Das Licht des dunklen Predigers
Von Alexander KasbohmAber der Erzengel teilte die dunklen Wolken, und ein Lichtstrahl erleuchtete das Antlitz des knienden Sankt Nicolas. Und der Engel sprach und die himmlischen Chöre jubilierten: »Bring your spirit down!« Und siehe, Sankt Nicolas hörte, und er erhob sich und brachte seinen getrübten Geist dem Leben dar. So steht es geschrieben, und so ist es in Bits in die »Wild God«-CD gemeißelt, die Nick Cave uns jetzt darreicht.
Er war schon immer der dunkle Priester, zunächst des Punks, dann des Underground, dann des feuilleton-akzeptierten Theaterrocks. Seine Stimme predigend, sein christlicher Symbolismus schlehenschwarz, krähenschwarz, bibelschwarz. Damit balancierte er auf einem sehr schmalen Grat. In den guten Momenten, die überwogen, war seine ironiefreie, bleischwere, schamlose Überladenheit seine Stärke, ein Bad im Elend der Welt, dessen Kitsch gegen jeden wahren Schmerz immunisierte. Hier eine Kerze, da eine Rose, dort eine blutige Träne. Die theatralische Übertreibung schuf Antikörper gegen das reale Elend und enthielt ein geradezu katholisches Heilsversprechen. In schlechten Momenten war es, als würde er bedeutungsschwer und selbstgerecht Banalitäten als profunde Erkenntnisse verkaufen (»Ben-Becker-Syndrom«).
Seit dem Tod seines Sohnes Arthur im Jahr 2015 haben Caves Alben eine neue Qualität angenommen. Das 2019 erschienene »Ghosteen« war seine gothische Kathedrale: groß, gen Himmel strebend und nackt, ohne Zierrat, ohne Kitsch, ohne Theater. Ein erhabenes Monument eines Schmerzes, der sich nicht mehr hinter dem Artifiziellen verstecken kann. 2021 folgte das Album »Carnage« – ohne Bad Seeds, nur mit seinem Violinisten Warren Ellis (nicht verwandt oder verschwägert mit dem britischen Autor, die beiden teilen nur den Namen und den Bart). Im selben Jahr starb Caves ehemalige Partnerin und Bad-Seeds-Mitstreiterin Anita Lane, ein Jahr später Caves ältester Sohn Jethro. Schmerz lässt sich nicht endlos addieren. Irgendwann muss man einfach weiterleben. Oder eben nicht.
»All the kings horses and, … ah, never mind, never mind …« singt Nick Cave im »Song of the Lake« zu Beginn des Albums in Anspielung auf den Kinderreim, in dem Humpty Dumpty nach seinem Mauerfall von sämtlichen Pferden und Männern des Königs nicht wieder zusammengesetzt werden kann. Nick Cave hat sich fürs Weiterleben entschieden und erkannt, dass es keinen Sinn hätte, wenn man das Leben dann nicht auch lebt. So ist »Wild God« eine Rückkehr zur Grandiosität, zur großen Schauspielgeste und sogar zu Humor (die Zeile »there is rape and pillage in the retirement village«, gesungen vom 66jährigen Cave ist ein gutes Beispiel). »O Wow O Wow« ist Anita Lane gewidmet, die in Form einer aufgenommenen Telefonnachricht die Stimmung des Stückes vorgibt: Es ist eine leichtherzige, humorvolle Freundlichkeit. Die Trauer um den Verlust eines geliebten Menschen gerät hier in den Hintergrund hinter dem, was von Freunden bleibt, wenn sie nicht mehr da sind: die Spuren, die ihr Geist, ihr Wesen unauslöschlich in uns hinterlassen haben.
Die Bad Seeds, die auf »Ghosteen« nur dem Namen nach dabei waren, sind erkennbar wieder die Bad Seeds, auch wenn sie deutlich anders klingen als vor 2015. Die Veränderung liegt weniger an Radioheads Colin Greenwood, der jetzt mit dabei ist, sondern eher am Produzenten Dave Fridmann (Flaming Lips), der sie in eine futuristischere, elektronischere Richtung treibt.
Cave erfreut sich an den Schönheiten der Natur, an Fröschen, die anscheinend voller Freude durch den Regen springen. Der Versuch, das Leben und die Welt zu umarmen, wird immer wieder mit Augenblicken trostlosen Schmerzes kontrastiert, was die Wichtigkeit des Versuches nur unterstreicht. Wenn Nick Cave dann in dem Song »Joy« singt, »we’ve all had too much sorrow, now is the time for joy«, dann ist es weniger als Tatsachenbehauptung denn als Aufforderung ans Selbst zu sehen, jeden Moment so gut es eben geht zu nutzen. Denn dies ist letztlich die einzige Weise, das Leben leben zu können.
Nick Cave & The Bad Seeds: »Wild God« (PIAS/Rough Trade)
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