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Aus: Ausgabe vom 19.09.2024, Seite 10 / Feuilleton
Kino

Die Ambivalenz der Schönheit

In Coralie Fargeats Body-Horror-Film »The Substance« spritzt Demi Moore ihr falsches Leben nicht richtiger
Von Norman Philippen
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Der Film ihres Lebens: Demi Moore (als Elisabeth Sparkle)

Ein glänzender Stern auf Hollywoods Walk of Fame zementiert auch Elisabeth Sparkles Erfolgszenit. Aus distanzierter Vogelperspektive wird die Party zum Event, nicht aber die Erfolgsgeschichte der Schauspielerin gezeigt. Die scheint auch nicht weiter relevant. Denn die Zeit vertickt als künstliche Feindin weiblichen Startums zu rasch und unwiederbringlich, macht aus sexy Sternchen im Nu störenden Sternenstaub, der auf dem Hollywoodboulevard nur noch Stirnrunzeln verursacht – Elisabeth Sparkle? Wer war das noch mal? Sparkles Glanzstern wird matt, mit Ketchup und Eis beschmiert, bekommt Risse, gerät in Vergessenheit.

Zu diesem Zeitpunkt ist Sparkle (Demi Moore) mit 50 bereits in einem biblischen Hollwoodfrauenalter. Reichlich abgefrühstückt, taugt sie gerade noch zum Host einer täglichen, übersexualisierten Aerobicsendung im Frühstücksfernsehen, die – und eins und zwei … – wacker von ihr weggelächelt wird. Bis, die Botoxfresse voll mit Shrimps, Senderboss Harvey (Dennis Quaid) sie feuert. Von Elisabeth ist da nicht mehr als ihr angedeuteter einstiger Ruhm bekannt, dessen Verlust ihr Luxusapartment kaum aufwiegen kann, in dem sie per Anruf und Mail ein Angebot bekommt, das sie nicht ablehnen kann: Eine undurchsichtige Firma bietet eine Spritze an, die ewige Jugend und Schönheit verspricht. Da muss Elisabeth nicht lange überlegen und bestellt das ominöse Beautykit.

Der Body-Horror nimmt seinen Lauf, als sie »The Substance« injiziert und spornstreichs eine »bessere«, da jüngere Version ihrer selbst durchs verlorene Rückgrat gebiert, die sich Sue (Margaret Qualley) nennt und – und drei und vier – aus der Aerobicsendung einen Quotenrenner macht. Sue, so der diabolische Deal, muss nach Ablauf exakt einer Woche ihr Bewusstsein – durch eine eiternde Wunde – zurück in Elisabeths Körper spritzen. Und umgekehrt. Geschieht das mit Verzögerung oder gar nicht, zahlen beide einen hohen Preis, altert der Wirtskörper zeitraffend, sind beide am Ende tot. Welches Hollywoodsternchen aber verzichtet zugunsten einer anderen Person auf seinen Ruhm? Würden Sie? Sue und Elisabeth wollen auch nicht.

Nicht zu Unrecht wird »The Sub­stance« von der Filmkritik international gefeiert. Springt des Films nicht neue Kritik an doppelten Standards weiblichen Hollywoodruhms zwar mühelos durch geschlossenste Augen, wird das zugrundeliegende Problem oktroyierter/zur Schau gestellter Sexyness gleichwohl subtil durchgespielt. Davon abgesehen, dass Demi Moore gemäß geltenden Standards als »schön« wohl zu gelten hat und von Margaret Qualley schwer anderes behauptet werden kann, wirkt die Schönheit beider noch in jeder Einstellung ihrer selbst beraubt, ist verführerischer nicht als eine Animierdame auf der Reeperbahn und nicht echter als ein KI-generierter Porno.

In Zeiten, da Abnehmwillige Typ 2-Diabetes-Erkrankten ihre Ozempic-Spritzen wegkaufen und urbane Lifestyler auf Vitamininfusionsbars setzen, wirkt das gebotene Filmversprechen durchaus einleuchtend und verführerisch einlösbar. Und Moore, von der man vielleicht zu wissen glaubt, sie habe sich für ihre Titelrolle in »Striptease« (1997) zwei Rippen entfernen lassen, ist hier bestens besetzt. Brachte die Rolle ihr doch den Karriereknick, der erst jetzt durch »The Substance« ausgebügelt wird.

Für Moore könnte es der Film ihres Lebens werden. So wie sich für Cineasten die Erkenntnis einstellen könnte, dass Regisseurin Coralie Fargeat in Sachen Body-Horror dem ollen David Cronenberg mindestens ästhetisch einiges voraus hat. Vielleicht nicht nur, weil sie ihn mit »The Substance« gut beerbt, sondern als Frau auch besser weiß als er, dass, was schön ist, nicht so bleiben kann. Nicht zuletzt, weil sie, wie das Marx ausdrückte, »die der kapitalistischen Produktionsweise eigentümliche, und aus ihrem Wesen entspringende fetischistische Anschauung, welche ökonomische Formbestimmtheiten, wie Ware zu sein, produktive Arbeit zu sein etc., als den stofflichen Trägern dieser Formbestimmtheiten oder Kategorien an und für sich zukommende Eigenschaft betrachtet.« Eine Eigenschaft, die zum Filmfinale stimmig befremdlich zerbröselt. Und das immerhin ist ja schon mal etwas von Substanz und daher – nicht nur deshalb – sehr sehenswert.

»The Substance«, Regie: Coralie Fargeat, USA/GB/Frankreich 2024, 140 Min., Kinostart: heute

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