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Aus: Ausgabe vom 19.09.2024, Seite 12 / Thema
Literaturgeschichte

Dramatiker der Revolution

Anlässlich des 60. Todestags des irischen Sozialisten und Schriftstellers Seán O’Casey
Von Jenny Farrell
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Seine Stücke sollten ihren Teil zur Emanzipation der irischen wie der arbeitenden Bevölkerung überhaupt beitragen und die notwendigen Kräfte mobilisieren helfen, um eine menschengemäße Gesellschaft zu schaffen (Seán O’Casey und die Schauspielerin Siobhán McKenna, März 1953)

Der Ire Seán O’Casey, ein in der DDR sehr bekannter und viel gespielter Bühnenautor, war der erste aus dem Proletariat hervorgegangene englisch schreibende Dramatiker von Weltrang. O’Casey war nicht nur ein talentierter Theatermann, sondern auch ein engagierter politischer Aktivist, dessen Stücke von einer klaren politischen Perspektive geprägt sind. Diese Perspektive bildet nicht nur den Hintergrund seiner Werke, sondern zielt ins Zentrum seines Schaffens und ist entscheidend für das Verständnis seiner Dramen.

Bevor er sich dem Schreiben widmete, war O’Casey intensiv in die nationalen und klassenpolitischen Kämpfe in Irland involviert – als Verfechter der irischsprachigen Kultur, als militanter Gewerkschafter und als sozialistischer Aktivist. Während Politik O’Caseys Leben bestimmte, wurde das künstlerische Handwerk des Schreibens jedoch ebenso wichtig für ihn. Als junger Mann las er die Werke Shakespeares und des irisch-US-amerikanischen Dramatikers Dion Boucicault. Prägend war auch sein Dubliner Landsmann ­Bernard Shaw, von dem er das Verständnis für den Zusammenhang von Drama und Politik übernahm. Zunächst waren es die ausführlichen Begleittexte Shaws zu seinen Dramen, die O’Casey interessierten, später die Stücke selbst. Shaws Verbindung von Scharfsinn und kreativem Witz wurde zu einem Markenzeichen von O’Caseys eigenem Schreiben. Shaw hatte sich 1913 auf die Seite der ausgesperrten Dubliner Arbeiter gestellt und sprach sich 1916 gegen die Hinrichtungen der Anführer des Osteraufstandes aus. O’Casey erklärte später, dass es Shaw und der Gewerkschaftsführer James Larkin waren, die ihn mehr als jeder andere Einfluss nach links bewegten.

In Irland fremd

Trotz seines produktiven Schaffens ist O’Casey in Irland und der englischsprachigen Welt fast ausschließlich für seine Dubliner Trilogie bekannt: »Der Schatten eines Rebellen« (»The Shadow of a Gunman«), »Juno und der Pfau« (»Juno and the Paycock«) und »Der Pflug und die Sterne« (»The Plough and the Stars«). Diese Stücke stießen mit ihrer Analyse der Arbeiterklasse als politisch unreif auf die feindselige Aufnahme durch die irischen Revolutionäre. Das traf vor allem auf das 1926 aufgeführte Drama »Der Pflug und die Sterne« zu. Die Ablehnung von »Der Preispokal« (»The Silver Tassie«) durch den irischen Literaturnobelpreisträger William Butler Yeats tat das ihrige, und obwohl O’Caseys Stücke das neue irische Nationaltheater The Abbey zu Beginn der 1920er Jahre vor dem finanziellen Ruin bewahrt hatten, verließ der Dramatiker Irland für immer und zog nach England.

Das Establishment nahm O’Casey die Themen seiner Stücke übel, deren offene und satirische Darstellung der Beziehung zwischen Kirche und Staat im irischen Freistaat in »Kikeriki« (»Cock-a-Doodle Dandy«) oder »Das Freudenfeuer für den Bischof« (»The Bishop’s Bonfire«), die Behandlung der Wirtschaftskrise von 1929 in »Der Park« (»Within the Gates«), seine Unterstützung für die Spanische Republik in »Der Stern wird rot« (»The Star Turns Red«), generell seine Erkundung der Beziehung zwischen Kirche und Faschismus – all das war dem irischen Bürgertum ein Greuel. Es wandte sich von O’Casey ab, und trotz gelegentlicher Aufführungen anderer Stücke als der Dubliner Trilogie, wie etwa der gefeierten Inszenierung von »Pater Neds Trommeln« (»The Drums of Father Ned«) im Dubliner Gaiety Theatre 1955, wurden und werden diese späteren Stücke in Irland fast nie aufgeführt.

