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Aus: Ausgabe vom 19.09.2024, Seite 7 / Ausland
Ceuta

Marokko hat das Sagen

Ceuta: Militär drängt Hunderte Jugendliche gewaltsam an Grenze zu spanischer Exklave zurück
Von Carmela Negrete
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Javier Ortega Smith von der rechten spanischen Vox-Partei bei einer Besichtigung der Grenze von Ceuta (15.9.2024)

Es waren Hunderte Jugendliche – vor allem aus der marokkanischen Stadt Fnideq –, die am Sonntag schwimmend versucht haben, die angrenzende spanische Exklave Ceuta zu erreichen. Dabei ertrank wahrscheinlich ein junger Mann, dessen Leiche auf der marokkanischen Seite an die Küste gespült wurde. Etliche Hunderte versuchten zudem, auf dem Festland über den Zaun von Ceuta zu klettern. Schon zuvor hatten die Streitkräfte des nordafrikanischen Landes viele Jugendliche in den umliegenden Bergen abgefangen und verhaftet. Insgesamt waren rund 400 Flüchtende beteiligt, auch aus anderen afrikanischen Ländern. Die spanische Presse stellte das als Novum dar, ebenso wie die Tatsache, dass es zum ersten Mal einen öffentlichen Aufruf in den sozialen Netzwerken gegeben hatte, in großer Gruppe die Grenze zu überwinden.

Laut der spanischen Nachrichtenagentur Efe waren bereits »seit Tagen« weitere Jugendliche verhaftet und in Busse gesteckt worden, um sie in andere Städte zu bringen. Sie waren demnach gekommen, um an der Massenüberquerung teilzunehmen. Zuletzt hatten Ende August rund 1.500 Menschen versucht, gemeinsam über den Grenzzaun zu klettern.

Im Fall der marokkanischen Jugendlichen soll es sich vor allem um junge Arbeitslose handeln. Rund 35 Prozent der Menschen zwischen 18 und 25 Jahren haben in Marokko kein Einkommen. Minderjährige in Spanien dürfen nicht einfach abgeschoben oder durch Pushbacks zurückgeschickt werden. Das weckt bei vielen Verzweifelten die Hoffnung, dass sie in ein Heim für unbegleitete Minderjährige kommen und so die Chance erhalten, in Spanien Fuß zu fassen.

In der öffentlichen Diskussion wird spekuliert, dass Marokko durch den Einsatz des Militärs gegen die Jugendlichen Stärke zeigen wollte. Und zwar wohl auch, um Druck auf die spanische Regierung auszuüben. Nach dem Motto: Seht her, wir halten euch die Geflüchteten vom Leib, solange ihr eure Haltung zum Westsaharakonflikt beibehaltet. Wenn nicht, können unsere Beamten auch ein Auge zudrücken und die Jugendlichen ins Land lassen. Beweise dafür gibt es natürlich keine.

Ob gewollt oder nicht, die Wirkung ist dieselbe: Marokko hat das Sagen, solange Spanien und die EU keine legalen Möglichkeiten für die Einreise ermöglichen. »Marokko kontrolliert die externe Sicherheit von Ceuta«, erklärte auch der spanische Journalist Ignacio Cembrero gegenüber dem öffentlichen Radiosender RNE. »Das wussten wir bereits, aber es wurde nun durch den Einsatz von rund 7.000 Soldaten offensichtlich.« Er wies darauf hin, dass ohne Marokko »Hunderte oder Tausende Jugendliche in dieser Stadt angekommen wären«.

Dass legalen Möglichkeiten für Asyl- und Arbeitssuchende in Spanien praktisch nicht vorhanden sind, zeigt das Beispiel eines jungen Aktivisten aus der Westsahara, Abdelsalem Abdullah Khalifa. Vor zwei Wochen reiste der 29jährige von Casablanca nach Madrid, wo er Asyl beantragte. Er gab an, wegen seines politischen Engagements in Marokko verhaftet und gefoltert worden zu sein – ein klassischer Asylgrund, zumal Spanien historische Verpflichtungen gegenüber der ehemaligen Kolonie Westsahara hat. Doch das sozialdemokratisch geführte Innenministerium gewährte ihm keinen Schutz. In der vergangenen Woche wurde er nach sechs Tagen am Flughafen Barajas schließlich abgeschoben.

Besonders dramatisch ist der Fall von Rbab al-Tarad Yahi und ihrem Ehemann, die in Madrid mit ihrer anderthalbjährigen Tochter auf Asyl warteten. Nach drei Tagen in den Räumen der Migrationsbehörde erlitt sie dort eine Fehlgeburt. Auch der 30jährige Sahraui Hammou Ali muss um seinen Asylantrag in den überfüllten Räumen der Migrationsbehörde am Madrider Flughafen bangen, obwohl er taub und an Krebs erkrankt ist. Am Montag wurde sein Antrag abgelehnt, und er wird womöglich bald abgeschoben.

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