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Aus: Ausgabe vom 27.09.2024, Seite 10 / Feuilleton
Theater

Im Ofen

Das Hamburger Thalia-Theater adaptiert T. C. Boyles »Blue Skies«
Von Eileen Heerdegen
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Hipper Kuschelersatz: Möchtegerninfluencerin Cat (Pauline Rénevier) mit Python

Ein Sohn, ein Haus, ein Baum. Statt des Baums lieber einen Pool, es wird schließlich immer wärmer. Die Häuser teurer, selbst Besserverdiener müssen bauen, wo die letzte Bahn vor 30 Jahren fuhr. Macht nichts, Schnellstraße, zwei Autos, gern SUV, die Zeiten sind wild.

Urlaub in Hurghada, wo die Sonne noch heißer brennt und der Pool größer ist. Da kommt man nicht mit dem Fahrrad hin, aber am Klima sind eh die Chinesen schuld und die Urlaubsflüge fallen gar nicht mehr auf, wenn das Climate Engineering greift. Wenn täglich 6.700 Flugzeuge Schwefeldioxid in der Stratosphäre verteilen, könnte die Erderwärmung um ein Grad Celsius gesenkt werden. Nachteil: Milchiges Obendrüber statt glücklichmachendem Himmelblau. »Blue skies smiling at me« – Irving Berlins berühmter Song wird zur verblassenden Erinnerung der Alten.

Mit dem Jazz-Klassiker eröffnet Merlin Sandmeyer als RJ, Schlangenverkäufer mit Rockstarattitüde, begleitet von einer Live-Combo den Abend. »Blue days / all of them gone / Nothing but blue skies / from now on.« Angesichts der dystopischen Szenerie auf der Bühne scheint die glückliche Wendung fragwürdig. Möchtegerninfluencerin Cat (Pauline Rénevier) setzt auf eine Python, lässig um die Schultern gelegt, Statement und hipper Kuschelersatz für den businessreisenden Ehemann. Ihre Mutter Ottilie steht ebenfalls auf ungewöhnliche Haustiere, sie züchtet Grillen, Heuschrecken und andere Insekten, die allerdings nicht bekuschelt, sondern als angeblich nachhaltige und gesunde Proteinquelle gebraten, frittiert oder feingemahlen werden.

Christiane von Poelnitz spielt sie mit großer Körperlichkeit und viel Witz. Haarscharf, aber sehr gelungen, am Chargieren vorbei, Ähnlichkeiten mit der Ehefrau (»dusselige Kuh«) von TV-Ekel Alfred vielleicht nicht zufällig. Ihr Alfred heißt Frank, ein meist unauffällig im Hintergrund trinkender T.-C.-Boyle-Lookalike, von Bernd Grawert etwas farblos dargeboten. Dafür darf Johannes Hegemann als Sohn Cooper, studierter Insektenkundler, so richtig die Sau rauslassen und aus unerfindlichen Gründen einen behandlungsbedürftigen Dreijährigen mit ADHS spielen. Bis ihn eine Zecke beißt und – Stichwort MRSA – von der ganzen Energie nur noch Wut und ein schwarzer Plastikarm übrigbleiben.

»Das Anthropozän lag in den letzten Zügen, und die Welt war wie etwas in einem Ofen, den man vergessen hatte, auszuschalten.« Boyles Erkenntnis, dass wir die letzten Tage der Menschheit erleben, hatte Karl Kraus schon im Ersten Weltkrieg. Dazu musste er den »Living Planet Index« des WWF gar nicht kennen, demzufolge allein seit den 70er Jahren 60 Prozent aller Säugetiere, Vögel, Fische und Reptilien ausgerottet wurden, die »Krefelder Studie« spricht von einem Rückgang von 82 Prozent der flugfähigen Insekten zwischen 1989 und 2016. Geil, bleibt der Scheibenwischer auf der Autobahn endlich aus. Genau – die Gründe haben sich seit Karl Kraus nicht geändert, die Möglichkeiten sind nur gewachsen.

Sicher könnte man über den Todeskampf unseres Planeten eine bitterböse Komödie machen, vielleicht sogar in der verzweifelten Hoffnung, dass mehr Menschen den Ernst der Lage begreifen. Aber trotz guter Ansätze, aufwendiger und gelungener Ausstattung und einem Topensemble, bleibt das Gefühl, in einer alten »Klimbim«-Folge verloren gegangen zu sein. Stereotype, antiquierte Frauenfiguren: Coopers Freundinnen sind kicherndes Beiwerk, Cat ist doof und geil und lässt sich von RJ nicht nur die Python besorgen, Übermutter Ottilie ist »lieb aber dumm«, wie der legendäre TV-Kommissar Erik Ode tatsächlich in einer Folge zu seiner Ehefrau sagen durfte.

»In Dreams«, Roy Orbison 1963, wunderbar vorgetragen vom wunderbaren Merlin Sandmeyer (gerade mit dem Schauspielpreis 2024 ausgezeichnet) während Cat den Tod ihres Babys betrauert, das von Python Willie gefressen wurde – eine der wenigen berührenden Szenen des Stücks. Wäre ein guter Schluss gewesen, die letzte der insgesamt dreieinviertel Stunden war eindeutig zuviel. Hoffnung sieht anders aus als ein Schwarm Monarchfalter oder ein Bienenstock auf dem Dach des Thalia-Theaters.

Nächste Vorstellungen: 29. September, 6. und 23. Oktober

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