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Aus: Ausgabe vom 10.09.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Tariftreuegesetz und Mindestlohn

Oben soll’s ohne gehen

Staat soll auf Tarifflucht verzichten. Arbeitsministerium legt Entwurf für Tariftreuegesetz vor und spricht sich für höheren Mindestlohn aus
Von Gudrun Giese
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Auch mit Tarifvertrag nur Löhne knapp über dem Mindestlohn: Friseurhandwerk

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat zwei Vorschläge eingebracht, die den Beschäftigten in der BRD zugutekämen – vorausgesetzt, dass sie umgesetzt werden. Zum einen hat er nach jahrelangen Ankündigungen den Entwurf für ein bundesweites Tariftreuegesetz am Montag im Bundeskabinett vorgelegt. Zum anderen schlug er der »Mindestlohnkommission« vor, den Satz für den gesetzlichen Mindestlohn 2026 auf mehr als 15 Euro zu erhöhen.

Nach Reuters-Informationen will Heil tarifgebundene Unternehmen im Wettbewerb um staatliche Aufträge künftig bevorzugen. Bisher hätten sie oft das Nachsehen bei Ausschreibungen, weil sie wegen der höheren Tariflöhne auch mit ihren Preisangeboten über der Konkurrenz lägen. In einem 56seitigen Referentenentwurf für das Bundestariftreuegesetz heißt es, dass Unternehmen den Beschäftigten künftig »tarifvertragliche Arbeitsbedingungen gewähren müssen«, wenn sie »öffentliche Aufträge und Konzessionen des Bundes ausführen«. Auf diese Weise möchte das Arbeitsministerium die seit Jahren schwindende Tarifbindung fördern.

Zudem sollen laut dem Entwurf auch die Zugangsrechte der Gewerkschaften zu den Betrieben gestärkt werden. Damit reagiert Heil auch auf Blockaden ausländischer Firmen, die sich zum Teil seit Jahren dagegen wehren, dass in der Bundesrepublik Gewerkschaften und Unternehmensverbände Tarifverträge aushandeln. Der US-amerikanische Onlinehändler Amazon verweigert etwa Verdi seit gut zehn Jahren entsprechende Verhandlungen. Und der US-Elektroautomobilhersteller Tesla stellte sich lange gegen gewerkschaftliche Betriebsräte.

Wenig Chancen auf Umsetzung hat vermutlich der zweite Vorschlag Heils, den gesetzlichen Mindestlohn ab 2026 auf mehr als 15 Euro pro Stunde zu erhöhen. In einem Schreiben an die aus Gewerkschafts- und Unternehmensvertretern bestehende »Mindestlohnkommission« hatte der Minister diese deutliche Erhöhung mit den Vorgaben der EU-Mindestlohnrichtlinie begründet. Die sieht eine Mindestlohnuntergrenze von sechzig Prozent eines mittleren Lohnes im entsprechenden EU-Land vor. Außerdem stellte Heil in seinem Brief an die Kommission klar, dass für die Ermittlung die Löhne von Vollzeitbeschäftigten heranzuziehen seien.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kommt in einer aktuellen Berechnung so auf einen Stundensatz von 15,27 Euro, meldete Reuters. Das wäre ein erheblicher Anstieg, denn derzeit beträgt der Mindestlohn 12,41 Euro, im kommenden Jahr wird er auf 12,82 Euro steigen. Bis Mitte 2025 soll die »Mindestlohnkommission« die gesetzliche Lohnuntergrenze für 2026 festgelegt haben. Ob es jedoch dazu kommen wird, gilt als fraglich, da sich die beiden Lager in der Kommission im Sommer 2023 wegen der aus Gewerkschaftssicht viel zu geringen Erhöhungen des Mindestlohns für 2024 und 2025 zerstritten hatten.

Unmittelbar nach Bekanntwerden des Ministervorschlages zur Mindestlohnhöhe ab 2026 kam heftige Kritik aus dem kapitalnahen Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW). »Die Mindestlohnkommission kann man sich sparen, wenn ständig die Politik von der Seite reingrätscht«, sagte IW-Tarifexperte Hagen Lesch gegenüber Reuters. So »pfusche« man den Tarifparteien »ins Geschäft«, was er als »Wahlkampf und Stimmenfang« bewertete.

Die Einmischung der Politik könne am Ende dazu führen, dass in Bereichen wie dem Friseurgewerbe oder dem Bäckerhandwerk die Bereitschaft schwinde, über Tarifverträge zu verhandeln. Es gebe damit letztlich eine staatliche Lohnfestsetzung, von der er nichts halte, so Lesch. Dabei überging er geflissentlich, dass erst die massenhafte Flucht von Unternehmen aus der Tarifbindung die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns erforderlich gemacht hatte. Bis zum Jahr 2000 waren noch viele Betriebe tarifgebunden. Seitdem hält der Exodus an. Dumpinglöhne wurden alltäglich. Erst die Mindestlöhne stoppten den Trend ein wenig.

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