Wohnungskrise hausgemacht
Von Volker HermsdorfMit einem Dekret zur Deregulierung des Wohnungsmarktes hat Argentiniens Präsident Javier Milei die soziale Spaltung der Gesellschaft weiter verschärft. Kurz nach seinem Amtsantritt im Dezember hatte der neoliberale Staatschef ein seit Juni 2020 geltendes mieterfreundliches Gesetz gestrichen. Dessen als »Ley de Alquileres« bezeichneten Regelungen sollten willkürliche Mieterhöhungen verhindern und umfassten weitere Vorschriften für Vermieter. Viele Immobilienbesitzer ließen ihre Wohnungen daraufhin lieber leer stehen, statt sie anzubieten. Nach Mileis Dekret hat das Angebot in Buenos Aires und anderen Städten zwar zugenommen, die Mehrheit der Bevölkerung kann die steigenden Mieten jedoch nicht zahlen.
Die Wohnungskrise in Buenos Aires sei kein neues Phänomen, sondern Folge eines seit Jahren bestehenden strukturellen Defizits, das zu einem »alarmierenden Paradoxon« führe, stellte die Tageszeitung Página 12 am Sonnabend fest. »Während der Immobilienmarkt seit Jahren einen Bauboom erlebt und das Angebot ausgeweitet wird, nehmen die Schwierigkeiten beim Zugang zu Wohnraum für die Mehrheit der Bevölkerung zu«, da trotzdem die Zahl leerstehender Wohnungen steige, so der Bericht. Aus Sicht der Immobilienbesitzer sei dies ausschließlich eine Folge des von der peronistischen Regierung verabschiedeten Gesetzes 27.551, nach dem die Mindestlaufzeit der Mietverträge von zwei auf drei Jahre erhöht wurde. Die Kaution durfte maximal eine Monatsmiete betragen. Mieterhöhungen waren einmal im Jahr möglich und nur nach staatlich vorgeschriebenen Tarifen. Milei betrachtet die Stärkung von Mieterrechten jedoch als Fessel. »Wir haben das katastrophale Mietgesetz aufgehoben, und es ist genau das eingetreten, was wir gesagt haben: Das Angebot auf dem Markt hat sich von Dezember bis Februar verdoppelt, und folglich ist der reale Preis der Mieten gesunken«, erklärte er Anfang März im Parlament. »Milei vollbringt ein Wunder bei den Mieten«, übernahm die spanische Wirtschaftszeitung El Economista ungeprüft seine Behauptungen.
Recherchen von Página 12 kamen jedoch zu einem anderen Ergebnis. »Im Januar stiegen die Mieten nach der Aufhebung des Gesetzes, das sie bis dahin regelte, um 21 Prozent, der höchste Anstieg seit März 2012«, berichtete die Zeitung am 3. März. Am 22. Juli erschien ein Beitrag mit der Überschrift »Der August bringt einen neuen Rekordanstieg der Mietpreise«. Eine Folge davon, dass Verträge nun wieder gemäß der freien »Vereinbarung zwischen den Parteien« ausgehandelt werden, mit »Aktualisierungen«, die teilweise vierteljährlich erfolgen und zudem die Möglichkeit einschließen, Zahlungen in Fremdwährung zu vereinbaren. »Jeder kann jetzt seine eigenen Regeln machen«, sagte der Präsident der Immobilienkammer, Iván Ginevra, und meinte, dies könne auch für Mieter von Vorteil sein. Wohnungsmarktexpertin María Mercedes Di Virgilio von der Universidad de Buenos Aires stellte dagegen fest, dass die Bedingungen für Mieter trotz des steigenden Angebots schlechter werden. Bewerber mit geringen Einkommen oder unsicheren Jobs hätten kaum noch Chancen an bezahlbaren Wohnraum zu kommen. Nach einer im März veröffentlichten Untersuchung des »Centro de Estudios Económicos y Sociales Scalabrini Ortiz« (CESO) deckt der argentinische Mindestlohn derzeit »kaum 55,7 Prozent der Miete für eine Einzimmerwohnung in Buenos Aires«.
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