Buchstabenfasching
Von Pierre Deason-TomoryIch habe einen neuen Musikradiofavoriten, WDCB Chicago, dort legen sie hauptsächlich Modern Jazz auf. Ein Public Radio mit handverlesener Musik ohne Reklame und Klamauk. Dieser Sender hat keine eigene App, also suche ich seine Seite im Netz, wenn ich ihn hören will. Und dabei kann mich nie an seinen »Namen« erinnern. Wie bei den meisten US-amerikanischen Radios besteht er aus vier gewürfelten Buchstaben, den Call Letters. Es gibt im Lande sogar Stationen, die nur drei Buchstaben haben, wie WGN, ebenfalls in Chicago, diese stehen für World’s Greatest Newspaper, ein Verweis auf die früher inhabende Chicago Tribune. Bei WGN durfte ich mir vor dreißig Jahren eine Morgensendung lang im Sendestudio anschauen, wie man mit Talkradio auf Mittelwelle unter 146 Sendern Nummer eins wird. Die Buchstaben WDCB jedenfalls wollten mir nie auf Anhieb einfallen, ich musste jedes Mal auf einer handgeschriebenen Liste nachsehen. Bis neulich abends. Ich zündete eine Tüte an, schaute auf den Zettel und plötzlich wusste ich, wofür WDCB steht: für WeeD und CannaBis. Seitdem habe ich den Namen drauf. Von wegen Marihuana macht doof!
Diese Woche im Radio: Der neue »ARD-Radio-Tatort« aus Hamm, »Keine fünf Minuten« von Dirk Schmidt. Scholz zeigt den Kollegen, wo der Räuber den Most holt (WDR 2024, Fr., 19.05 Uhr, Radio 3; Sa., 19.04 Uhr, HR 2 Kultur, SWR Kultur, 20.03 Uhr, Bayern 2; So., 17.04 Uhr, SR 2, 19.04 Uhr, NDR Kultur). In der »Dimensionen«-Ausgabe »Spekulationsobjekte des Universums« streiten sich die Gelehrten, ob es neben den Schwarzen auch Weiße Löcher gibt (Mi., 19.05 Uhr, Ö 1). Ein schönes Szenario hat das Multikunstprojekt Hofmann & Lindholm im Hörspiel »Faites vos jeux!« entworfen: Es käme der Tag, an dem die als Arbeitnehmer verhöhnten Knechte im Betrieb das Profitmachen sabotieren (DLR Kultur 2009, Do., 22.03 Uhr, DLF Kultur). Am Freitag abend kann man anlässlich des 150. Geburtstags von Arnold Schönberg die »Gurre-Lieder« hören, und das zweimal fast gleichzeitig, live übertragen aus zwei Musiktempeln. Im Wiener Musikvereinssaal tönen die Wiener Symphoniker (19.30 Uhr, Ö 1), in der Elbphilharmonie Hamburg tut es das Hausorchester (20.03 Uhr, auf fast allen ARD-Kulturwellen). Wenn die Schweizer Kollegen von SRF 2 Kultur mitspielen würden, könnten wir die Gurre-Lieder als Kanon empfangen.
»Waunst a Kuah ghobt host, host schon überlebt«, erzählt die 90jährige Maria Priller im Feature »Von Frauen und Kühen – Sennerinnen aus drei Generationen« (Sa., 9.05 Uhr, Ö 1). Klaus Buhlert hat das Hörspiel, »absolute zero!« vorgelegt. Es spielt in einem Studio, in dem entrückte Gestalten Radiosendungen machen, die im Nirgendwo verhallen (DLF 2024, Sa., 20.05 Uhr, DLF; So. 18.30 Uhr, DLF Kultur). Am Sonntagmorgen wird »Der Ursprung des Lebens – Stand heute« durchgenommen, die Max-Planck-Forscherin Martina Preiner klärt auf (8.30 Uhr, SWR Kultur). Ein bis heute ungelöstes Rätsel bleibt, warum der Grünen-Politiker Gert Bastian 1992 erst Petra Kelly und dann sich selbst erschossen hat. Ebenfalls rätselhaft: Warum eine ARD-Anstalt zu diesem Frauenmord ein Hörspiel ausgerechnet bei einer Krimiautorin bestellt: »Tannenbusch« von Sybille Ruge (HR 2024, So., 14.04 Uhr, HR 2 Kultur). Schließlich beginnt am Montag die dreizehnteilige Lesung aus dem Roman »Alles immer wegen damals« der Dresdner Feministin Paula Irmschler, eingesprochen von der Bremer (!) Schauspielerin Birte Schnöink (MDR, HR 2024, Mo., 9.30 und 14.30 Uhr, HR 2 Kultur). So so. Blackfacing ist bei Zonendödelinnen also kein Problem.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
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