Das steht im krassen Gegensatz zu den sozialistischen Ländern. In der UdSSR erschien die erste Bibliographie seines Werks (1964) und O’Caseys Stücke wurden oft inszeniert. Bereits 1925 stand der Dramatiker über die sowjetische Gesandte Raissa Lomonossowa in Kontakt mit dem sowjetischen Kulturestablishment und lernte auch den sowjetischen Filmemacher Sergei Eisenstein kennen, den er bewunderte. O’Caseys Unterstützung für die Sowjetunion verstärkte sich während des Zweiten Weltkriegs. Seine Stücke wurden dort nicht nur in den großen Theatern, sondern auch von Laienspielgruppen im ganzen Land aufgeführt.

Auch in Deutschland kannten die Theater O’Casey bereits 1931. Nach 1945 wurden seine Dramen in beiden deutschen Staaten gespielt. In der Bundesrepublik kam es trotz des Einsatzes von Peter Zadek 1953 zu Unruhen während der Aufführung von »Der Preispokal«, und 1968 randalierte das Publikum bei »Der Stern wird rot« und verließ das Theater.¹ In der DDR hingegen fand O’Casey im Berliner Ensemble und im Deutschen Theater freundliche Aufnahme. Auch zahlreiche weitere Theater in der ganzen Republik spielten seine Stücke. »Purpurstaub« (»Purple Dust«) lief sage und schreibe zwölf Jahre lang im Repertoire des Berliner Ensembles. O’Casey gehörte zu den am meisten aufgeführten westlichen Dramatikern in der DDR.

Der Beitrag der Kunst

Auch nach seiner Übersiedlung nach England blieb O’Casey weiterhin politisch aktiv. So arbeitete er etwa eng mit dem Londoner Arbeitertheater Unity Theatre zusammen, war in den späten 1930er Jahren mit der Zeitung der Kommunistischen Partei Großbritanniens, dem Daily Worker, Vorläufer des Morning Star, verbunden, erklärte sich solidarisch mit der Spanischen Republik und der Sowjetunion oder rief in den frühen 1950er Jahren zur Unterstützung des »Stockholmer Appells« des Weltfriedensrats zur Ächtung der Atombombe auf.

Wie für Brecht und andere kommunistische Dramatiker war das Theater für O’Casey kein Ort der bloßen Unterhaltung oder des Eskapismus. Seine Stücke sollten ihren Teil zur Emanzipation der irischen und der arbeitenden Bevölkerung insgesamt beitragen und die notwendigen Kräfte mobilisieren helfen, um eine wahrhaft menschengemäße Gesellschaft zu schaffen. Dies gelang O’Casey, ohne dass seine Dramen dadurch an künstlerischem Wert verloren hätten.

Brecht schuf mit dem epischen Theater eine innovative Theaterästhetik, die sich aufs beste mit seinen revolutionären politischen Ansichten verbinden ließ und bald zu weltweitem Einfluss gelangte. Brechts Praxis, das Publikum durch Verfremdung, also Distanzierung, zum kritischen Nachdenken zu bringen, sicherte ihm einen festen Platz in der Welt des Theaters. Im Gegensatz dazu blieb O’Caseys Einfluss relativ begrenzt. Auch sind O’Caseys Dramen im Vergleich zu denen Brechts stärker national gebunden. Seine Werke reflektieren die spezifischen sozialen und politischen Kämpfe des irischen Volkes, insbesondere der Arbeiterklasse, und sind durchdrungen von einem tiefen Verständnis der irischen Identität. Doch ist O’Caseys Fähigkeit, auch die großen allgemeinen Fragen in seine Dramen zu integrieren, ein wesentlicher Grund für die andauernde Bedeutung seiner Werke. Während seine Stücke fest in den sozialen und politischen Realitäten des Irlands seiner Zeit verwurzelt sind, sprechen die ihnen zugrundeliegenden Ideen – wie der Kampf gegen Unterdrückung, die Suche nach sozialer Gerechtigkeit und das Streben nach menschlicher Würde – universelle menschliche Erfahrungen an.

