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Aus: Ausgabe vom 06.09.2024, Seite 4 / Inland
Migrationspolitik

Rechtes Gesamtpaket

CDU-Ultimatum sorgt für neuen Streit in der Regierung. FDP-Politiker schlägt deutschen »Ruanda-Plan« vor
Von Kristian Stemmler
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Seit Herbst 2023 wurden bereits über 30.000 Migranten an der deutschen Grenze abgewiesen (Schwennenz, 28.9.2023)

Die Union verschärft den Ton in der Migrationsdebatte immer weiter. CDU-Chef Friedrich Merz wiederholte am Donnerstag seine »Bitte« an die Bundesregierung: Bis zum nächsten Dienstag erwarte er eine »verbindliche Erklärung« der Ampelkoalition, ob sie bereit sei, die Forderung der Union nach pauschalen Zurückweisungen von Migranten an der deutschen Grenze zu erfüllen. Nach dem ersten Treffen von Regierung, Union und Ländern zur Migrationsfrage am Dienstag hatte Merz bereits die Erfüllung dieser Forderung zur Bedingung für eine Fortsetzung der Gespräche gemacht. Kommt die Ampelregierung dem nicht nach, gebe es aus seiner Sicht »keinen weiteren Beratungsbedarf mehr«, so Merz.

Der Druck von rechts wirkt offenbar. Wie dpa aus Regierungskreisen erfuhr, lässt die Bundesregierung die Frage prüfen, ob Geflüchtete, die schon in anderen EU-Ländern registriert wurden, an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden können. Bereits jetzt werden demnach Menschen dort zurückgewiesen, wo es Kontrollen gibt, also an den Grenzen zu Polen, Tschechien, Österreich und der Schweiz. Seit dem Oktober 2023 geschah dies laut Innenministerium in mehr als 30.000 Fällen. Zurückweisungen sind möglich, falls jemand nicht Asyl beantragt oder wenn eine Einreisesperre gegen die Person vorliegt.

Mit Zufriedenheit dürfte die Union registrieren, dass ihr Insistieren für neuen Streit in der Ampelkoalition sorgt. Die FDP ging am Donnerstag auf die Koalitionspartner von Bündnis 90/Die Grünen los. »Die Grünen dürfen hier nicht blockieren«, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai gegenüber Bild. Wer »konstruktive Lösungen« bei diesem Thema blockiere, gefährde die Sicherheit des Landes und sei »letztlich nicht regierungsfähig«. Parteivize Wolfgang Kubicki erklärte gegenüber der Rheinischen Post, die Grünen irrten, »wenn sie erklären, dass Zurückweisungen an der Grenze rechtlich nicht möglich sind«. Mit dieser Äußerung bezog sich Kubicki auf die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic, die am Mittwoch Zurückweisungen von Asylsuchenden an der Grenze als europarechtlich nicht zulässig eingestuft hatte.

Das Ultimatum des CDU-Chefs sorgte unterdessen für Verärgerung bei SPD und Grünen. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert kritisierte in der ARD-Sendung »Maischberger«, Merz solle nicht den Eindruck vermitteln, dass die Brandenburger Landtagswahl in zwei Wochen »jetzt zu einem allzu unrealistischen Tempo bei ihm führt«. Er sei »nicht geneigt und nicht gewillt, auf diese Forderung oder von mir aus auch Provokation an der Stelle einzugehen«, so Kühnert.

Auch Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann lehnte die Forderungen von Merz ab. »Ich halte von dieser Ultimatenpolitik überhaupt nichts«, sagte sie dem Radiosender Bayern 2. Es sei wichtig, über Vorschläge zu beraten, die mit dem Grundgesetz und dem europäischen Recht vereinbar seien. Die SPD-Innenministerin von Niedersachsen, Daniela Behrens, zeigt sich dagegen offen für den Vorschlag, bestimmte Migranten an den Grenzen zurückzuweisen. Wenn es rechtlich möglich sei, »dann sollten wir es tun«, sagte sie auf dem Portal T-online.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte, man habe das Ziel, »gemeinsam mit der Union in Bund und Ländern zu einem rechtssicheren Gesamtpaket Migration zu kommen«. Dabei gebe es »für uns keine Denkverbote«. Mützenich kündigte zugleich an, dass die SPD-Fraktion in der kommenden Woche im Bundestag erstmals über das von der Ampelregierung beschlossene »Sicherheitspaket« beraten will.

Der FDP-Politiker Joachim Stamp, Sonderbevollmächtigter der Bundesregierung für Migrationsabkommen, meldete sich unterdessen mit einem maximalistischen Vorschlag zu Wort. In einem Podcast schlug er vor, die Verfahren von Migranten, die über Russland und Belarus nach Europa kommen, nach Ruanda auszulagern. Dafür könne man die dort vorhandenen Kapazitäten nutzen, die ursprünglich für den inzwischen geplatzten Deal mit Großbritannien gedacht gewesen seien, so Stamp. Sein Modell sei eine Möglichkeit, der »hybriden Kriegführung« von Russland und Belarus entgegenzutreten, die »gezielt Migranten über die Ostgrenze der Europäischen Union« schickten.

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