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Aus: Ausgabe vom 30.08.2024, Seite 11 / Feuilleton
Musik

Virtuoser Notruf. Mdou Moctar aus Niger live in Köln

Von Frank Schwarzberg
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Die lautesten und schnellsten Vertreter des Tichumaren

Nahkampf kann etwas sehr Schönes sein. Auch Tanz ist per se wunderbar. Das Pogen hingegen hat sich mir nie erschlossen. Und da es dafür an einem Dienstag abend im proppenvollen »Gebäude 9« in Köln keinen Platz gibt, dies die Poger aber nicht anficht, trete ich nach 20 Konzertminuten den geordneten Rückzug an und kann wieder darauf achten, weswegen ich ja gekommen bin: Mdou Moctar und seine Band. Stillstehen ist allerdings zu dieser Musik schlechterdings unmöglich, darin stimme ich mit den Pogern überein.

Seine erste Gitarre baute Mdou ­Moctar aus Holz und alten Fahrradteilen. Er hatte im Alter von neun Jahren im Norden Nigers den Desert-Blues-Gitarristen Abdallah Ag ­Oumbadougou auf einem Open-Air-Gratiskonzert gehört. »Der elektronische Sound war atemberaubend.« Heute, 30 Jahre später, ist Moctar selbst ein virtuoser E-Gitarrist auf den Spuren von Jimi Hendrix. »Afrique Victime« hieß 2021 sein Durchbruchsalbum, das, wie sein neues Album »Funeral for Justice«, kolonialistische Ausbeutung anklagt. Dabei, sagt Bassist Mikey Coltun, müsse man die Lyrics in der Sprache Tamaschek gar nicht verstehen: »Unser Gitarrenkrach hört sich an wie ein Krankenwagen: Es ist der Notruf.«

Außerdem sind noch Eddie Van ­Halen, Ali Farka Touré, Baba Salah (beide aus Mali) und Bombino erklärte Vorbilder von Mahamadou Souley­mane, wie Mdou Moctar bürgerlich heißt. ­Tinariwen und Songhoy Blues sind neben Mdou Moctar weitere Bands aus dem Umfeld des oft Wüstenblues genannten Tichumaren, eines Musikstils, der traditionelle Tuareg-Musikelemente, u. a. die Polyrhythmik, mit Blues- und Rockelementen kombiniert. Songhoy Blues gehören zu den lautesten, Mdou Moctar zu den lautesten und schnellsten Vertretern des Genres.

Ihre Ausdrucksform entwickelte die vierköpfige Band auf Hochzeitsfeiern. Diese sind im Sahel für Musiker die gängigste Auftrittsgelegenheit. Das ganze Dorf ist eingeladen, und je dynamischer die Band spielt und je wilder getanzt wird, desto mehr Mundpropaganda und neue Buchungen. Coltun, der ihre Alben auch produziert, sagt, dass er, sozialisiert in der Punkszene Washingtons, das »Do It Yourself«-Punkethos in diesen Feiern wiedererkannte: »Die Leute bringen Generatoren vorbei, sie drehen die Verstärker voll auf. Das Equipment ist kaputt, aber irgendwie bringen sie es zum Laufen.«

Und so ist auch dieses Mdou-Moctar-Konzert kein gediegenes Sitzkonzert für gönnerhafte »World Music«-Connaisseurs. Hier wird nichts zurückgehalten: Die leidenschaftlichen politischen Texte und die Gitarrensoli Moctars befeuern sich wechselseitig. Dazu lässt Drummer Souleymane Ibrahim wahre polyrhythmische Salven auf die wogende Menge niederregnen, über die Moctar, Coltun und der Rhythmusgitarrist und Begleitsänger Ahmoudou Madassane dann die jeweiligen Songmotive leicht variieren, bis Moctar zu seinen atemlosen Gitarrensoli ansetzt. Laut, schnell und wild geht es auf und vor der Bühne ab.

Die technische Meisterschaft beeindruckt mitunter mehr als die Songideen selbst. Erst in der zweiten Konzerthälfte beginnen die Stücke verhaltener, ziehen dann subtil Tempo und Druck an, bis die Strömung aus Krach, Virtuosität und zuckender Rhythmik entsteht, die dich unweigerlich in sich hineinzieht. Das gefällt mir persönlich besser als die Überwältigung zu Beginn, aber ich gehe ja auch nach hinten, wenn das Gepoge losgeht.

Mdou Moctar: »Funeral for Justice / Tears for Injustice« (Matador/Beggars)

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