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Aus: Ausgabe vom 24.09.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Niedergang der Linkspartei

Zäsur in der Krise

Vor der »letzten Chance«? Linkspartei fliegt erstmals aus einem ostdeutschen Landtag
Von Nico Popp
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Landes- und Fraktionschef Sebastian Walter am Sonntag auf der Bühne bei der »Wahlparty« der Partei Die Linke in Potsdam

Das Brandenburger Ergebnis der Partei Die Linke ist auch in der langen Abfolge von Pleiten bei Landes- und Bundestagswahlen, auf die die Partei zurückblickt, eine Zäsur. Der Katastrophenfall, der in Sachsen am 1. September noch durch zwei gewonnene Direktmandate knapp vermieden werden konnte, ist nun eingetreten: Erstmals wird die Partei in einem ostdeutschen Bundesland, in dem sie einmal die zweitstärkste politische Kraft war, nicht mehr im Landesparlament vertreten sein. Und sie ist nicht etwa knapp gescheitert, sondern krachend: Die vom Landeswahlleiter errechneten 2,98 Prozent Stimmenanteil machen gegen alle Schönrederei deutlich, dass sich die Partei in einer zugespitzten Existenzkrise befindet.

Die Resultate sind durchweg trostlos. In einer alten Hochburg wie Frankfurt (Oder) kam Die Linke nach einem Absturz um 13,7 Prozentpunkte am Sonntag nur noch auf 3,8 Prozent der Zweitstimmen – nur wenig mehr als Bündnis 90/Die Grünen mit 3,1 Prozent, für die dieser Landstrich aber eben schon immer Diaspora war. In Eisenhüttenstadt stimmten 2,5 Prozent der Wähler für Die Linke, in Schwedt zwei, in Königs Wusterhausen 2,5 Prozent.

Die Hoffnung auf ein Direktmandat im Wahlkreis Märkisch-Oderland II, das wegen der Brandenburger Grundmandatsklausel den Einzug in den Landtag nach Maßgabe des Zweitstimmenergebnisses sichergestellt hätte, erwies sich als gegenstandslos. Die ehemalige Fraktionsvorsitzende Kerstin Kaiser, die in dem Wahlkreis zwischen 1999 und 2014 viermal das Mandat gewonnen hatte und 2016 für die Rosa-Luxemburg-Stiftung als Büroleiterin nach Moskau gegangen war, blieb chancenlos: Mit 9,3 Prozent der Erststimmen lag sie zwar deutlich über dem Zweitstimmenergebnis der Partei im Land, aber eben auch weit abgeschlagen hinter dem AfD-Kandidaten, der mit 33,5 Prozent das Mandat holte.

Der Landesvorsitzende Sebastian Walter, der auch die nun vor der Abwicklung stehende Landtagsfraktion geführt hatte, nannte das Ergebnis am Sonntag abend »desaströs«, unternahm aber gleichzeitig den Versuch, es zumindest zum Teil auf die Polarisierung zwischen SPD und AfD zurückzuführen: Viele Menschen hätten die SPD »nicht aus Überzeugung« gewählt, sondern wegen des »Panikwahlkampfs des Ministerpräsidenten«. Die Bundestagsabgeordnete Kathrin Vogler machte am Montag beim Kurznachrichtendienst X einen »rechten Zeitgeist« für das Debakel verantwortlich: Die Partei habe sich gegen diesen Zeitgeist gestemmt und sei »dafür böse bestraft« worden.

Einige – wenige – andere Akteure sind zumindest jetzt bereit, auch öffentlich eine grundsätzlich problematische Entwicklung der Partei zu konstatieren. Der Bundestagsabgeordnete Victor Perli schrieb bei X, es sei ein »eindeutiges Urteil des Wahljahrs 2024«, dass die Parteiführungen der vergangenen Jahre nicht nur Teile der Partei »vergrault« hätten, »sondern große Teile der ehemaligen Linke-Wählerschaft«. Der Parteitag im Oktober in Halle (Saale) sei die »wohl letzte Chance« für eine Fehlerkorrektur. Ein »Weiter so mit neuen Köpfen« müsse scheitern.

Perli hatte zuvor bereits das Abstimmungsverhalten der Europaabgeordneten Martin Schirdewan und Carola Rackete kritisiert. Rackete hatte unmittelbar vor der Wahl in Brandenburg einer Resolution zugestimmt, in der gefordert wird, »Einschränkungen des Einsatzes westlicher Waffen gegen legitime militärische Ziele im Hoheitsgebiet Russlands unverzüglich aufzuheben« und »Taurus«-Marschflugkörper an Kiew zu liefern. Perli schrieb, er habe »kein Verständnis für linke Parlamentarier, die dem zugestimmt bzw. sich enthalten haben«. Wenige Stunden nach der Schließung der Wahllokale erklärte auch die Bundestagsabgeordnete Susanne Ferschl: »Mehr Geld, mehr Waffen – auch ›Taurus‹, auch auf russischem Territorium, mehr Sanktionen, mehr Kriegspropaganda, um die wachsende Kriegsgefahr zu übertünchen – das ist keine Position, bei der Linke zustimmen oder sich enthalten können.«

Koparteichef Schirdewan sagte am Montag, es sei zu konstatieren, »dass wir im Moment keine ausreichenden Antworten auf die Frage geben können, welche Rolle wir in der Gesellschaft spielen«. Ines Schwerdtner, Kandidatin für den Parteivorsitz, sprach am Montag im Deutschlandfunk von einem »Substanzverlust«. Das Resultat der Wahl in Brandenburg zeige unmissverständlich, dass die Partei die Menschen nicht mehr erreiche.

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