O’Casey maß dem geschriebenen Wort in seinen Dramen grundlegende Bedeutung bei. Er war überzeugt, dass der Text, so wie er vom Dramatiker verfasst wurde, das zentrale Element jeder Theateraufführung darstellt und nicht als beliebiges Rohmaterial angesehen werden dürfe, das nach Gutdünken des Regisseurs verändert werden kann. Der Text war für ihn das Fundament, auf dem die gesamte theatralische Umsetzung basiert, und er sah die Aufgabe der Inszenierung darin, den im Text enthaltenen künstlerischen Gehalt möglichst genau und wirkungsvoll umzusetzen. Diese Position wird durch seine zahlreichen detaillierten Regieanweisungen zusätzlich unterstrichen. Sie sind Ausweis der klaren Vorstellungen des Dramatikers, wie bestimmte Szenen, Dialoge und Figuren wirken sollen. Dementsprechend stellte sich O’Casey gegen willkürliche Eingriffe und Neuinterpretationen.

Entfesselung der Phantasie

In seinen frühen Werken, insbesondere in der Dubliner Trilogie, ist O’Caseys Realismus noch deutlich traditionell ausgeprägt. Später jedoch begann er seinen Stil weiterzuentwickeln und mit ästhetischen Mitteln der künstlerischen Moderne zu experimentieren. Beispiele hierfür finden sich in Stücken wie »Der Preispokal«, »Kikeriki« oder »Rote Rosen für mich«, in denen O’Casey komplexe symbolische Bilder und phantastische Szenarien verwendet, um die Wirklichkeit zu erkunden. Damit erfahren seine späteren Werke eine Erweiterung und Vertiefung der künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten, ohne ihren Realitätsbezug einzubüßen.

Eines von O’Caseys schaffensbegleitenden Themen ist die Frage nach der Revolution. Während er in den frühen Dubliner Stücken die umstrittene Ansicht vertrat, dass die irische Arbeiterklasse – vor allem nach dem Verlust ihrer Führung per Hinrichtung durch die britische Kolonialmacht im Jahr 1916 – bislang nicht reif für revolutionären Wandel gewesen sei, erforscht er in seinen späteren Werken das Potential für eben diesen Wandel. In diesem Zusammenhang lohnt ein Blick auf sein vorletztes Drama »Figur in der Nacht« (»Figuro in the Night«) aus dem Jahr 1961.

Der Koreakrieg war zu Ende, Vietnam stand am Rande eines Krieges, die nationalen Befreiungsbewegungen in Afrika erhoben ihr Haupt, und Kuba hatte sich 1959 durch eine Revolution befreit. Die Dystopien von Aldous Huxleys »Brave New World« (1932) und George Orwells »Animal Farm« (1945) und »1984« (1949) hatten die Revolution negativ dargestellt. O’Casey vertrat die gegenteilige Ansicht. Der thematische Schwerpunkt des Stücks liegt auf Revolution und Befreiung. Es spielt in einem neuen Vorort von Dublin, der von zwei Denkmälern flankiert wird, eines zum Gedenken an die gefallenen Iren, die im Ersten Weltkrieg in der britischen Armee dienten, das andere zu Ehren derer, die für die Befreiung Irlands starben. Beide Denkmäler ehren das Sterben. Die Aufstellung einer dritten Skulptur, einer »Manneken Pis«-Statue im Stadtzentrum, bringt nun das Totengedenken durcheinander. Die fröhliche Figur sorgt für Wirbel. Bei O’Casey wird sie zum Symbol für einen revolutionären Aufstand, bei dem das Volk – insbesondere die Jugend – die alte Ordnung in einer freudigen, nahezu karnevalesken Weise stürzt. Der Dramatiker nutzt diese Figur, um die Freude an den Funktionen des menschlichen Körpers und die Lebenslust darzustellen und auf die zentrale Bedeutung von Vitalität und Erneuerung für Revolution und Befreiung hinzuweisen. Er konzentriert sich somit auf die menschliche Dimension der Revolution und betont die Befreiung und Wiedereingliederung in die Natur des Menschen. Diese revolutionäre Vision entsteht als notwendiges Gegenmittel zur Verzweiflung und Lebensverneinung der zeitgenössischen Welt.

»Figur in der Nacht« nutzt Phantasie und das Phantastische, um einen Moment der vollständigen sozialen Umwälzung darzustellen, in dem die Regeln der Gesellschaft auf den Kopf gestellt werden und die schöpferische Phantasie der Massen freigelegt wird. Die Spannung des Stücks liegt im Konflikt zwischen unterdrückten menschlichen Bedürfnissen und den hemmenden Kräften eines falschen Bewusstseins, wobei erstere schließlich letztere unterwandern.

