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Aus: Ausgabe vom 06.09.2024, Seite 16 / Sport
Paralympische Spiele

Von der Zukunft träumen

Als Frau laufen: Diskussionen über die italienische Transgendersportlerin Valentina Petrillo
Von Jens Walter
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»Behandelt Transgendermenschen nicht schlecht. Wir leiden.« – Valentina Petrillo

Der erste Auftritt von Valentina Petrillo im Stade de France verlief ohne großes Aufsehen. Diskussionen hatte es vor ihren Starts bei den Paralympischen Spielen vor allem in den sozialen Netzwerken gegeben – kein leichter Stoff für die transgeschlechtliche Läuferin aus Italien. Als Mann bestritt sie über viele Jahre unzählige Wettkämpfe, bis sie sich einer Hormontherapie unterzog. Mit 51 Jahren trat sie in Paris erstmals bei den Paralympischen Spielen gegen Frauen an.

»Ich bin glücklich als Frau, und als Frau zu laufen, ist alles, was ich will«, sagte die sehbehinderte Petrillo in einem Interview mit der BBC. Als sie 14 Jahre alt war, wurde bei ihr die Netzhautkrankheit Morbus Stargardt diagnostiziert.

Die Aufregung vor ihrer Teilnahme beim Sprintwettbewerb über 400 Meter war groß. Der Deutsche Behindertensportverband hielt sich erst einmal bedeckt, wartete ein internes Treffen ab, um sich anschließend zu positionieren. Auf Nachfrage der dpa erklärte Delegationsleiter Karl Quade: »Wir respektieren jetzt erst einmal die Entscheidung der internationalen Verbände, fordern für die Zukunft aber klare Regeln – World Athletics hat diese Regeln, Para Athletics nicht.«

Die Definition des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) lautet nach aktuellem Stand: ­Solange Petrillo die erforderlichen Testosteronwerte für Frauenwettbewerbe nachweisen kann, darf sie gegen Frauen antreten. Allerdings verwies IPC-Präsident Andrew Parsons darauf, dass die Regeln »für den Moment« gelten würden. Auch er wünsche eine »einheitliche« Lösung, so der Funktionär in einem BBC-Interview. Er fügte an, dass Petrillo in Paris willkommen sei. Schließlich seien die Paralympischen Spiele Botschafter für Inklusion.

Im Stade de France wurde Petrillo im Vorlauf Zweite, scheiterte dann aber im Halbfinale – als Sechste. »Ich sollte glücklich sein, auch wenn ich ein bisschen niedergeschlagen bin«, sagte sie. »Ich hoffe, mein Sohn wird stolz auf mich sein. Das ist wichtig, weil er einen Vater hat, der trans ist, und ich nicht der Vater bin, von dem jeder träumt.«

Unter Tränen sagte Petrillo etwas später: »Behandelt Transgendermenschen nicht schlecht. Wir leiden. Es gibt Menschen, die sich umbringen. Das ist nicht in Ordnung. Wir tun niemandem etwas.« Danach brach sie das Gespräch ab.

Geschichte wiederholt sich in gewisser Weise. 2016 trat in Rio de Janeiro mit der Niederländerin In­grid van Kranen eine transsexuelle Athletin im Paradiskuswurf an. Bei den Olympischen Spielen in Paris standen die Kämpfe der Boxerinnen Imane Khelif aus Algerien und Lin Yu Ting aus Taiwan im Blickpunkt. Die Diskussionen gingen weit über die Frage des sportlich fairen Wettkampfs hinaus, erfassten höchste politische Kreise. In der gesellschaftspolitisch aufgeheizten Stimmung erfuhren beide Athletinnen im Internet zahlreiche Anfeindungen.

Das Internationale Olympische Komitee bezeichnete vorgenommene Geschlechtertests der International Boxing Association (IBA) als »willkürliche Entscheidung ohne ordnungsgemäßes Verfahren«, ließ Khelif und Lin teilnehmen, weil sie als Frauen geboren worden seien und über Jahre als Frauen an Wettbewerben teilgenommen hatten. Die IBA hatte zuvor »Wettbewerbsvorteile« erkannt und die beiden ausgeschlossen.

Petrillo ist die erste offene Transteilnehmerin bei den Paralympischen Spielen. Mit ihrer Qualifikation möchte sie als positives Beispiel vorangehen. »Ich träume von einer Zukunft, in der es keine Kinder, Mädchen, Teenager mehr gibt, die gezwungen sind, sich zu verstecken, die Angst zu haben, sich nicht so ausdrücken zu können, wie sie sind: in der Familie, in der Gesellschaft, bei alltäglichen Aktivitäten.«

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