenen Jahr zwischen dem Sieger GERB und dem zweitplazierten liberalen Bündnis »Wir setzen den Wandel fort – Demokratisches Bulgarien« (PP-DB) vereinbart worden war, an den Konservativen. Daraufhin hatte Radew zunächst für den 9. Juni zu Neuwahlen aufgerufen, denselben Tag, an dem auch über das EU-Parlament abgestimmt wurde. Erneut gelang es keiner Partei, einen signifikanten Vorsprung, geschweige denn eine Regierungsmehrheit zu erzielen. Die GERB, Teil der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament, hielt sich mit 24 Prozent an der Spitze.

Nach der gescheiterten Ablösung der Regierung unter dem PP-Politiker Nikolaj Denkow durch den stärkeren Koalitionspartner GERB ersuchte Präsident Radew Anfang des Monats die parteilose Abgeordnete Goriza Grantscharowa, ein neues Kabinett zu bilden. Radew lehnte allerdings ihren Vorschlag ab, da der parteilose Kalin Stojanow einmal mehr Innenminister werden sollte. Zwar verfügt Stojanow über eine langjährige Expertise in der Korruptionsbekämpfung. Im vergangenen Jahr wurde ihm aber vorgeworfen, übermäßige Polizeigewalt gegen Fußballfans angeordnet zu haben. Radew befürchtet, dass eine erneute Ernennung Stojanows zum Innenminister zu sozialen Unruhen führen könnte.

Dem am Montag eingesetzten Übergangskabinett steht nun der parteilose Dimitar Glawtschew vor. Der Posten des Innenministers wurde mit Atanas Ilkow besetzt. Ilkow, selbst Polizeidirektor, dürfte jedoch Stojanow in nichts nachstehen, wenn es um Exzesse der Exekutive geht. Bulgarien entwickelt sich zu einem Polizeistaat. Das wäre besorgniserregend genug. Jedoch berichtete der Deutschlandfunk kürzlich von Richtern, die Morddrohungen erhielten, nachdem sie die finanzielle Verflechtung zwischen Justiz und Politik aufgedeckt hatten. In Bulgarien ist es offenbar möglich, den gesamten Staat unter Kontrolle zu bringen, sofern die entsprechenden finanziellen Mittel zur Verfügung stehen.

Während der Vorsitzende der GERB, Expremier Borissow, dem Präsidenten lediglich widerwillig zur erfolgreichen Regierungsbildung gratulierte, wirft die liberale Opposition um den zurückgetretenen Exkoaltionspartner PP-DB dem neuen Innenminister Ilkow vor, dem Medienmogul und Oligarchen Deljan Peewski nahezustehen, obgleich bislang keine Beweise dafür vorliegen. Der Mann ist in Bulgarien allgegenwärtig, da er über ein beträchtliches Medienimperium verfügt. Aufgrund seiner Nähe zur organisierten Kriminalität wurde er von den USA mittels des sogenannten Magnitsky Acts sanktioniert.

Das Parlament konnte sich mittlerweile auf zwei Kandidaten für die Posten der EU-Kommissare einigen. Zu ihnen zählt die GERB-Politikerin Ekaterina Sachariewa. Während sich die Parteien um den Einfluss im Staat streiten, durchlebt die Bevölkerung schwerste Zeiten. Erst vor kurzem kam es zum Beispiel zum Bankrott eines Kinderkrankenhauses. Die Bulgarische Entwicklungsbank sah sich gezwungen, landesweit Förderungen zu vergeben, um die Existenz zahlreicher weiterer Hospitäler zu sichern, die sich ansonsten, der Logik des Marktes folgend, auflösen würden. Die historisch niedrige Wahlbeteiligung von nicht einmal 33 Prozent im Juni verdeutlicht die weitverbreitete Unzufriedenheit und Perspektivlosigkeit im Land. Zudem war in der vergangenen Dekade ein Rückgang der Einwohnerzahl um circa 700.000 Menschen zu verzeichnen – das war fast jeder zehnte.

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