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Aus: Ausgabe vom 30.08.2024, Seite 15 / Feminismus
Afghanistan

Verbrechen, eine Frau zu sein

Neues »Tugendgesetz« in Afghanistan: Taliban kriminalisieren grundlegendste Rechte. Aus dem Exil ertönt Widerstand gegen das Verbot zu singen
Von Jakob Reimann
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Die Afghanin Kimia Jusofi fordert bei den Olympischen Spielen Teilhabe für ihre Landsgenossinnen (Paris, 2.8.2024)

Der Kampf gegen die Mädchen und Frauen Afghanistans wurde in geltendes Recht überführt. Die herrschenden Taliban haben ein »Tugendgesetz« verabschiedet, das Frauen das Singen und Vorlesen in der Öffentlichkeit verbietet. Die Stimme einer Frau sei schließlich »intim«. In der Gegenwart von Männern, mit denen sie nicht direkt verwandt sind, müssen Frauen nun vollständig ihr Gesicht und ihren Körper verhüllen, »aus Angst, in Versuchung zu geraten«, heißt es in Artikel 13. Das Gesetz wurde bereits Ende Juli im Amtsblatt veröffentlicht, und der Oberste Führer der Dschihadisten, Hibatullah Achundsada, habe es nun unterschrieben, gab das Justizministerium laut dpa-Meldung vom vergangenen Freitag bekannt. Es diene »der Förderung der Tugend und der Beseitigung des Lasters«, zitiert die emiratische Tageszeitung The National einen Taliban-Sprecher. Das 114 Seiten umfassende Gesetz regelt im Detail das repressive Vorgehen der für ihre Willkür und Brutalität berühmt berüchtigten »Sittenpolizei«, der vom Tugendministerium die Durchsetzung der drakonischen Verhaltensregeln überantwortet wurde. Die umfassende Macht dieser staatlichen Frauenschläger wird durch den neuen gesetzlichen Unterbau gestärkt und nochmals erweitert.

Auch »Ehebruch«, außereheliche Beziehungen sowie Homosexualität sind sämtlichen Personen verboten und können durch die Tugendwächter nun sanktioniert werden. Bereits nach ihrer Machtübernahme im August 2021 hatten die Taliban der LGBTIQ-Community im Land den Kampf angesagt, und seitdem sind eine Vielzahl brutaler Vergehen dokumentiert, die bis zu Hinrichtung, Folter und Vergewaltigung schwuler Männer reichen. Unter dem neuen Gesetz dürfen Männer keine Krawatte und müssen hingegen einen Bart tragen, dessen Länge vorgeschrieben ist, ebenso wie die ihrer Hosen. Glücksspiel, Musik und die populäre Kampfsportart Mixed Martial Arts sind ab jetzt verboten. Ebenso die Herstellung, Verbreitung und das Ansehen von Videos oder Bildern, die »Muslime beleidigen« oder »lebendige Wesen« zeigen, was einem Verbot visueller Nachrichten gleichkommt.

Seit Beginn ihrer Herrschaft führen die Taliban einen Kampf gegen die Rechte von Frauen und Mädchen, die nahezu vollständig aus dem öffentlichen Leben verschwunden sind; ihnen wird der Zugang zu Parks und anderen Räumen wie auch die Ausübung nahezu aller Jobs untersagt. Der Hochschulminister Neda Mohammed Nadim, der als Gouverneur und Polizeichef der Provinz Nangarhar zuvor den Kampf gegen den »Islamischen Staat« führte, kämpft nun gegen das Recht auf Bildung der afghanischen Frauen. Die Verbannung von Mädchen aus dem Bildungssystem nach der sechsten Klasse war eine der ersten Amtshandlungen der Taliban. »Wir möchten ihr versichern«, adressierte ein Taliban-Sprecher »die internationale Gemeinschaft« noch auf ihrer ersten Pressekonferenz am 17. August 2021, »dass es keine Diskriminierung von Frauen geben wird«. »Sie werden mit uns zusammenarbeiten, Schulter an Schulter«, hieß es damals.

Nach der Bekanntwerdung des »Tugendgesetzes« veröffentlichten afghanische Frauen in den sozialen Netzwerken Videos, in denen sie singen oder Fotos des Taliban-Führers Achundsada zerreißen. In einem Video singt die in Polen lebende Sala Sasai ein Lied der bekannten Sängerin Arjana Sajid über die Widerstandskraft der afghanischen Frauen. Sie hätten begriffen, »dass Frauenfeinde unsere Menschenrechte nicht länger im Namen von Religion und Kultur verweigern können«, sagte Sasai. »Ihr habt meine Stimme für die absehbare Zukunft zum Schweigen gebracht«, sagt eine vollverschleierte Frau in einem anderen Video. »Ihr habt mich in meinem Zuhause inhaftiert für das Verbrechen, eine Frau zu sein.«

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