Der Aufstand der vermenschlichten Sinne, insbesondere der Sinnlichkeit, steht also im Zentrum von O’Caseys Darstellung menschlicher Befreiung. Diese Sinnlichkeit, die sich im Laufe der Geschichte entwickelt, bildet den Kern der Menschlichkeit, der nicht einfach so von restriktiven moralischen Zwängen unterdrückt werden kann. O’Casey verwendet Sexualität als vielschichtiges Symbol für die umfassendere, tief verwurzelte Befreiung der Menschheit, ohne sie als das ultimative Ziel zu verabsolutieren. Das sinnliche Verhältnis von Frauen und Männern wird zum Maß für den Fortschritt der Menschheit, wobei das Natürliche und das Menschliche miteinander verflochten sind. Das entspricht auch der Auffassung von Karl Marx: »(D)as Verhältnis des Mannes zum Weib ist das natürlichste Verhältnis des Menschen zum Menschen. In ihm zeigt sich also, in(wie)weit das natürliche Verhalten des Menschen menschlich oder inwieweit das menschliche Wesen ihm zum natürlichen Wesen, inwieweit seine menschliche Natur ihm zur Natur geworden ist.«²

Das Drama untersucht, wie selbst kleine Zeichen des Wandels zu bedeutenden Veränderungen führen können. Die jungen Frauen, speziell ein Mädchen eingangs des Stücks, sind Katalysatoren für diesen Wandel und drücken den neuen Geist auch durch Gesang aus. Damit wird ein Generationenwechsel angedeutet, bei dem die jüngere Generation sich weigert, die Fehler der älteren zu wiederholen. Ein bekanntes Volkslied mit dem Bild blauer Haarbänder, die ein junger Mann für seine Liebste vom Markt nach Hause bringen soll, durchzieht das Stück leitmotivisch.

Reif für den Umsturz

Die älteren Figuren, dargestellt durch den Alten Mann und die Alte Frau, sind zwar nach außen hin resistent, werden aber gleichfalls von der aufsteigenden Lebenslust beeinflusst. Obwohl ihre Befreiung unvollständig bleibt, zeigt das Stück einen teilweisen Sieg der Sinnlichkeit selbst bei jenen, die am meisten im Alten verhaftet sind. Ihre Rede, die mit Verweisen auf populäre Lieder und Liebesballaden durchsetzt ist, untergräbt subtil ihre vermeintliche Verachtung der Sinnlichkeit, verkörpert ein Wiederaufleben menschlichen Ausdrucks, lehnt sich gegen jegliche Repression auf. O’Casey drückt so durch rhythmische und poetische Sprache diesen Umbruch aus, wobei insbesondere die Alte Frau traditionelle Rollen herausfordert und eine wachsende revolutionäre Perspektive auf den menschlichen Fortschritt präsentiert.

So wird die in dem Stück dargestellte Welt trotz ihrer Degeneration nicht als tot, sondern als reif für eine Revolution dargestellt, mit dem sinnlich-emotionalen Aufstand als Ausgangspunkt für umfassendere Veränderungen. Das Drama legt nahe, dass das Leben voller Potential für Veränderungen steckt, dass es nur des richtigen Funkens bedürfe.

Indem O’Casey die Themen Revolution, Transformation und die Macht der menschlichen Natur darstellt, zeigt er, wie angestaute Energien und unterdrückte menschliche Instinkte entfesselt werden können. O’Casey verwendet Gemeinschaftsfeste oft als Brennpunkte in seinen Stücken. Anders jedoch als bei früheren Festlichkeiten, die oft von unterdrückenden Kräften wie der Kirche oder dem Staat kontrolliert wurden, ist das Fest in »Figur in der Nacht« säkular, in heidnischen Traditionen verwurzelt und repräsentiert einen echten Karneval des Lebens. Die heidnische Tradition der Wassergötterverehrung in Irland, die mit ekstatischen Ritualen in Verbindung steht, wurde später von der katholischen Kirche unterbunden bzw. überschrieben. Hier nun fordert sie ihr Recht zurück, und die Menschen identifizieren sich mit diesem Lebensquell.

