Kampf um La Paz
Von Volker HermsdorfEs hat schon fast Tradition in Bolivien: Am Dienstag begannen Anhänger des ehemaligen Präsidenten Evo Morales (2006–2019) mit einem Marsch von der Stadt Caracollo in der Andenregion Oruro nach La Paz, dem Regierungssitz. Am ersten Tag schlossen sich örtlichen Medien zufolge bereits Hunderte von Bergarbeitern, Bauern, Arbeitern und Indigenen dem Zug auf der 187 Kilometer langen Strecke an. Laut den Teilnehmern geht es ihnen um die »Rettung des Vaterlandes« angesichts von Problemen wie dem Mangel an Fremdwährung – die Zentralbank hatte im vergangenen Jahr fast keine Devisenreserven mehr, so dass die Bindung des Peso an den Dollar praktisch zusammenbrach – und Treibstoff und den steigenden Kosten für einige Grundprodukte.
Verantwortlich dafür machen sie die Regierung von Luis Arce. Die wirft wiederum Morales vor, einen »Staatsstreich« anzuzetteln, um seine Kandidatur für die Wahlen im Jahr 2025 durchzusetzen. Nach ersten Zusammenstößen zwischen »Evistas« und »Arcistas«, die den Marsch am Dienstag nachmittag in der Stadt Vila Vila, an der Autobahn Oruro–La Paz aufhalten wollten, registrierten die Behörden mindestens 26 Verletzte.
Beide Kontrahenten und die meisten ihrer jeweiligen Anhänger gehören der rund eine Million Mitglieder zählenden Regierungspartei »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) an. Während Arce eher pragmatisch auftritt, steht Morales für einen kompromisslosen antikolonialistischen und antiimperialistischen Kurs und gilt als erbitterter Gegner des Westens. Ihr Konflikt um die Präsidentschaftskandidatur spaltet auch die sozialen Bewegungen und Gewerkschaften, die die Basis und das Rückgrat der MAS-Bewegung bilden. »Am 3. September haben wir eine Liste mit wirtschaftlichen Forderungen vorgelegt, die Frist lief bis zum 15. September. Da es keinen Aufruf zum Dialog gab, mobilisieren wir jetzt für unsere Ziele«, erklärte Morales auf einer Pressekonferenz vor Beginn des Marsches.
Nach Ablauf der Frist hatte sich Arce dann am Sonntag abend zum ersten Mal in einer Fernsehbotschaft direkt an Morales gewandt. Er beschuldigte ihn, zu Blockaden und Demonstrationen aufzurufen, um seine Amtszeit zu verkürzen. »Evo Morales, heute wende ich mich direkt an Sie, aus Verantwortung gegenüber dem Volk. Die landesweiten Straßenblockaden sind nicht für die Demokratie oder die Wirtschaft, sondern für Ihre Kandidatur, die Sie auf Biegen und Brechen durchsetzen wollen«, sagte Arce, der während Morales’ 14jähriger Präsidentschaft lange Zeit sein Wirtschaftsminister war.
Ponciano Santos, der Vorsitzende der mächtigen Bauerngewerkschaft »Confederación Sindical Única de Trabajadores Campesinos de Bolivia« beschuldigt Arce jetzt, ein »Verräter« und eine »Marionette des Imperiums« zu sein. Er kündigte an, Ende des Monats landesweite Straßenblockaden zu organisieren, wenn die Demonstranten in den sieben Tagen des Marsches nach La Paz nicht zu Verhandlungen über ihre Forderungen eingeladen werden. Morales ergänzte, dass »das Volk sich mobilisiert, wenn es Ungerechtigkeit und Ungleichheit gibt«. Bei dem Marsch gehe es um die »Rettung Boliviens für zukünftige Generationen«, sagte er. Arces Regierungsminister Eduardo del Castillo reagierte scharf auf die Ankündigungen. »Wir prangern vor der internationalen Gemeinschaft an, dass Evo Morales vom Opfer eines Staatsstreichs zum bekennenden Putschisten geworden ist.« Zur Abwehr der »destabilisierenden Aktionen« werde die Regierung »alle rechtlichen Mittel einsetzen, um mit der vollen Kraft des Gesetzes zu handeln«, erklärte der Minister.
Eine Eskalation des Konfliktes könnte einen erneuten Wahlsieg der MAS im kommenden Jahr ernsthaft gefährde. Im Oktober 2020 hatte die Partei noch 55,1 Prozent der Stimmen erhalten. »Die Menschen werden sie an der Wahlurne abstrafen«, zitierte der rechtslastige Fernsehsender Unitel am Dienstag genüsslich den Politologen Marcelo Silva. »Der Ausgang dieses Machtkampfes wird auch aus Europa interessiert verfolgt«, kommentierte das ZDF bereits im März. Schließlich verfügt Bolivien mit rund 21 Millionen Tonnen über die größten Lithiumvorkommen der Welt. Bei deren Abbau und Verarbeitung kooperiert das Land derzeit vor allem mit Russland und China, während die USA und die EU das Nachsehen haben.
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