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Fegen (2)

Von Helmut Höge
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In einem Moabiter Ballsaal traf ich einmal eine quasi allein tanzende Chinesin mit Blumen im Haar. Sie verdiente ihr Geld als Putzfrau in einem Bioladen. In der Kulturrevolution war sie für drei Jahre aufs Land geschickt worden, wo sie in einer Gemüsebrigade arbeitete. Während der ganzen Zeit hatte sie auf eine Rehabilitation durch ihre Grundeinheit gewartet, die ihr die Rückkehr an die Universität ermöglicht hätte. Die sie jedoch ablehnen wollte, um sich weiter durch die Landarbeit zu »reformieren«. Ich sah ein Foto aus jener Zeit, auf dem sie wie eine stolze Rotgardistin aussieht, die ihren Blick über Rübenfelder bis an den Horizont schweifen lässt. Ihre Rehabilitation kam jedoch nicht, und das stürzte sie fast in Verzweiflung: Sie wollte endlich einmal »Nein!« sagen – aber man gab ihr keine Chance. Als sie dann doch die Produktionskommune verließ, die wenig später schon wie auch alle anderen aufgelöst wurde, war es mehr ein leises Verschwinden – zurück in die Stadt, nach Shanghai. Und ähnlich ging es dann auch weiter, bis nach Berlin: über einen Schwager, der inzwischen in Amsterdam lebte.

Ich fragte sie, wo sie so gut Tanzen gelernt habe. Ich meinte sogar gesehen zu haben, dass sie die Männer vor allem nach ihrem Tanzvermögen taxiert hatte. »Während der Kulturrevolution und auch schon davor wurde in China immer viel getanzt und gesungen«, antwortete sie, und heutzutage laufe dort nichts ohne Karaoke. Da ich nicht besonders gut tanzen und schon gar nicht singen kann, nahm ich an, dass es meine ­China-Begeisterung gewesen war, die sie dazu bewegt hatte, sich mit mir an der Theke noch weiter zu unterhalten. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag in einem China-Restaurant am See. Dort winkte sie allen vorbeifahrenden Touristen auf den Ausflugsschiffen zu, während sie gleichzeitig weiteraß, mit Stäbchen. Ich fragte sie nach dem Essen, warum es im Chinesischen so viele Nautikmetaphern gebe: vom Großen Steuermann angefangen über den Schiffbruch im Sozialen bis zum individuellen Glück, das mit geblähten Segeln umschrieben wird, und der neuen Politik der Geschäftemacherei, die »Ins Meer tauchen« heißt. Sogar in der Literatur über die Verbannung der Intellektuellen aufs Land und zum Fegen heißt es zum Beispiel von einem solchen, den Gu Hua schilderte, er habe morgens auf der Straße »seinen Besen geschwungen, als ruderte er auf einer Bühne im Boot«.

Das sei ihr noch gar nicht aufgefallen, wahrscheinlich weil in Shanghai als Hafenstadt immer schon alles Intime zugleich auch maritim gewesen sei, überdies sei ihr Vater bei der Marine gewesen. Und selbst während ihrer Landverschickung, fügte sie hinzu, habe sie ständig mit Wasser zu tun gehabt: Entweder bekamen die Gemüsepflanzen nicht genug, dann mussten sie Brunnen graben, oder sie bekamen zuviel, dann mussten Entwässerungsgräben angelegt werden. Ich erzählte ihr daraufhin, dass in der Endphase der Kulturrevolution ein Neuköllner Maoist namens Thomas Kapielski einmal eine Landverschickung von Künstlern aus Westberlin organisiert habe – in die Lüneburger Heide. Viele würden noch heute von diesem Arbeitswochenende auf dem Dorf reden, ebenso einige Bauern dort. Ich selbst habe einmal einen freiwilligen Arbeitseinsatz von 60 Linken bei einer Landkommune in der Wesermarsch organisiert.

Ob ich etwa der Meinung sei, dass die Worte des Großen Vorsitzenden bis hierher wirksam geworden seien, fragte sie mich daraufhin ironisch. »Ja, aber noch wirksamer waren wohl die dadurch in Bewegung geratenen chinesischen Massen, zu denen auch du gehörtest.« Im übrigen habe es auch in Berlin nicht an Mao-Bibeln gemangelt. 1969 hätte zum Beispiel allein die sogenannte Kommune I Tausende Exemplare aus der chinesischen Botschaft in Ostberlin in den Westen geschmuggelt, wo sie dann während einer Vietnam-Demonstration an der Gedächtniskirche umsonst verteilt wurden.

Und in Ostberlin ließ eine ebenfalls maoistisch inspirierte Kommune ihren individuellen Solibeitrag für Vietnam nicht mehr vom Stipendienkonto abbuchen, sondern ging als Kollektiv in die Fabrik, zu Narva, um anschließend vom Gehalt ein Fahrrad zu kaufen, das sie der Botschaft der Demokratischen Republik Vietnam übergaben. Auch sei dort genauso antirevisionistisch die Überwindung bürgerlicher Verhaltensweisen sowie die Aufhebung der Trennung von Hand- und Kopfarbeit diskutiert worden. Es gab sogar einen Abwaschplan. Das sei ja gerade das Merkwürdige, fügte ich hinzu, dass wir vielleicht seit der Kulturrevolution von Beijing ferngesteuert werden – bis hin zu Deng und seiner Modernisierungsparole »Bereichert euch!«.

»Mit dem kleinen Unterschied, dass uns die Mao-Zedong-Ideen eingehämmert wurden, während ihr sie heimlich unter der Bettdecke studiert habt«, sagte sie. »Würdest du noch einmal eine Wandzeitung aufhängen?« fragte ich sie schon fast verschwörerisch. »Nein«, antwortete sie, »ich bin doch eine moderne Frau, heute würde ich meine Angriffe ins Netz stellen. Und das mache ich auch.« Ich war enttäuscht: Wie konnte man sich nur so leicht von den großen Schriftzeichen verabschieden, von Pinsel und Tusche? »Und mit Besen arbeite ich auch nicht mehr, ich hab’ nur noch einen Staubsauger und einen Handfeger«, fügte sie hinzu.

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