Die Revolution verwandelt ein trostloses Vorstadtgebiet in einen blühenden Garten. Sie bedeutet damit auch die Rückkehr der Menschheit in ein neues Eden. Dieses Eden, anders als der biblische Garten Eden, ist eines, das die Menschheit nach der Erfahrung und Überwindung von Härten zurückgewinnt. Es ist ein lebensfroher und vitaler Ort, an dem die Menschheit ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt.

Im Gegensatz zu der in »Der Pflug und die Sterne« dargestellten Welt, in der Revolution als ein fernes Ereignis dargestellt wird, das den Menschen nur Zerstörung und Verzweiflung brächte, zeigt dieses spätere Werk eine Revolution, an der die Menschen aktiv teilnehmen. Diese Revolution bringt mit ihrer Betonung auf Lebenslust eine tiefe und dauerhafte Veränderung in den menschlichen Beziehungen mit sich, ein Thema, das immer wieder bei O’Casey auftritt.

Die älteren Figuren im Stück haben eine verzerrte Wahrnehmung der Realität. Sie sehen die lebendige Transformation der Welt um sie herum als Niedergang, fürchten Veränderung. Doch trotz ihres Widerstands verraten ihre körperlichen Sinne sie, und sie werden unfreiwillig zu Teilnehmern an der Revolution, die sie scheinbar ablehnen. Während die korrupten Journalisten – der Blinde und der Taube – die transformative Kraft der Revolution nicht erfassen können, werden die alten Männer, trotz ihrer Schwächen, letztlich davon berührt.

Chaos wird Ordnung

Die Figur des vogelähnlichen Jungen verkörpert die Vereinigung von Mensch und Natur und dient als Bote, der die lokalen Ereignisse des Stücks mit einem umfassenderen revolutionären Kontext verbindet. Er betont, dass die Revolution nicht auf einen Ort beschränkt ist, sondern sich universell ausbreitet und sogar die höchsten Machtstrukturen – in Person der Bischöfe – erreicht, die nun selbst Liebeslieder singen. Auch das Volksliebeslied, das sowohl gesungen und gesprochen – und auf das symbolisch immer wieder angespielt – wird, erfährt am Ausgang des Dramas ein ganz neues Ende. Das Lied selbst wird weiter gedichtet, und der junge Liebhaber bringt die ersehnten blauen Haarbänder vom Markt für seine Geliebte zurück, und diese lädt ihn in ihr Haus ein.

Das Stück endet mit der Konsolidierung der Revolution. Die ekstatische Energie des ersten Aufstands weicht einer neuen Ordnung, die durch die Figuren, die einen organisierten, majestätischen Tanz ausführen, zum Ausdruck kommt. Diese Transformation von Chaos zu Ordnung spiegelt die Verschmelzung von Disziplin mit der Poesie des Lebens wider und verweist darauf, dass die Revolution eine neue, harmonische soziale Ordnung etabliert hat.

So stellt »Figur in der Nacht« die Revolution in O’Caseys Stück als eine mächtige, transformative Kraft dar, die unterdrückte menschliche Energien befreit, die Gesellschaft revitalisiert und das Paradies zurückerobert. Letztlich bietet das Stück eine hoffnungsvolle Vision menschlicher Erneuerung und der Möglichkeit einer menschengemäßen gesellschaftlichen Ordnung.

Anmerkungen

1 Vgl. Paul O’Brien: Seán O’Casey. Political Activist and Writer. Mit einem Vorwort von Seáns Tochter Shivaun O’Casey, Cork 2023, S. 285

2 Karl Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844, drittes Manuskript, zweites Kapitel. »Privateigentum und Kommunismus«, in: MEW, Bd. 40, S. 533–546

Weiterführende Literatur

Jack Mitchell: The Essential O’Casey. A Study of the Twelve Major Plays of Sean O’Casey, New York 1980

Paul O’Brien: Seán O’Casey. Political Activist and Writer. Mit einem Vorwort von Seáns Tochter Shivaun O’Casey, Cork 2023

Chronologie der O’Casey-Stücke, auf die im Text verwiesen wird

1923: »The Shadow of a Gunman«

1924: »Juno and the Paycock«

1926: »The Plough and the Stars«

1927/28: »The Silver Tassie«

1934: »Within the Gates«

1940: »The Star Turns Red«

1942–1943: »Red Roses for Me«

1940/45: »Purple Dust«

1949: »Cock-a-Doodle Dandy«

1955: »The Bishop‹s Bonfire«

1957/59: »The Drums of Father Ned«

1961: »Figuro in the Night«

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