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Aus: Ausgabe vom 06.09.2024, Seite 8 / Kapital & Arbeit
Textilproduktion in Bangladesch

»Letztlich wird sich der Verantwortung entledigt«

Bangladesch: Textilbranche ist Mitverursacher der politischen Krise und des Klimawandels. Ein Gespräch mit Berndt Hinzmann
Interview: Henning von Stoltzenberg
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Existenzsichernde Löhne? Nicht für Textilarbeiterinnen in Bangladesch (Tongi, 8.12.2014)

Die Modebranche in Deutschland schaut in diesen Tagen besorgt nach Bangladesch. Was ist der Grund für die dortigen Ausschreitungen und Fabrikschließungen?

Neben den politischen Entwicklungen kontaktierten uns unsere Partner aus Bangladesch auf Grund der starken Überschwemmungen, deren Ursache auch der menschengemachte Klimawandel ist.

Bereits im vergangenen Jahr gab es große Proteste und in diesem Zusammenhang Angriffe auf Gewerkschafter. Auslöser war die Festsetzung des Mindestlohns im Textilsektor. Dieser wurde nach fünf Jahren von 8.000 auf 12.500 Taka im Monat erhöht, das entspricht etwa 105 Euro. Ein beschämender Hungerlohn. Die Gewerkschaften versuchten gemeinsam mit internationalen NGOs wie Inkota und der Clean Clothes Campaign eine Unterstützung für die legitimen Forderungen zu organisieren. Die inzwischen geflohene Premierministerin Hasina ignorierte nicht nur die Forderung nach einem Mindestlohn von 23.000 Taka, sondern diffamierte bereits damals die Protestierenden.

Wer trägt die Verantwortung für diese Situation?

Die Textilindustrie ist Mitverursacher der aktuellen Zuspitzung. Die Geschäftsmodelle sind so ausgestaltet, dass eben keine nachhaltigen Einkaufpraktiken etabliert sind und den Arbeitern keine existenzsichernden Löhne gezahlt werden können. Die globalen Lieferketten und Einkaufspraktiken sind so aufgestellt, dass die Textilindustrie für drei bis zehn Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich ist.

Wie wichtig ist Bangladesch als Exportland von Kleidung in die BRD?

Die Textilindustrie, aber auch Lederprodukte und Schuhe sind einer der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes. Bangladesch ist nach China der weltweit größte Textilexporteur. Textilien und Bekleidung machten 2022/2023 rund 85 Prozent aller Exporte aus. Der überwiegende Teil ging in die USA und nach Deutschland mit einem Wert von 6,68 Milliarden US-Dollar.

Was halten Sie von Vorhaben, die Produktion nach Europa zu verlagern, wie von mehreren Konzernen angekündigt?

Das Verlagern der Produktion in andere Regionen erinnert an die alte Strategie des »Cut and Run«, also da, wo das eigene Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert, zieht das Unternehmen sich zurück. Letztlich wird sich der Verantwortung entledigt. Das erinnert auch an die Coronapandemie, als aufgrund des Nichtabverkaufs Aufträge storniert, Ware nicht bezahlt wurde und somit die Produzenten mit den Kosten allein gelassen wurden. Die Arbeiterinnen und Arbeiter bekamen dann den Lohn nicht gezahlt und wurden so zu den unmittelbar Leidtragenden. Mitverursacher ist das Geschäftsmodell der Branche.

Inwieweit achten deutsche Unternehmen auf die Arbeitsbedingungen der vorwiegend weiblichen Arbeiterinnen in der bangladeschischen Textilbranche?

Es gibt verschiedene Initiativen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Dennoch sind die Fortschritte viel zu gering. Das Neue: das deutsche und europäische Lieferkettengesetz, das einen verbindlichen Rahmen vorschreibt und auf das Abstellen von Risiken und nachhaltigen Einkaufpraktiken orientiert. Teile der Wirtschaft und der Politik wollen die Gesetze wirkungslos machen und den Prozess stoppen. Leider ist es nur ein geringer Teil der Wirtschaft, der sich klar für einen ambitionierten gesetzlichen Rahmen und dessen Umsetzung ausspricht und will, dass Nachhaltigkeit und Menschenrechte bei der Arbeit kein Wettbewerbsnachteil mehr sind.

Was fordert Inkota konkret von der hiesigen Modebranche?

Wichtig ist, dass die Sorgfaltspflichtengesetze und deren ambitionierte Umsetzung nicht den Lobbyinteressen preisgegeben werden. Die Modebranche ist weiterhin gefordert, sich den Missständen zu stellen und diese zu beheben, etwa durch das Ermöglichen von existenzsichernden Löhnen, das Umsetzen von nachhaltigen Einkaufspraktiken, Verändern des Geschäftsmodells. Schlussendlich: Als Mitverursacher für die Krise unter anderem in Bangladesch oder den Klimawandel Verantwortung übernehmen – auch finanziell.

Berndt Hinzmann ist Referent für Wirtschaft und Menschenrechte, Lieferkette Textilien und Leder im Inkota-Netzwerk

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