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Aus: Ausgabe vom 30.08.2024, Seite 11 / Feuilleton
Theatergeschichte

Piscators laufendes Band

Die Ausstellung »Was sind das für Zeiten? – Grosz, Brecht und Piscator« im Kleinen Grosz-Museum Berlin
Von Matthias Reichelt
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Zeichnung von George Grosz für Erwin Piscators »Schwejk«-Inszenierung (1928)

»Guter Hašek: Wo wäre Schwejk heute –?«, fragte Kurt Tucholsky in seiner Lobeshymne auf Jaroslav Hašeks Roman »Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk«. Eine richtige Frage, auch einhundert Jahre später, da in Deutschland fast alle Parteien die Kriegstrommeln rühren, Kriegsgegner als Lumpenpazifisten denunziert werden und der Rüstungsetat auf Kosten sozialer und kultureller Belange ins Unermessliche wächst. Da kommt die Ausstellung unter dem Titel »Was sind das für Zeiten? – Grosz, Brecht und Piscator« im Kleinen Grosz-Museum zur richtigen Zeit. Der Titel wurde dem von Bertolt Brecht im dänischen Exil verfassten Gedicht »An die Nachgeborenen« entlehnt, das mit einer rhetorischen Frage verbunden ist:

»Was sind das für Zeiten, wo / ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt?«

Gegenstand der Ausstellung ist die Bühnenadaption der »Abenteuer des braven Soldaten Schwejk«, die Erwin Piscator für sein Theater am Nollendorfplatz in Berlin Ende Januar 1928 inszenierte.

Hašeks Antikriegsroman huldigt einer sich einfältig gebenden Figur, die das System des Militarismus und des blinden Gehorsams in schelmischer Weise durch Überaffirmation sabotiert. Der Roman, dessen Dramatisierungsrechte sich Max Brod und Hans Reimann für ihre Bühnenfassung gesichert hatten, wurde von Erwin ­Piscator und einem Dramaturgenkollektiv unter Beteiligung Bertolt Brechts 1927/1928 bearbeitet und kräftig politisiert. Piscator, der als Soldat den Ersten Weltkrieg erlebt hatte und, vom Militarismus geheilt, zurückgekehrt war, schloss sich ebenso wie George Grosz und John Heartfield der KPD an und wusste schon sehr früh, dass eine Regierung unter Hitlers NSDAP Krieg bedeuten würde.

Der zuvor an anderen Theatern wie der Volksbühne inszenierende Piscator wurde von der Schauspielerin Tilla Durieux verehrt, die wiederum ihren Lebensgefährten, den Brauereibesitzer Ludwig Katzenellenbogen, überredete, dem innovativen Regisseur ein eigenes Theater am Nollendorfplatz zu finanzieren. Piscator begriff »sein« Theater als »Kampfbühne« zur »Durchsetzung einer künftigen, sozialistischen Gesellschaft«, wie Stephan Dörschel im empfehlenswerten ausstellungsbegleitenden Katalog schreibt.

Für »Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk« ließ sich Piscator einige bühnentechnische Neuerungen einfallen. Es wurden zwei Laufbänder auf der Bühne montiert, auf denen Requisiten wie z. B. eine Wohnungseinrichtung vorbeirollten, während auf eine dahinter montierte Leinwand gleichzeitig Standbilder und Filme projiziert werden konnten. Für die Laufbänder entwarf George Grosz Figuren, die in Lebensgröße auf Holz montiert und auf den Bändern plaziert, sich mit Schauspielern, Puppen und anderen Requisiten zu einem multimedialen Bühnenbild fügten. Am Ende des Stücks, so erinnerte sich Piscator: »… ließ ich über Standprojektionen mit zerfetzten Soldatenleibern ein unendliches Band von gezeichneten Kreuzen, das vom Horizont her auf den Beschauer zulief, überblenden.« Ein eindrucksvolles Ende als Agitprop gegen Militarisierung und Krieg.

Eine Auswahl von 17 Zeichnungen, die Grosz für den Schwejk anfertigte, wurden von Wieland Herzfelde im Malik-Verlag unter dem Titel »Hintergrund« 1928 veröffentlicht. Drei der Zeichnungen erzürnten die reaktionären Gemüter der Militaristen und wurden Gegenstand eines Gerichtsprozesses, bereits der dritte, den Grosz und sein Verleger Wieland Herzfelde in der Weimarer Republik erlebten. Gegen die Blätter Nr. 2 »Seid untertan der Obrigkeit« und Nr. 9 »Die Ausschüttung des Heiligen Geistes« wurden im Prozess, der in fünf Instanzen ausgefochten wurde, die Klage fallengelassen. Bei der dritten inkriminierten Zeichnung handelt es sich um die 14 mal 18 Zentimeter kleine Zeichnung »Maul halten und weiter dienen«, die Jesus mit Gasmaske am Kreuz und Soldatenstiefeln zeigt. Es wurde entschieden, dass alle Exemplare und auch der Druckstock vernichtet werden müssen. Wieland Herzfelde rettete einige ­Exemplare und vermachte sie 1980 der Akademie der Künste Ost. Einige Blätter konnten im Mai dieses Jahres dank zweier Stiftungen für die Akademie der Künste erworben werden und sind nun zum ersten Mal öffentlich zu sehen.

Hinter der Institution »Das Kleine Grosz-Museum«, die noch für mindestens weitere zwei Jahre Gast in einer umgebauten Tankstelle im Besitz des Schweizer Galeristen Juerg Judin in der Schöneberger Bülowstraße residiert, steht ein äußerst engagierter Verein. Der Vereinsvorsitzende Ralf Kemper hielt eine engagierte Rede, die keinen Zweifel daran ließ, dass die Betreiber sich auch aus innerer Überzeugung mit dieser Ausstellung gegen die staatliche Propagierung einer erwünschten Kriegsfähigkeit und die Militarisierung der gesamten Gesellschaft positionieren.

»Was sind das für Zeiten? – Grosz, Brecht und Piscator«, Das Kleine Grosz-Museum, Bülowstr. 18, Berlin-Schöneberg, donnerstags bis montags, 11–18 Uhr, noch bis 25. November

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