Kampf gegen den Status quo
Von Christiana PuschakWas bedeutet es, eine Frau zu sein? Zu dieser Frage, die sich Susan Sontag in ihren Essays in den siebziger Jahren stellte, ist nunmehr ein von ihrem Sohn David Rieff herausgegebener Sammelband erschienen. Er ist eine brillante und zugleich diskussionswürdige Einführung in Sontags Feminismus. In diesen Essays widmet sich die Autorin prägnant verschiedenen Aspekten des Frauseins: Sie schreibt über Schönheit, Macht und Ohnmacht von Frauen, über Sexualität, Sprache und über die Doppelmoral beim Thema Altern – Themen, die nach wie vor genauso relevant sind wie zu Zeiten Sontags (1933–2004).
Bekannt wurde die US-Amerikanerin durch Schriften zu Kunst und Kultur, insbesondere zur Fotografie, die sich durch ein hohes Maß an Sensibilität und an Intellektualität auszeichnen. In Erinnerung geblieben ist sie als Autorin wegweisender Werke wie »Against Interpretation« (1966), »On Photography« (1977) und »Illness as Metaphor« (1978), in dem sie für eine Entdämonisierung schwerster Krankheiten wie Krebs plädiert, sowie als Aktivistin, die gegen den Status quo ankämpfte.
»Über Frauen« bietet einen Einblick in Sontags Gedankenwelt. Allein die Frage nach dem Alter ist für viele Frauen »immer eine Nervenprobe«, so die Autorin. Werde das männliche Älterwerden – wenn berufliche Leistungsstärke und sexuelle Potenz nachlassen – von der Gesellschaft eher toleriert, so werde den Frauen mit zunehmendem Alter ein Sexualleben abgesprochen, ja es werde ein unerbittlicher Druck auf sie ausgeübt, mit ihrem Äußeren einen bestimmten Maßstab zu genügen, d. h. »der Wert einer Frau liegt in der Art und Weise, wie sie sich präsentiert«. Sontag verwirft nicht den Wunsch, schön zu sein, sondern sie kritisiert die Verpflichtung, es zu sein. »Keine Frage, Schönheit ist eine Form von Macht … Beklagenswert ist jedoch die Tatsache, dass es die einzige Form von Macht ist, nach der zu streben Frauen ermuntert werden.«
Trotz Sontags selbstbestimmter Lebensweise, »ein so freies, ausgefülltes und phantasievolles Leben wie irgend möglich zu führen«, schrieb Sontag wenig über das Phänomen »Feminismus«. Doch sie war Feministin: Sie verweigerte nicht nur die Erfüllung weiblicher Rollenerwartungen, sondern sie diagnostizierte, »alle Frauen leben in einer ›imperialistischen‹ Situation, in der die Männer die Kolonialherren und die Frauen die Kolonisierten sind«. Wichtig, ja geradezu eine Pflicht sei es, »Solidarität mit anderen Frauen« im Kampf um Gleichberechtigung zu üben.
Sontag nannte beim Namen, was sich in einer patriarchal geprägten Gesellschaft ändern müsse. Ein Bewusstsein für die tiefgreifende Frauenfeindlichkeit müsse geschaffen werden, die »auf allen Ebenen menschlichen Austauschs zum Ausdruck kommt«. Ferner müssten »die Arbeitsformen, die sexuellen Gepflogenheiten, die Vorstellung vom Familienleben … verändert werden; selbst die Sprache, die das uralte Vorurteil gegen die Frauen in sich birgt, darf nicht unverändert bleiben«. Und schließlich: »Die Demokratisierung der Familienarbeit ist einer der erforderlichen Schritte, um die repressive Definition der Rollen von Ehemann und Ehefrau, Mutter und Vater zu verändern.« Ebenso müssen die für Frauen geltenden sexuellen Normen kritisch unter die Lupe genommen werden: »Hinsichtlich der Sexualität wird seit jeher mit zweierlei Maß gemessen: Man schreibt den Frauen eine geringere sexuelle Energie und weniger sexuelle Begierden zu.« Frauen würden bestraft, wenn sie sich im Bereich der Sexualität nicht normgerecht verhalten. Dies lässt Sontag zu dem Schluss kommen: »Ohne einen grundlegenden Wandel der Sexualnormen ist die Befreiung der Frau ein bedeutungsloses Ziel.«
In ihrem bestechenden Essay »Faszinierender Faschismus« entlarvt die Autorin Leni Riefenstahls Versuch, sich als unpolitische Ästhetin darzustellen. Und überhaupt erweist sich Sontag in ihren Texten – so auch in der Auseinandersetzung mit der Lyrikerin Adrienne Rich – als mehr diskursfreudig denn dogmatisch, als dialektisch und skeptisch in ihrem Denken sowie als kritische Beobachterin ihrer Zeit. Laut Susan Sontag sind Essays nur dann gelungen, wenn sie die Leser zum Denken anregen – und dies tun ihre Texte ohne Frage.
Susan Sontag: Über Frauen. Hanser-Verlag, München 2024, 208 Seiten, 23 Euro
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