Kicken mit Dunkelbrille
Von Jens WalterDie Paralympics räumten den Blindenfußballern die prächtige Bühne unter dem Eiffelturm frei, in Deutschland kämpft die Sportart weiter um Aufmerksamkeit. Selbst Nationalspieler müssen Überstunden machen und unbezahlten Urlaub nehmen, um Zeit für Training und Matches zu haben, sagt Bundestrainer Martin Mania vor dem letzten Bundesligaspieltag am 21. September und fordert: »Athleten müssen besser entlastet und unterstützt werden, um mehr trainieren und ihr Land vertreten zu können.«
145.000 blinde und mehr als 500.000 sehbehinderte Menschen leben laut der Blindenfußballbundesliga in Deutschland. Eine von ihnen ist Alisa Rudi. Die 19jährige aus Hamburg spielt seit 2022 Fußball und läuft inzwischen in der Bundesliga für Borussia Dortmund auf. »Einfach mal ein bisschen Energie rauslassen« will die Schülerin, wenn sie dem Ball nachjagt. Auch sie sagt, es brauche mehr Öffentlichkeit für ihren Sport. Es gebe sicherlich mehr Blinde, die gerne spielen würden, wenn sie vom Sport erführen, meint Rudi. »Es gibt andere Länder, da ist es wirklich ein Profisport, da wird man dafür bezahlt, und da trainiert man auch jeden Tag. Aber bei uns ist es eine Freizeitaktivität«, erklärt die Fachabiturientin.
Bundestrainer Mania wünscht sich, dass die Förderung des Nachwuchses weiter ausgebaut wird. Aktuell gebe es nur eine Förderung der Nationalmannschaft und der Bundesliga. Es brauche Trainings- und Wettbewerbsmöglichkeiten, um Kinder und Jugendliche früh zu begeistern und fördern zu können. Hinzu komme, dass es keinen zentralen Trainingsstandort für die Nationalmannschaft gebe.
Das Bundesligafinale in Darmstadt soll auf dem Darmstädter Karolinenplatz stattfinden, um die Breitenwirkung zu erhöhen. Im letzten Spiel des Turniers trifft der amtierende Meister und Tabellenführer SF BG Blista Marburg auf Verfolger FC St. Pauli. Doch wie funktioniert Fußball überhaupt, wenn die Augen nicht mitspielen können?
Pro Mannschaft gibt es einen sehenden Torwart und vier erblindete oder zum Teil erblindete Feldspieler. Damit es fair bleibt, bekommen alle eine Dunkelbrille auf, die das Sehen wirklich komplett ausschaltet. Und dann wird gekickt: Wer sich einem anderen Spieler nähert, muss sich durch ein Ausrufen des spanischen Wortes »Voy« (»Ich komme«) bemerkbar machen.
Damit die Spielenden den rasselnden Ball auch gut hören und sich an ihm orientieren können, muss der Jubel der Zuschauenden allerdings ausbleiben. Jedes Team hat außerdem drei Guides. Einer von ihnen ist der Torwart, ein weiterer steht an der Mittellinie und der letzte hinter dem Tor des gegnerischen Teams. »Der sagt zum Beispiel, wie weit man entfernt ist vom Tor«, erzählt Alisa Rudi.
Das Feld ist 20 mal 40 Meter groß. Ein Spiel dauert 30 Minuten plus zehnminütige Halbzeit. Und noch etwas ist besonders am Blindenfußball: Männer und Frauen spielen gemeinsam, auch wenn die überwiegende Mehrheit der Bundesligaspieler Männer sind.
Zu den Besten unter ihnen gehört der 17 Jahre alte Nationalspieler Emilio Eichler von Blista Marburg. Er ist seit einem Autounfall im Alter von vier Jahren vollständig erblindet und war erst Leistungsschwimmer, bevor er sich vor sieben Jahren für den Fußball entschied. Wie Alisa Rudi kam er über die Schule zum Blindenfußball. Der Abiturient möchte auch mit der Nationalmannschaft hoch hinaus und zu den nächsten Paralympics nach Los Angeles: »Das ist auf jeden Fall das größte Ziel.« Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg. Zunächst müsse das Team Europameister bei der nächsten EM werden oder zumindest unter die Top vier kommen, um sich über die WM zu qualifizieren.
Gar nicht einfach, wenn eine so große Lücke zwischen sich selbst und der Konkurrenz klafft. Die Qualität des Fußballs sei etwa in Brasilien oder Argentinien eine ganz andere als in Deutschland, erzählt Eichler.
Als Geburtsland des Blindenfußballs gilt Spanien, wie Bundestrainer Mania erklärt. Die erste nationale Meisterschaft wurde jedoch in Brasilien gespielt. 1996 wurde der Sport offiziell von der »International Blind Sports Federation« in den Sportkanon aufgenommen. Es folgten die ersten Europa- und später Weltmeisterschaften, berichtet Mania.
In Deutschland ist der Sport erst 2006 so richtig angekommen. Damals fand im Rahmenprogramm der Fußball-WM in Berlin das erste große internationale Turnier im Blindenfußball auf deutschem Boden statt.
Bei den Paralympics gehört Blindenfußball schon seit 2004 zum Programm. In Paris setzte sich im Schatten des Eiffelturms Gastgeber Frankreich im Finale gegen Argentinien durch. Deutschland hatte bei der WM im Vorjahr das Paralympics-Ticket verpasst – in Los Angeles will Emilio Eichler sich 2028 diesen Traum erfüllen.
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