Schande der Täter
Von Hansgeorg HermannAuf der Anklagebank des Bezirksgerichts im sonnigen südfranzösischen Avignon sitzen seit vergangenem Montag 50 Männer, deren Verbrechen, sollte das Gericht sie bestätigen, nur unzureichend mit dem Begriff der »sexualisierten Gewalt« zu beschreiben sind. Ihr Opfer, die heute 72 Jahre alte Gisèle P. aus dem knapp 7.000 Einwohner Städtchen Mazan in der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur, wurde über einen Zeitraum von geschätzten zehn Jahren nicht nur von ihrem Ehemann Dominique P. regelmäßig mit starken Schlaf- und Beruhigungsmitteln betäubt und danach, in bewusstlosem Zustand, vergewaltigt und gefilmt. Dominique P. bot seine über all die Jahre ahnungslose Ehepartnerin auch im Internet an. Dutzende ihr völlig unbekannte Männer waren eingeladen, sie zu vergewaltigen. Gisèle P. hat darauf bestanden, dass der gesamte Prozess öffentlich geführt wird. Wie sie über ihren Anwalt wissen ließ, müsse »nicht sie sich schämen«, vielmehr habe die »Schande die Seite zu wechseln – hin zu den Tätern«. Die Verhandlung wird nach Angaben der Justizbehörden voraussichtlich bis Dezember dauern.
Den Angeklagten trat Gisèle P. am Montag zum ersten Mal bewusst gegenüber, versuchte ihnen in die Augen zu schauen, berichteten die aus ganz Frankreich angereisten Journalisten anderntags. Vergebens, weil die feigen Männer den Kopf nicht hoben, ihre Gesichter hinter den Händen versteckten und auf ihren Bänken den Rücken krümmten. Sie kämen »aus der Mitte der Gesellschaft«, erklärt das Gerichtsprotokoll, sind zwischen 22 und 74 Jahre alt – pensionierte Polizisten, Händler, Journalisten, Rentner, Informatiker, Fernfahrer, Restaurantbesitzer, Feuerwehrleute, Elektriker, alleinstehend, verheiratet, Familienväter, kinderlos, Arbeiter ebenso wie Staatsbeamte.
18 Männer, vom Gericht ob der ihnen zur Last gelegten Verbrechen offenbar als »gefährdet« eingestuft, sitzen in Avignon hinter Glasscheiben. Die Übrigen füllen, begleitet von einigen Dutzend Anwälten, die hinteren Ränge im Saal. Der Hauptangeklagte Dominique P., mit dem Gisèle fast 50 Jahre zusammenlebte, ist seit Montag offiziell von ihr geschieden. Erwischt wurde er vor vier Jahren durch einen Zufall. In einem Supermarkt hatte er versucht, Frauen unter den Rock zu filmen, ein Sicherheitsmann nahm ihn fest und übergab ihn der Polizei. Bei der anschließenden, gerichtlich angeordneten Hausdurchsuchung stießen die Ermittler auf das, was die Richter nur teilweise zur Vorführung in der Verhandlung freigaben. Zu furchtbar schien ihnen offenbar, was die Festplatte seines Computers freigab, was sie auf einigen tausend Fotos und Videoaufnahmen zu sehen bekamen. Gegen ihre ausdrückliche Empfehlung verlangte Gisèle P. die Veröffentlichung auch dieser Dokumente.
35 der 50 mutmaßlichen Vergewaltiger haben nach Angaben des Gerichts den sexuellen Kontakt mit dem Opfer zugegeben. Es habe sich allerdings »nicht um Vergewaltigung« gehandelt, sie hätten vielmehr geglaubt, dass ihr Opfer »sich schlafend stellt«. Nach Ansicht der Ermittler und der Staatsanwaltschaft eine Version, die den tatsächlichen, fotografisch und filmisch dokumentierten Handlungen widerspreche. In den bei P. gefundenen Tonaufnahmen erwähne der Ehemann die Verabreichung von Schlafmitteln, verlange von den »rekrutierten« Männern, sich vor dem Gang ins Ehebett schon in der Küche auszuziehen und möglichst »keinen Lärm« zu machen. In den vielen Jahren habe sie von dem, was ihr angetan wurde, »nichts mitbekommen«, sagt Gisèle P. Und dass die von ihr geforderte Öffentlichkeit auch anderen Opfer Mut machen könne.
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