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Aus: Ausgabe vom 30.08.2024, Seite 8 / Ansichten

Kontrollierte Eskalation

US-Sicherheitsberater Sullivan in Beijing
Von Jörg Kronauer
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Jacob Sullivan und Xi Jinping am Donnerstag in Beijing

Sollte jemand gehofft haben, die Gespräche des Nationalen Sicherheitsberaters der USA, Jacob Sullivan, in Beijing brächten etwas Entspannung in die Beziehungen zwischen den USA und China – er oder sie wäre jetzt vermutlich schwer enttäuscht. Sullivan hat nach allem, was man bislang weiß, klargestellt: Selbstverständlich werden die Vereinigten Staaten weiterhin versuchen, die Volksrepublik mit einer Flut von Sanktionen technologisch in die zweite Liga zu verbannen. Auch in Zukunft werden sie, das ist gar keine Frage, wie bisher in Sachen Taiwan zündeln. Und natürlich setzen sie ihre militärische Kooperation mit den Philippinen fort, deren Regierung ihr Land als »Schlachtfeld« für einen etwaigen Krieg zwischen den USA und China präpariert, wie Singapurs Premierminister Ende 2023 warnte. Gäbe Washington nach, wäre das ein weiterer Schritt beim Abstieg von der lange dominanten Welt- zur bloßen Großmacht. Das tun Regierungen nicht – nicht ohne Zwang.

Gescheitert sind die umfassenden Gespräche, die Sullivan von Dienstag bis Donnerstag zunächst mit Außenminister Wang Yi, dann mit dem Stellvertretenden Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission, General Zhang Youxia, und schließlich noch mit Präsident Xi Jinping führte, allerdings nicht. Das Problem ist ja: Mit jeder neuen Sanktion, mit jeder Waffenlieferung an Taiwan wächst das Risiko, dass der Machtkampf der Vereinigten Staaten gegen die Volksrepublik aus dem Ruder läuft, dass er unkontrolliert eskaliert; und das gälte erst recht, sollte die U.S. Navy in Kürze wirklich dazu übergehen, philippinische Schiffe bei ihren Auseinandersetzungen mit der Marine Chinas im Südchinesischen Meer zu eskortieren. Eskalationen gewinnt man eher, wenn man die Kontrolle über sie behält; auf Kontrolle hatte es Sullivan denn auch abgesehen: Es soll künftig mehr Gespräche zwischen chinesischen und US-amerikanischen Stellen geben, speziell auch zwischen Militärs; nein, keine Friedensgespräche, sondern technische Absprachen, um Krieg in unerwünschter, womöglich ungünstiger Form zu vermeiden.

Warum macht China das alles mit? An einer unkontrollierten Eskalation hat Beijing ebenfalls nicht das geringste Interesse. Zudem ist es bemüht, in die bilateralen Beziehungen so viele verbindende, vielleicht stabilisierende Elemente wie möglich einzuziehen – denn langfristig hat die Volksrepublik, wenn es ihr gelingt, den Krieg zu vermeiden, dank ihrer Größe und ihrer riesigen Bevölkerung bessere Karten, den Machtkampf zu gewinnen. Nachgeben wird sie, jedenfalls in ihren Kerninteressen, nicht – das stellten Wang, Zhang und Xi nachdrücklich klar. Der transpazifische Großkonflikt wird also auf absehbare Zeit fortdauern. Die Frage ist nur, ob er sich steuern lässt – und wenn ja, auf welchem Eskalationsniveau. Die Antwort kennt nicht einmal der Wind.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (29. August 2024 um 22:35 Uhr)
    Das Problem ist einfacher als gedacht: Das US-Imperium will nicht auf Augenhöhe mit China verhandeln. Doch die Zeiten, in denen eine vergleichbare Wirtschaftsmacht wie China den USA Bedingungen vorschreiben konnte, sind vorbei. Es ist höchste Zeit, dass die USA ihre Rolle überdenken und erkennen, dass sie nicht länger allein die Handels- und geostrategischen Bedingungen weltweit diktieren können. Der Zusammenbruch der Sowjetunion war ein Zufallsprodukt und markierte keineswegs das Ende der Geschichte, wie es der Wertewesten irrtümlich annahm. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist eine Neuausrichtung der Welt dringlicher denn je – und zwar durch diplomatische Mittel auf Augenhöhe, weltweit. An einer chinesischen Machtstellung in Ostasien führt kein Weg vorbei.

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